Karl May

Waldröschen IX. Erkämpftes Glück. Teil 2


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auch. Übrigens werdet Ihr später sehen, daß Ihr ohne Hilfe nicht auskommen könntet.« – »Hm! Ich sehe allerdings ein, daß es wirklich besser ist, wenn Ihr selbst mit dabei seid.« – »Also endlich?« – »Aber wie die Sachen stehen, gilt es, keine Zeit zu verlieren.« – »Das versteht sich von selbst. Wir reisen bei nächster Gelegenheit ab. Ich werde mich sofort erkundigen, was für Schiffe im Hafen liegen.« – »Ich weiß das bereits. Es wurde mir denn doch zu schwül.« – »Ihr habt Euch erkundigt?« – »Ja, aber es paßt verteufelt schlecht nach Mexiko.« – »Wieso?« – »Es gibt kein Schiff dorthin. Ein einziger Dampfer liegt da, der übermorgen in See sticht, aber er geht nach Rio de Janeiro.« – »Das ist ja gut.« – »Wieso?« – »Wenn wir an Bord kommen, entgeht Ihr hier den Augen der Polizei, und in Rio finden wir allemal Gelegenheit nach Mexiko.« – »Das mag sein. Aber wie an Bord kommen? Man kennt mein Signalement, besonders hier in Barcelona.« – »Nichts leichter als das. Wißt Ihr, was eine Perücke ist?« – »Eine Kopfbedeckung für Kahlköpfige«, lachte Landola. – »Und wißt Ihr, was ein falscher Bart ist?« – »Eine Gesichtsbedeckung für Spitzbuben.« – »Und wißt Ihr, was man unter colle de face versteht?« – »Ah, das ist jener berühmte französische Gesichtskleister, mit dessen Hilfe sich eine alte Frau in ein junges Mädchen verwandeln kann. Man füllte damit sogar die tiefsten Falten aus.« – »Und wißt Ihr, was ein falscher Paß ist?« – »Eine Erfindung des Teufels, zum Besten seines Familienzirkels.« – »Nun gut, das alles werde ich Euch verschaffen.« – »Eine Perücke?« – »Ja.« – »Die mir paßt?« – »Ja. Meine Auswahl ist groß genug.« – »Auch in falschen Bärten?« – »Ja.« – »Und Gesichtsschmiere?« – »Habe ich topfweise.« – »Und falsche Pässe?« – »Ein ganzes Ries.« – »Señor Cortejo, man sieht wirklich, daß Ihr ein Spitzbube seid!« – »Danke! Ich werde alle diese Sachen auch für mich brauchen.« – »Ihr wollt Euch auch verkleiden?« – »Natürlich!« – »Aber warum?« – »Könnt Ihr das nicht begreifen? Wir treffen da drüben jedenfalls Sternau und andere Bekannte, die nicht wissen dürfen, wer wir sind.« – »So hat es mit der Verkleidung Zeit, bis wir drüben sind?« – »O nein. Wir haben vielleicht gar keine Gelegenheit, Namen, Gestalt und Pässe zu wechseln. Wir können doch kein Schiff, kein Haus, keinen Ort anders verlassen, als wie wir da angekommen sind.« – »Das würde allerdings Verdacht erwecken.« – »So hört! Ich reise als Don Antonio Veridante, Advokat und Bevollmächtigter des Grafen Alfonzo de Rodriganda.« – »Donnerwetter! Ich begreife.« – »Ich habe die Verhältnisse der mexikanischen Besitzungen dieses Herrn zu inspizieren.« – »Natürlich!« – »Und bin mit ausreichenden Vollmachten versehen.« – »Die Ihr Euch selbst ausstellt.« – »Auch der Paß macht keine Schwierigkeiten. Ferner nehme ich Legitimationen auf meinen echten Namen mit, um für alle Fälle gerüstet zu sein.« – »Ihr seid sehr umsichtig.« – »Natürlich brauche ich einen Sekretario.« – »Wo werdet Ihr ihn finden?« – »Ich habe ihn bereits.« – »Ah, so ist der Plan schon längst fertig?« – »Nein, er wird im Gegenteil eben erst entworfen.« – »Sapperment! Der Sekretär oder Schreiber soll wohl ich sein?« – »Natürlich!« – »Auf diese Standeserhöhung kann ich mir viel einbilden.« – »Ihr habt recht. Ein Sekretario ist jedenfalls mehr wert als ein Spitzbube, wie Ihr Euch vorhin genannt habt.« – »Aber dieser Sekretario kann auch einer sein.« – »Möglich.« – »Und sein Herr, der Advokat, ein noch größerer.« – »Nehmt Euch in acht, sonst lasse ich Euch hier sitzen, und Ihr mögt sehen, wie Ihr mit der Polizei fertig werdet. Habt Ihr noch etwas zu fragen?« – »Nein. Es genügt mir, zu wissen, wann und wo wir uns treffen.« – »Getraut Ihr Euch, am Tag die Stadt zu verlassen?« – »Nein, zumal ich einiges Gepäck bei mir habe.« – »So bin ich gezwungen, bis zur Dunkelheit hierzubleiben. Sobald sie eingetreten ist, begebt Ihr Euch bis zum Anfang des ersten Wäldchens an der Straße nach Manresa. Kommt eine Kutsche, so pfeift Ihr den Anfang der Marseillaise, woran ich Euch erkennen werde. Ich will in den Hafen, um mich zu erkundigen. Adieu!« – »Adieu!«

      Die beiden Söhne des Verbrechens gingen auseinander.

