Karl May

Waldröschen IV. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 2


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bestand, bemerkte, zog ein nie geahntes Gefühl ihr das Herz zusammen.

      Wie oft hatte sie vor dem Bild des Grafen Emanuel gestanden! Sie hatte es als einen Inbegriff männlicher Schönheit zu betrachten gelernt, ihre Phantasie hatte sich mit demselben beschäftigt, sie hatte von diesen Zügen geträumt und es sich als das größte Glück vorgestellt, von einem solchen Mann geliebt zu sein. Und nun saß das Ebenbild dieses Gemäldes ihr gegenüber. Das waren ganz genau dieselben Züge. Josefa hätte aufjauchzen mögen vor Wonne, ihr Traumbild verkörpert zu sehen. Sie fühlte in diesem Augenblick, daß Graf Alfonzo ihr vollständig gleichgültig sei, sie erkannte, daß es eine Liebe gibt, die in einem einzigen Augenblick kommt und siegt. Sie verschlang die Züge Marianos förmlich und konnte sich nur gezwungen von diesem Anblick trennen, als das Frühstück beendet war.

      Als sie mit ihrem Vater nach Hause gekommen war, sagte er:

      »Weißt du nun, woran du bist?« – »Nun?« fragte sie wie abwesend. – »Dieser Leutnant ist der echte Graf Alfonzo.«

      Sie nickte schweigend.

      »Sternau hat ihn befreit.« – »Wahrscheinlich.« – »Aber wie und wo? Was ist aus Landola und seinem Schiff geworden?« – »Ich weiß es nicht.«

      Cortejo bemerkte in seinem Eifer das eigentümliche Verhalten seiner Tochter gar nicht und fuhr höchst zornig fort:

      »Und wie habe ich mich blamiert! Erst gestern abend, und dann heute! So eine zweimalige Verwechslung. Aber die Ähnlichkeit war zu groß. Und, Josefa, weißt du, wer jener Sternau ist?« – »Ein ganz ungewöhnlicher und bedeutender Mensch!« – »Das mag sein, aber ich meine etwas anderes. Erinnerst du dich, was Gasparino vom Herzog von Olsunna schrieb?« – »Meinst du die Liaison mit der Gouvernante?« – »Ja. Nun, diese Gouvernante ging mit einem deutschen Erzieher in ihr Vaterland zurück, und dieser Erzieher – caramba, es fiel mit vorhin wie Schuppen von den Augen – dieser Erzieher hieß Sternau. Ich hörte den Namen von meinem Bruder.«

      Josefa sah ihren Vater fragend an und erwiderte:

      »Nun, was weiter?« – »Was, weiter?« rief er ganz ereifert. »Was ist‘s denn mit dir, Mädchen? Hast du denn deine Gedanken verloren, he? Was weiter? Dieser Sternau ist der Sohn, und noch dazu der einzige Sohn des Herzogs von Olsunna!«

      Jetzt erst wurde Josefa aufmerksam.

      »Du phantasierst wohl?« fragte sie. – »Das fällt mir gar nicht ein. Ich muß noch einen Brief von Gasparino da haben, in dem er auf jenes Abenteuer zurückkommt. Ich werde ihn sogleich suchen.«

      Damit eilte Cortejo fort. Josefa aber warf sich in die Hängematte und blickte lange sinnend ins Leere. Ihre Eulenaugen bekamen einen milderen Ausdruck, ihre bleichen Wangen röteten sich, und endlich erhob sie sich wieder und schritt hinauf in das Bibliothekzimmer ihres Vaters, wo das Jugendbild des Grafen Emanuel an der Wand hing. Sie nahm es herab, trat damit an das Fenster und betrachtete es.

      »Es gleicht ihm aufs Haar«, sagte sie leise. »Oh, was ist Alfonzo gegen ihn! Was ist der falsche gegen den echten Rodriganda!«

      Ohne es zu wissen, drückte sie ihre Lippen auf das Bild.

      »Wie erschrak ich, als ich ihn erblickte!« dachte sie laut. »Es gab mir einen Stich durch das Herz, aber dieser Stich tat nicht weh, er brachte keinen Schmerz. Und dann, als er sprach, da drang seine Stimme mir bis in die Tiefe meiner Seele. Was war das? War das etwa die Liebe?«

      Und abermals drückte sie ihre Lippen auf das Bild.

      »Und er saß neben dieser blonden Amy, und er hatte sie lieb! Ihre Augen suchten und fanden sich in jedem Augenblick. Ihre Hände begegneten einander unter dem Tisch; ich habe es gesehen. Da gab es mir abermals einen Stich durch das Herz; aber dieser Stich tat weh, er brachte mir Schmerz. War das die Eifersucht?«

      Josefas Blick senkte sich inniger und inniger auf das Bild.

