Karl May

Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1


Скачать книгу

glänzendes, blendendes Lichtmeer flutete ihm entgegen, und mitten in diesem See von Glanz und Licht stand eine Frauengestalt, deren Schönheit ganz unmöglich zu beschreiben war. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn sich jeder, der sie in dieser Toilette gesehen, vor ihr niedergeworfen hätte.

      Ein beispiellos reiches, schwarzes Lockenhaar war auf einem wahren Feenköpfchen zu einer hohen Krone geordnet und flutete doch noch immer über die Hüften hernieder, und dieses herrlichen Schmuckes wert war jeder einzelne Teil der hohen, königlichen Gestalt. Keine Maria Theresia, Katharina oder Kleopatra, keine Melusina oder Märchenkönigin war mit diesem Weib oder Mädchen zu vergleichen, das eine Toilette trug, so einfach und doch ausgesucht, daß man sie staunend bewundern mußte. Da lag kein Puder auf den Wangen; da war nichts imitiert an der herrlichen Gestalt, und doch hätte man kaum glauben mögen, daß die Natur fähig sei, ein Weib in solch poetischer Vollendung zu schaffen.

      Wie arm und gering stand dagegen der Präriejäger vor ihr, der im letzten Zimmer seine Kutte wieder abgeworfen hatte. Und doch hielt er seine Gestalt stolz erhoben, und doch leuchtete ihre Augen vor Glück und Wonne, ihn bei sich zu sehen. Sie trat ihm entgegen und gab ihm beide Hände.

      »Endlich, endlich wieder einmal, lieber Gerard«, rief sie. »Ich danke dir, daß du mir diese Freude machst. Komm, laß dich küssen!«

      Sie umarmte ihn und küßte seinen Mund mit der Innigkeit einer glücklichen Braut, während er sich nicht veranlaßt fühlte, diesen Kuß zu erwidern. Sie zog ihn dann nach dem Diwan, setzte sich neben ihn, umschlang ihn mit den Armen und legte ihr Köpfchen, dieses von einem Maler gar nicht wiederzugebende Köpfchen, an sein Herz.

      So saßen sie da, er in seiner alten, schmutzigen, blutgetränkten Bluse und sie in dem kostbaren Seidenkleid.

