Die Trauung war vorüber, und Sternau hatte sich auf eine Reise begeben. Wißt Ihr, was er beabsichtigt? Dieser Mensch will den Kapitän Landola aufsuchen, um ihm jenen Mariano, der sich auf Rodriganda Alfredde Lautreville nannte, abzujagen. Diesem Menschen ist das Äußerste zuzutrauen, ich hoffe aber, daß seine Pläne zuschanden werden.
Ich habe sogleich an alle Häfen, in denen Landola zu verkehren pflegt, teils telegrafiert, teils geschrieben, und da es immerhin eine Möglichkeit ist, daß er seinen Kurs auf Mexiko nimmt, so gebe ich auch Dir Nachricht. Dieser Sternau muß unschädlich gemacht werden, sonst sind wir verloren.
Nun zu etwas Besserem und Angenehmerem. Alfonzo steht jetzt an der Spitze des Hauses Rodriganda; er hat die Interessen desselben zu vertreten und auch dafür zu sorgen, daß die Traditionen desselben nicht verlöschen, mit einem Wort: Er muß sich vermählen!
Ich habe an seiner Stelle Umschau gehalten, und es ist mir auch geglückt, sein Auge auf eine Dame zu richten, die alle Erfordernisse besitzt, den Namen Rodriganda zu noch höheren Ehren zu bringen.
Du weißt, daß ich Haushofmeister des Herzogs von Olsunna war. Ich habe Dir von seinem Verhältnis zu jener deutschen Gouvernante erzählt, die ihm entfloh. Diese Liaison hat ihn in meine Hand gegeben, so daß ich ihm vorschreiben kann, was mir beliebt. Er besitzt ein einziges Kind, eine Tochter. Sie ist zwar älter als Alfonzo, aber sie ist schön, unermeßlich reich und von einem höheren Grad als die Rodrigandas. Alfonzo hat sie gesehen und schwärmt für sie. Ich hoffe, daß es meinem Einfluß auf den Herzog gelingt, diese glanzvolle Verbindung zustande zu bringen, und werde Dir, sobald ein Resultat erzielt ist, das Weitere mitteilen.
Dein Bruder
Gasparino Cortejo.«
Während der letzten Hälfte des Briefes hatte Josefa sich entfärbt. Sie war blaß geworden, und als sie jetzt zu Ende war, knirschte sie wild die Zähne zusammen, ballte das Papier zu einem Knäuel, warf diesen auf den Boden und stampfte mit dem Fuß darauf.
»So wie diesem Papier soll es ihnen gehen, wenn Alfonzo nicht Wort hält!« rief sie voller Wut. »Ich zertrete, ich zermalme sie!«
Sie bildete in ihrem Grimm einen Anblick, der nichts weniger als schön genannt werden konnte. Ihr Vater legte beruhigend die Hand auf ihre Schulter.
»Nur ruhig, noch ist es nicht soweit!« sagte er.
Josefa warf den Kopf stolz in den Nacken und antwortete:
»Ja, noch ist‘s nicht soweit, und es soll auch nie soweit kommen! Aber schon, daß sie einen solchen Gedanken hegen können, das ist ein schmählicher Verrat an mir!« – »Auch das nicht!« – »Wieso? Willst du sie etwa in Schutz nehmen?« – »Den Bruder ja, nicht aber Alfonzo. Gasparino wird gar nichts davon wissen, daß Alfonzo uns sein Wort gegeben hat, gegen ihn also darf sich dein Zorn nicht richten.« – »Aber desto mehr gegen den Treulosen. Ich gebe ihn nicht los. Er ist mein, er ist mein Eigentum, und keine andere soll ihn haben. Ich will Gräfin von Rodriganda werden, und was ich will, das weiß ich auch durchzusetzen, mit allen Mitteln, verstehst du?«
Sie stand wie eine Furie vor dem Vater. Dieser aber erwiderte in möglichster Ruhe:
»Ich werde Gasparino schreiben.« – »Ja, schreibe ihm, und verlange sofortige Antwort.« – »Und wenn er nein sagt?« – »Dann ist er verloren, das schwöre ich dir!« – »Josefa, er ist mein Bruder!« – »Eben deshalb sollte er desto eher auf unseren Willen eingehen, und desto strafbarer ist es, wenn er es nicht tut. Du weißt, daß ich das Testament in der Hand habe.« – »Du wirst es nicht gegen ihn gebrauchen!«
Sie stieß ein höhnisches Lachen aus, trat frech auf den Vater zu und sagte:
»Wie kommst du mir vor? Dein Bruder hat einen Sohn, und du hast eine Tochter. Wir alle sind Diebe, Betrüger, ja, auch Mörder geworden, um Rodriganda zu erlangen. Soll es sein Sohn allein besitzen, soll deine Tochter leer ausgehen? Nein, es gehört ihm und mir. Wenn er Graf wird, so werde ich Gräfin, das ist die einzig richtige Lösung der Frage, und davon gehe ich nicht ab.«
Cortejo hielt es für geraten, einzulenken.