      »Gibt es wirklich eine Liebe, die keine Jahre, keine Monate und Wochen braucht, um zu entstehen? Gibt es eine Liebe, die beim ersten Blick erwacht und dann nimmer wieder vergehen und sterben kann? Ja, es gibt eine solche, es gibt eine, ich fühle es. Und diese Liebe ist bei mir erwacht, für ihn, der dir gleicht, du süßes, süßes Angesicht!«

      Sie küßte wieder und immer wieder das Bild, bis eine Stimme sie aus ihrer Verzückung weckte. Ihr Vater war unbemerkt eingetreten und rief verwundert:

      »Josefa, Mädchen, was machst du? Was fällt dir ein? Ich glaube gar, du küßt das alte Bild! Willst du es gleich wieder an den Nagel hängen!«

      7. Kapitel

      Von diesem Tag an ging eine eigentümliche Veränderung mit Josefa Cortejo vor. Sie war für ihren Vater nur wenig zu sprechen. Aber ihr Mädchen erzählte ihm, daß die Señorita stets am Spiegel stehe, um sich zu schmücken, dann aber immer wieder die Blumen und den Schmuck herabreiße und dabei zornig ausrufe:

      »Wie häßlich, wie häßlich! Kein Gold, kein Stein, keine Rose macht das anders!«

      Und wenn Cortejo sich nach dem Zimmer seiner Tochter schlich, so hörte er sie sprechen, als ob jemand bei ihr sei; aber er wußte, daß sie allein war. Und legte er dann lauschend das Ohr an die Tür, so hörte er sie sagen:

      »Oh, wie lieb, wie so lieb habe ich dich. Komm, küsse, o küsse mich!«

      Und wenn er wiederkam und horchte, so vernahm er sie zornig sprechen:

      »Unbarmherziger, ich töte dich, ich erwürge dich! Ich hasse dich, denn du hast mir das Herz aus der Brust gerissen!«

      Er wußte gar nicht, was er sich dabei denken sollte. Darum erzwang er sich einmal Zutritt zu ihr, um ernstlich mit ihr zu reden. Er fand sie vor dem Spiegel stehen. Sie hatte sich ganz dekolletiert angekleidet und musterte sich, ob sie schön sei. Aber ihre hageren Arme, ihr dürrer Hals, ihr scharfer Nacken traten nur um so häßlicher hervor.

      »Was tust du hier?« fuhr er sie zornig an. »Ich glaube gar, du bist von Sinnen!«

      Josefa wandte sich schnell um und warf, als sie ihn erblickte, errötend ein Tuch über.

      »Was ich tue, ich probiere meine Toilette an«, entschuldigte sie sich. – »Das soll eine Toilette sein? Wo willst du dich so zeigen?« – »Ich war ja noch nicht fertig. Ich will heute zur Fantasia gehen.« – »Ah, endlich ein vernünftiges Wort! Also ausgehen willst du? Und zwar zur Fantasia? Das ist gut. Die ganze Noblesse wird zugegen sein. Der erste Preis besteht in einem kostbaren Reitzeug, das die Gräfin Montala dem Sieger übergeben wird.« – »Die Gräfin Montala? Warum diese? Gibt es keine andere?« – »Sie ist die Schönste. Oder willst du die Preise verteilen?« fragte er.

      Josefas Augen glühten zornig, aber sie biß die Zähne zusammen und wandte sich ab.

      »Hast du dir überlegt, was ich dir gestern sagte?« fuhr er fort. – »Nein«, entgegnete sie kalt. – »Warum nicht?« – »Ich habe keine Zeit.« – »Keine Zeit!« rief er zornig. »Wann hast du jemals keine Zeit gehabt, dich mit unseren Feinden zu beschäftigen? Vorhin habe ich es erfahren, wann sie abreisen.«

      Bei diesen Worten drehte sie sich im Nu zu ihm herum und fragte mit bebender Stimme:

      »Wann reisen sie?« – »Übermorgen.«

      Es war, als ob ihr blasses Gesicht noch blässer werde, aber sie bezwang sich und erwiderte kalt:

      »So mögen sie!« – »Was? So mögen sie? Wir sollen den wirklichen Grafen Rodriganda entkommen lassen?« – »Der falsche bringt uns auch keinen Nutzen.« – »Das sollst du nicht sagen! Ich habe dir ja gestern wieder versprochen, daß er dich heiraten soll. Ich werde an meinen Bruder schreiben.« – »Warte noch.« – »Bis wann?« – »Bis übermorgen.«

      Cortejo schüttelte den Kopf. Er verstand sie nicht; sie war ihm ein Rätsel.

      »Also gehst du zur Fantasia?« erkundigte er sich. – »Ja.« – »Ich begleite dich.« – »Ich gehe allein.«

      Er schüttelte abermals den Kopf und hielt es für das beste, sich zurückzuziehen. Kaum aber war er fort, so riegelte sie die Tür hinter ihm zu, warf das Tuch ab und begann, sich Hals, Busen, Stirn