      »Du wolltest ausgehen, wie ich sehe?« nahm er endlich kalt das Wort. – »Ja. Ich wollte zwei Stunden zur Tertullia – Gesellschaftsvergnügen—, und dann erwarte ich den Major. Doch verzichte ich herzlich gern auf das Vergnügen, wenn ich nur das Glück habe, dich bei mir zu sehen.« – »Auf welches Vergnügen willst du verzichten?« lächelte er. »Auf die Tertullia oder den Major?« – »Auf das erstere; der Besuch des Majors ist kein Vergnügen.« – »Ich glaube es.« – »Und dieser häßliche Kapitän … ah, weißt du, daß er seit mehreren Tagen nach auswärts ist?« – »Wohin denn?« – »Niemand weiß es.« – »Auch der Major nicht?« – »Nein.« – »Aber der Kommandant muß es doch wissen!« – »Jedenfalls.« – »So ist dies ein böses Zeichen für uns.« – »Ah, für uns? Inwiefern?« – »Der Kapitän ist mit einer geheimen Rekognoszierung betraut worden, und der Kommandant hat dies dem Major verschwiegen; dies ist jedenfalls ein unfehlbarer Beweis, daß er letzterem mißtraut und ihn nicht für verschwiegen hält.« – »Von diesem Gesichtspunkt aus habe ich die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet. Ich sehe, daß du scharfsinniger bist als ich, lieber Gerard.« – »Ein anderes Mal bist du klüger. Wir müssen uns eben ergänzen.« – »So möchte ich wissen, wohin der Kapitän gegangen ist. Ich muß es auf alle Fälle zu erfahren suchen und werde mich da an den Kommandanten halten und ihm morgen abend eine Unterredung gewähren, bei der du zugegen sein und den Lauscher machen sollst.« – »Das geht nicht, denn ich muß unbedingt diese Nacht noch wieder fort.« – »O weh! Ist deine Eile so dringend geboten?« – »Sehr dringend. Ich habe seit gestern nacht oder vielmehr seit vorgestern abend ohne Unterbrechung auf ungesäuerten Pferden gesessen und wohl gegen fünfzig geographische Meilen zurückgelegt. Daraus magst du sehen, wie dringlich die Sache ist.« – »Du Ärmster!« sagte sie, ihm die Wangen zärtlich streichend und seinen Mund küssend. »Du wirst dich dabei noch aufreiben. Du hast gar nicht geschlafen?« – »Nein.« – »Und mußt diesen Weg in derselben Weise ohne Schlaf zurücklegen?« – »Freilich. Doch ich habe eine eiserne Konstitution; ich werde es aushalten.« – »Aber wenn du heute schon fort mußt, so wirst du morgen nicht erfahren, weshalb der Kapitän vom Kommandanten ausgeschickt worden ist!« – »Oh, das weiß ich bereits, liebes Kind«, sagte er lächelnd. – »Wirklich, wirklich?« fragte sie erstaunt. – »Sogar sehr genau weiß ich es. Ich habe nämlich den Kapitän getroffen und alles gehört und belauscht.« – »Gerard, du bist wirklich ein ganz außerordentlicher Mensch!« – »O nein«, antwortete er bescheiden. »Es lag hier nur ein Glücksumstand vor, sonst hätte ich gar nichts erfahren. Ich wurde von Bärenauge aufmerksam gemacht.« – »Das ist der junge Apachenhäuptling, der seinen Bruder Bärenherz sucht und den Schwur getan hat, wenn er ihn nicht findet, jede Woche, so lange er lebt, einen Weißen zu töten?« – »Ja, derselbe. Er ist mein Freund und hat mir fünfhundert seiner Krieger versprochen.« – »Das ist sehr gut. Denn diese fünfhundert wiegen fünftausend Franzosen auf. Aber was hast du auf deinem Lauscherposten vom Kapitän erfahren?« – »Er war bei den Komantschen, die ihm sechshundert Krieger zugesagt haben.« – »O weh, das ist schlimm!« – »Pah! Ich werde sie aufreiben. Ferner kam er nach Fort Guadeloupe, als Goldsucher verkleidet, um eine Kompanie Franzosen zu erwarten, die sich im Fort festsetzen sollte. Daß der Kommandant es wagt, einen solchen Truppenteil so weit vorzuschieben, läßt mich fast vermuten, daß er den Präsidenten Juarez in Paso del Norte ausheben will und daß er von der Geldsendung gehört hat, die aus den Vereinigten Staaten für uns unterwegs ist.« – »Eine Geldsendung? Ah, käme sie doch an! Ich wünsche es dringend.« – »Warum?« – »Du mußt wissen, daß mir der Präsident seit drei Monaten mein Gehalt schuldig geblieben ist. Ich gelte hier für reich und muß ein großes Haus führen, um Eurer Sache dienen zu können. Und doch ist meine Kasse vollständig erschöpft. Ich weiß, daß Juarez jetzt darben muß, aber ich bin bereits gezwungen gewesen, Anleihen zu machen. Der Nimbus, mit dem ich verstanden habe, mich zu umgeben, wird da nicht mehr lange vorhalten.« – »Ja, der Präsident ist allerdings jetzt fast von allen Mitteln entblößt; wenn er dir trotzdem Geld sendet, so magst da daraus ersehen, daß er die Vorteile, die uns deine Schönheit bringt, zu schätzen weiß.« – »Er schickt Geld?« fragte sie freudig. – »Ja.« – »Wann? Durch wen?« – »Jetzt, heute, durch mich.« – »Herrlich, herrlich!« – »Ich habe das Geld zwei Wochen lang mit mir herumgetragen. Du mußt entschuldigen, ich konnte wahrhaftig nicht eher kommen.« – »Du bist entschuldigt, lieber Gerard, denn ich kenne deine Sorgfalt für mich. Aber sage mir, wieviel es ist?« – »Ein Halbjahresgehalt; drei Monate leider post-, aber dafür nun auch drei Monate pränumerando. Bist zu zufrieden, Kind?« – »Sehr, sehr! Ist‘s in Papieren?« – »Ja. Wie könnte ich so viel in Münze bei mir führen?« – »In welchen Papieren? Die nordamerikanischen könnten mich bloßstellen.« – »Es sind gute Scheine der englischen Bank.« – »Ah, das ist prächtig und sehr vorsichtig!« – »Hier hast du sie.«

      Gerard fuhr in den Schaft seines elenledernen Jagdstiefels und zog ein Paket hervor, das er ihr überreichte. Sie öffnete es, zählte nach und sagte:

      »Richtig; es stimmt! Nun bin ich wieder reich! Aber, lieber Gerard, du mußt mir den Gefallen tun, eines dieser Papiere von mir anzunehmen.«

      Sie hielt ihm mit aufrichtig bittender Miene eine Hundertpfundnote entgegen.

      Er aber schüttelte den Kopf, schob ihre Hand zurück und erwiderte:

      »Ich danke dir, Emilia; du meinst es herzlich gut mit mir, aber ich darf deine Güte nicht mißbrauchen. Ich hätte keine Verwendung dafür.« – »Aber Gerard, keine Verwendung!« schmollte sie. »Sieh dich nur an!«

      Er warf einen belustigten Blick auf sich hinab, sah dann im Boudoir umher und fragte:

      »Du meinst, daß ich nicht gut zu dir passe?« – »Ganz und gar nicht!« – »Ja, du hast recht. Aber wenn du zu mir in den Wald kämst, würdest auch du nicht zu mir passen. Ich gehe so, wie ich es nötig habe. Meine Kleidung ist gut genug für meine Zwecke. Und glaubst du, daß ich sie mit dieser Hundertpfundnote bezahlen könnte? Übrigens brauchst du dich nicht um mich zu sorgen, ich bin nicht so arm, wie du denkst« – »Ah, du bist reich!« – »Beinahe. Ich habe nämlich oben in den Bergen ganz zufällig eine Goldader entdeckt. Brauche ich Geld, so gehe ich hinauf und breche mir ein Stück heraus. Sei also bedankt für dein Geschenk! Willst du mich mit etwas erfreuen, so gib mir ein wenig zu essen, ich habe gewaltigen Hunger.«

      Sie stieß ein wohltönendes Lachen aus. Er stimmte ein und fragte:

      »Du