Josefa zur Tür und öffnete. Es trat eine alte Indianerin ein. Sie diente im Haus und genoß das Vertrauen der Señorita, deren eigentliches Mädchen für eine Plaudertasche galt. Josefa schloß wieder zu, stellte sich vor den Spiegel und sagte:
»Amaika, sieh mich an! Bin ich schön oder häßlich?«
Die Alte schlug die Hände zusammen und antwortete:
»Häßlich? O Madonna, wie können Sie häßlich sein. Schön, sehr schön sind Sie!« – »Meinst du das wirklich?« – »Ja, bei meiner armen Seele!« beteuerte die heuchlerische Alte. – »So hat der Puder also wirklich geholfen? Soll ich die Wangen noch mehr röten?« – »Nein, Señorita. Sie sehen so recht zart und lieblich aus. Man muß Sie lieben.« – »Man, ja man, aber er nicht.« – »Er?« lächelte die Indianerin. »Er wird Sie umarmen und küssen, wenn Sie so wie jetzt heute abend nach der Fantasia zu ihm treten. Sie sind ja so reizend, daß er gar nicht widerstehen kann.« – »Aber ob er kommen wird?« fragte sie, sich geschmeichelt fühlend. – »Er wird kommen.«
Diese Worte wurden in einem so bestimmten Ton ausgesprochen, daß diese Sicherheit Josefa auffiel. Sie wandte sich daher rasch zu der Indianerin und fragte:
»Weißt du das genau?« – »Sehr genau, Señorita. Ich wache über Ihnen und tue alles, um Sie glücklich zu sehen.« – »Wer sagte das?« – »Dieser Zettel.«
Dabei zog die Alte einen gedruckten Zettel aus der Tasche und reichte ihn Josefa hin.
Die hervorragenden Bewohner Mexikos pflegen von Zeit zu Zeit wilde Kampfspiele zu veranstalten, bei denen oft ganz bedeutende Preise erstritten werden. Sie finden gegen Abend statt, wenn die Sonnenhitze nicht mehr so drückend ist, und dann folgt am Abend noch eine Maskerade, an der sich alles beteiligen kann, was Lust und Freude an dergleichen Dingen findet. Die höchsten Señores beteiligen sich an diesen Kampfspielen, die oft wirklich lebensgefährlich sind, und auch jeder anständige Fremde wird zur Arena gelassen, natürlich mit den Waffen, für die er sich entscheidet.
Ein solches Kampfspiel wird Fantasia genannt, und heute abend sollte eines derselben stattfinden. Der Zettel, den die Alte gebracht hatte, enthielt die Namen derer, die mit kämpfen wollten.
Josefa las diese Namen der Reihe nach leise, zwei aber laut, und zwar folgende:
»Señor Carlos Sternau für Lasso, Büchse, Degen und Dolch. Señor Alfred de Lautreville für Büchse, Degen und Dolch. – Ah, ich wußte es, er ist ein Held!« sagte sie. »Er kämpft nicht nur mit einer Waffe, sondern mit drei, er wird einen Preis gewinnen. Oh, wenn er denselben aus meiner Hand erhalten könnte!«
Die Indianerin machte ein sehr verschmitztes Gesicht.
»Das kann er ja«, sagte sie. – »Inwiefern? Die Gräfin Montala teilt ja die Preise aus.« – »Diese Preise, ja. Aber können Sie ihm nicht auch einen Preis geben?«
Josefa errötete und fragte:
»Welchen?« – »Einen Kuß, eine Umarmung, eine recht innige und zärtliche.« – »Vielleicht. Du wirst mich begleiten und dafür sorgen, daß ich ihn finde.«
Damit war die Alte von Herzen einverstanden, und beide trafen ihre Vorbereitungen für den genußreichen Abend.
Auch im Palazzo des Lords Lindsay traf man Vorbereitungen, denn da Mariano sich wieder erholt hatte, da seine Augen wieder leuchteten, seine Wangen sich gefüllt und frisch gerötet hatten und er ein Pferd mit derselben Sicherheit wie früher tummeln konnte, hatte er sich entschlossen, an der Fantasia teilzunehmen, und Sternau hatte ihm versprochen, das gleiche zu tun.
Sternau war übrigens in den letzten Tagen sehr einsilbig und nachdenklich gewesen, und zwar infolge eines kurzen Gesprächs. Am Abend nach jenem Frühstück, an dem die beiden Cortejos teilgenommen, hatte ihn nämlich der Lord unter vier Augen gefragt:
»Herr Sternau, was sagen Sie zu dem Herzog von Olsunna?« – »Sie meinen zu der Verwechslung?« – »Ja, und zu Ihrer Ähnlichkeit mit ihm?« – »Das ist ein seltenes und interessantes Naturspiel, weiter nichts.« – »Ich finde es auffällig. Ihr Vater war aus Deutschland?« – »Ja.« – »Und Ihre Mutter?« – »Auch sie.« – »Sprachen Sie nicht vorgestern mit Mariano davon, daß Ihre Mutter in Spanien Erzieherin gewesen sei?« – »Das ist sie allerdings gewesen.« – »Nun, mein Freund, ich will das Andenken Ihrer Mutter nicht entheiligen, aber aus Zufall scheinen keine solchen Ähnlichkeiten zu entstehen. Denken Sie nach!«
Und Sternau hatte nachgedacht. Aber dieses Nachdenken war ihm wie eine Sünde gegen die Mutter erschienen; er hatte gegen die aufkeimenden Gedanken gekämpft, war ihrer aber doch nicht völlig Meister geworden, und um sich zu zerstreuen, war er gern bereit, an der Fantasia mit teilzunehmen.