»Ich gebe dir ja recht«, sagte er, »nur halte ich es hier nicht für am Platz, dich unnötig zu ereifern. Wir haben ja genug Veranlassung, zunächst an das Nähere zu denken.« – »So? Und was ist denn wohl jetzt das Nähere?« fragte sie erbost. – »Ich meine dieser Doktor Sternau.« – »Ach so«, sagte Josefa, nun endlich an den ersten Teil des Briefes denkend. »Ja, was sagst du dazu? Also dieser Mensch hat Deutschland verlassen, um den Kapitän Landola zu finden? Pah, ein Arzt, eine Landratte! Macht euch nicht lächerlich!« – »Beurteile die Deutschen nicht falsch. Sie haben harte Köpfe. Sie sind lange Zeit still und geduldig, aber wenn sie einmal einen Entschluß gefaßt haben, so führen sie ihn auch aus.« – »Und du meinst, daß der Sternau, der sich jetzt hier befindet, und jener Sternau ein und dieselbe Person seien?« – »Ich halte es für möglich.« – »So muß man dies untersuchen.« – »Aber wie? Man kann doch nicht bei Lord Lindsay anfragen!« – »Nein«, lachte sie. »Laß mich machen! Ich werde dafür sorgen, daß wir eine Einladung bekommen und ihn sehen.« – »Ist er dir beschrieben worden?« – »Ja.« – »Nun?« – »Er ist ungewöhnlich hoch und stark gebaut, ein Riese unter allen übrigen.« – »Er ist es. Gasparino schrieb uns ja, daß er ein wahrer Goliath sei.« – »Das beweist noch nichts. Sie können Brüder oder sonstige Verwandte sein. Ich habe gehört, daß es in diesen nördlichen Gegenden viele Menschen geben soll, die zum Geschlecht der Riesen gerechnet werden könnten. Es bleibt dabei, ich besorge uns eine Einladung, und das übrige wird sich finden.«
Sternau war auf ein solches Zusammentreffen gefaßt. Er konnte sich denken, daß er dem Namen nach Pablo Cortejo bekannt sei, er wußte, daß er der Gegenstand der Unterhaltung sei und daß auch Cortejo von ihm hören werde, und so war das Verlangen des letzteren, ihn zu sehen, ja vorauszusetzen.
So erwartete er bei jedem Besuch, den er machte, Cortejo zu treffen. Er hatte sich erkundigt und erfahren, daß Cortejo als Vertreter des Grafen Rodriganda auch in höheren Kreisen angenommen werde. Sich ausfragen zu lassen, war seine Absicht nicht.
4. Kapitel
Es war bereits eine Woche seit ihrer Ankunft vergangen, als Lindsay den Arzt zu einem ihrer gewöhnlichen Spazierritte aufforderte. Sie verließen die Stadt und tummelten ihre Pferde draußen zwischen den Höhen herum. Bei der Rückkehr kamen sie an einer Mauer vorüber, wobei der Engländer sagte:
»Endlich kann ich Ihnen heute mein Wort halten.« – »Wegen des Erbbegräbnisses, Mylord?« – »Ja.« Der Lord erhob sich im Sattel und zeigte über die Mauer hinüber. »Sehen Sie da drüben das Mausoleum?« – »Das mit den korinthischen Säulen?« – »Ja. Es ist das Erbbegräbnis, in dem Ferdinando Rodriganda begraben liegt.« – »Darf man eintreten?« – »Warum nicht? Die Pforte des Friedhofs ist bei Tag stets geöffnet.«
Sie stiegen von ihren Pferden und traten ein. Da mehrere Besucher vorhanden waren, so taten sie, als ob ein anderer Zweck sie herbeigeführt habe, und näherten sich später wie zufällig dem Mausoleum. Der Eingang zu demselben war durch eine Gittertür verschlossen, doch reichte das Gitter nicht hoch empor. Es ließ oben einen offenen Raum, so daß man übersteigen konnte.
»Wissen Sie gewiß, daß dies das gesuchte ist, Mylord?« fragte Sternau. – »Ja, ich habe es mir genau beschreiben lassen.« – »So ist es uns nicht schwer gemacht, hier einzudringen. Gehen wir wieder fort!« – »Wann werden Sie es tun?« – »Gleich heute abend. Wollen Sie dabeisein?« – »Ich danke. Ich bin der Vertreter einer Nation und muß sehr vorsichtig sein.«
Am Abend, kurz vor Mitternacht, schritten drei Männer diesem Friedhof zu. Es war zwei Tage nach Neumond und also nicht sehr hell. Bei der Mauer angekommen, stiegen sie über dieselbe hinweg. Es waren Sternau, Mariano und Helmers. Mariano hatte sich während der acht Tage so weit erholt, daß er dieses Abenteuer mitmachen konnte.
»Bleiben Sie hier stehen«, flüsterte Sternau. »Ich will erst sehen, ob wir sicher sind.«
Er suchte den Friedhof sorgfältig ab und kehrte erst dann zu den Gefährten zurück, als er sich überzeugt hatte, daß keine Gefahr der Entdeckung vorhanden war.
»Jetzt