      »Verdammt!« murmelte Landola, als er sich allein befand. »Sind diese Kreaturen glücklich entkommen. Welch eine Unvorsichtigkeit, mich während dieser langen Zeit nicht einmal zu erkundigen. Freilich, mir kann ihre Rückkehr weniger schaden. Ich brauche mich einfach nur zu verbergen. Aber dieser Cortejo und seine Sippe, sie sind verloren, sobald es ihm nicht gelingt, der Gefahr gleich anfangs zu begegnen. Fünfzigtausend Dollar. Ah, ich habe noch nicht ja gesagt! Er soll bluten, er soll zahlen! Und dann suche ich mir irgendeinen schönen, verborgenen Erdenwinkel, wo ich meine Reichtümer in Freude und Ruhe genießen kann.«

      Cortejo fand den Dampfer, den Landola meinte. Die Falltür war herabgelassen; er stieg an Bord und traf den Kapitän auf Deck.

      »Sie gehen nach Rio?« fragte er ihn. – »Ja«, antwortete der Seemann. – »Sie nehmen Passagiere auf?« – »Nur anständige.« – »Ich heiße Cortejo …«

      Der Kapitän verbeugte sich.

      »Bin Verwalter sämtlicher Besitzungen des Grafen Alfonzo de Rodriganda.«

      Zweite, noch tiefere Verneigung des Kapitäns.

      »Wir haben große, sehr weitläufige Güter drüben in Mexiko. Der Stand der Dinge nötigt uns, einen Bevollmächtigten hinüberzusenden, der unsere Interessen zu wahren hat Wollen Sie diesen Mann an Bord nehmen?« – »Mit Vergnügen. Wie heißt er?« – »Don Antonio Veridante.« – »Hat er zahlreiche Bedienung bei sich?« – »Einen einzigen Sekretario.« – »Junge Leute?« – »Nein, sondern ältere Herren, still und zurückgezogen. Sie werden Ihre Schiffsordnung nicht im mindesten stören.« – »Das ist mir lieb. Beköstigen sich die Señores selbst?« – »Nein.« – »So werde ich für das Nötige sorgen müssen. Aber mein Schiff ist kein Passagierschiff, ich habe also auch keine festen Preise. Ich richte mich ganz nach den Ansprüchen, die man macht. Wieviel soll gezahlt werden?« – »Dieser Punkt ist der einfachste. Sorgen Sie für alles, was zwei feine Señores während einer solchen Reise brauchen. Sie werden das, was Sie verlangen, sofort bezahlen, nachdem sie an Bord gestiegen sind, vorausgesetzt, daß die Forderung nicht übertrieben ist.«

      Somit war die Sache abgemacht. Cortejo wartete in einem Gasthof, bis es dunkel war, und fuhr dann nach Hause.

      Als er das erwähnte Gehölz erreichte, hörte er den Anfang der Marseillaise pfeifen. Er ließ anhalten. Landola stieg ein, nachdem sein Koffer auf dem Bock Platz gefunden hatte. Dann ging die Fahrt weiter.

      »Fertig mit dem Kapitän?« fragte er. – »Ja.« – »Wann geht es fort?« – »Habe gar nicht zu fragen brauchen. Neben dem Fallreep hing die Ankündigung. Übermorgen früh mit eintretender Ebbe.« – »Sie wird neun Uhr eintreten.« – »So kommen wir zeitig genug, wenn wir des Nachts eintreffen.«

      Dieses kurze Gespräch war das einzige, was sie bis Rodriganda führten. Dort angekommen, hütete sich Landola, in den Lichtkreis der Laternen zu treten. Es sollte niemand seine Gesichtszüge sehen – eine sehr notwendige Vorsichtsmaßregel.

      Cortejo führte ihn in eines der Gastzimmer und bediente ihn selbst. Dann, nachdem er ihm geraten hatte, keinen Menschen eintreten zu lassen, begab er sich zu Schwester Clarissa.

      3. Kapitel

      Clarissa hatte Cortejo längst erwartet.

      »Mein Gott«, klagte sie, »wie vernachlässigst du mich!« – »Inwiefern?« fragte er. – »Du bist bereits seit einer halben Stunde angekommen.« – »Ohne dich aufzusuchen! Nicht?« – »Ja. Nennst du dies Aufmerksamkeit?« – »Ich hatte vorher zu tun.« – »Vorher? Kann etwas anderes vorgehen?« – »Ja.« – »Was denn zum Beispiel?« – »Ein Gast.« – »Ah! Du hast einen Gast?« – »Ja.« – »Wer ist es?« – »Rate!« – »Wie kann ich das raten?« – »Du weißt doch, bei wem ich gewesen bin.« – »Bei Landola.« – »Nun?« – »Was? Du hast ihn doch nicht etwa als Gast mitgebracht?« – »Warum nicht?« – »Den polizeilich Verfolgten.« – »Gerade darum.« – »Gasparino!«

      Clarissa schlug die Hände zusammen. Die Handlungsweise ihres alten Geliebten war ihr unbegreiflich. Er aber meinte lächelnd:

      »Es