Der Nachmittag rückte heran, und Tausende zogen hinaus auf die Ebene, wo eine Arena für die Kämpfer abgesteckt worden war. An einem bestimmten Ort versammelten sich die Kämpfer und ritten dann hinaus. Als ihr Zug den Platz erreichte, tönte ihnen ein donnernder Zuruf entgegen, und manches Frauenauge leuchtete den Gestalten der Tapferen glühend entgegen, die sich nicht scheuten, ihre Geschicklichkeit im Kampf zu messen.
Auf einem Balkon saßen die Preisrichter, umgeben von einem reichen Flor stolzer, schöner Frauen und Mädchen. Unter diesen befand sich auch Gräfin von Montala, die schönste Witwe des ganzen Landes. Sie war umworben und angebetet von vielen, aber keiner von ihnen konnte Gnade finden vor ihren Augen. An ihrer Seite saß eine Freundin, die aus Morelia herbeigekommen war, die Kampfspiele mit anzusehen.
Soeben nahte der Zug der Streiter, alle ohne Unterschied in die reiche, mexikanische Tracht gekleidet. Da stieß die Freundin die Gräfin an und fragte:
»Dios, wer ist der Ritter, der dort auf dem Rappen soeben durch den Eingang reitet?« – »Hast du ihn noch nicht gesehen?« fragte die Gräfin wieder. – »Nie.« – »Ja, ja, du warst seit drei Wochen nicht in der Hauptstadt.«
Die schöne Gräfin verfolgte den Reiter mit glühenden Blicken und vergaß dabei, der Freundin Antwort zu geben.
»Nun?« erinnerte diese. – »Er ist ein Deutscher«, klang die kurze Antwort.
Die Freundin blickte die Gräfin forschend an, lächelte heimlich und sagte:
»Ein Deutscher! Ist das alles, was du von ihm weißt?« – »Er ist der Gast des englischen Gesandten.« —»Lord Lindsays? – »Ja.« – »So ist er nicht von gewöhnlichem Stand, denn Lindsay ist exklusiv.« – »Im Gegenteil, er ist Arzt« – »Und heißt?« – »Auf der Kampfliste steht Carlos Sternau.«
Wieder lächelte die Freundin.
»Auf der Kampfliste? Du hast den Namen früher nicht gekannt und gehört?« – »Gehört, aber wieder vergessen.« – »Wohl dir!« – »Warum?« – »Ich glaubte, wer diesen Mann einmal gesehen hat, der könne ihn nie vergessen. Dir ist dies wenigstens mit dem Namen gelungen. Sieh diese Gestalt!« – »Zu massiv, viel zu massiv.«
Die Freundin lächelte zum dritten Mal heimlich.
»Das ist Sache des Geschmacks«, sagte sie. – »Ich traue seiner starken Figur keine Gewandtheit zu. Und ein Deutscher, wie kann er sich in Lasso und Dolch mit einem Mexikaner messen! Die Deutschen sind zu zahm. In Büchse und Degen mögen sie einige Übung haben.« – »Du tadelst ihn, folglich ist er dir gefährlich!« – »Pah!« entgegnete die Gräfin stolz. Dabei folgte ihr Auge aber unverwandt der stattlichen Gestalt Sternaus. – »Und wer ist der Señor an seiner Seite?« fragte die Freundin. – »Ein Freund des Deutschen und ebenso Gast des englischen Gesandten. Er ist Offizier und nennt sich Alfred de Lautreville.« – »Du scheinst diese Fremden genau zu kennen?« – »Was willst du? Die ganze hiesige Damenwelt ist vernarrt in sie.« – »Natürlich außer dir!« – »Ich bestreite das nicht. Man ist gefeit gegen das, was andere Liebe nennen. Ich danke!«
Nachdem jeder der Kämpfer seinen Platz eingenommen hatte, begann das Spiel. Zunächst wurde mit dem Degen gekämpft, immer zwei gegen zwei, und dann kämpften die Sieger gegeneinander. Sternaus Klinge konnte keiner widerstehen, und Marianos Gewandtheit war jedem gewachsen. So kam es, daß beide um den Preis kämpfen sollten, Sternau aber wehrte ab und trat freiwillig zurück.
»Siehst