Karl May

Waldröschen VII. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 2


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Und solche Leute wollen Patienten sein. Hast du dir das mit den Rippen genau gemerkt?« – »Sehr genau!« – »Getraust du dir, sie auch der Señorita einzurichten?« – »Ganz gewiß. Ganz ausgezeichnet. Nur eins muß ich sicher wissen, ob es nämlich auch wirklich die Rippen sind, die sie gebrochen hat.« – »Was anderes soll sie denn gebrochen haben?« – »Vielleicht den Hals?« – »Da wäre sie tot.« – »Oder ein Bein!« – »Nein; an den Beinen habe ich sehr stark gezogen und gezerrt.« – »Oder einen Arm.« – »Sie kann sie ja alle zwei bewegen.« – »Nun, so können es also nur die Rippen sein.« – »Es fragt sich, ob sie es erlaubt, daß du auf sie trittst und springst.« – »Das ist gar nicht nötig.« – »Nicht? Warum denn nicht?« – »Eine Señorita ist viel zarter gebaut wie ein Mann; da braucht man nicht zu treten und zu springen. Es genügt, wenn man mit den Fäusten tüchtig drückt und trommelt. Dann schnappen die Rippen von selber ein.« – »Und einer muß halten.« – »Ja, natürlich; damit sie mich nicht stört.« – »Wen wirst du dazu nehmen?« – »Ich weiß noch nicht Du hättest wohl Lust?« – »Ja. Die Señorita wird jedenfalls ein gutes Geschenk geben, wenn sie wieder gesund ist. Willst du mich ihr vorschlagen?« – »Ja; aber nur unter der Bedingung, daß du sie festhältst. Sie mag schreien, weinen, bitten, räsonnieren, wie sie will; du darfst nicht darauf hören, sondern du mußt festhalten, bis du die Rippen schnappen hörst« – »Hört man dies denn?« – »Ja; sie geben einen lauten Knacks, den man nicht gut überhören kann.« – »Gut Ich werde so festhalten, daß zehn Pferde nichts machen könnten.« – »So sind wir also einig. Du gehst nun zu ihr und sagst daß ich ein Bader bin.« – »Ja. Und du sagst ihr nachher, daß ich dir helfen soll.« Während dieses grotesk-komischen Gesprächs hatten die beiden Kerle sich Mühe gegeben, das Hängeschloß zu öffnen. Jetzt endlich gelang es. Die Tür wurde aufgetan und, nachdem der Vaquero hineingestoßen worden war, wieder hinter ihm verschlossen. Dann hörte man, daß die Männer sich entfernten.

      6. Kapitel

      Gleich im ersten Augenblick war der Alte auf eine Gestalt getreten, die zusammengekauert an der Mauer zu sitzen schien. Bei dem zweiten Schritt stieß er an eine Person, die auf dem Boden lag. Erkennen konnte er nichts, denn es war vollständig dunkel.

      Er wartete nun, bis die Schritte verhallt waren, dann sagte er:

      »Señor Arbellez.«

      Ein leises Stöhnen antwortete.

      »Señor Pedro Arbellez.«

      Das Stöhnen wiederholte sich, aber ein Wort hörte man nicht. »Señora Marie Hermoyes!« – »Das bin ich«, antwortete die an der Mauer sitzende Gestalt. »Wer seid Ihr?« – »Wer ich bin? Ah, kennt Ihr mich denn nicht an der Stimme?«

      Der Vaquero nannte seinen Namen. Da fuhr Marie von ihrem kalten, feuchten Sitz so schnell auf, als es ihre Fesseln zuließen, und rief:

      »Du bist es? Du? Ist das möglich! Wie kommst du herein zu uns?« – »Ich bin Gefangener«, antwortete er. – »Mein Gott! Bereits glaubte ich, Rettung durch dich erwarten zu können.« – »Wenn Gott kein Wunder tut, ist Rettung unmöglich.« – »Santa Madonna! Auch du verzweifelst?« – »Verzweifeln? Nein, denn Gott lebt noch, er allein kann uns retten.« – »Oh, möchte er es bald tun, sonst sind wir verloren. Wie hast du es in Fort Guadeloupe gefunden, und wie bist du in Cortejos Hand gefallen?« – »Das werde ich später erzählen. Laßt uns zunächst über die Gegenwart sprechen. Der hier liegt, ist Señor Arbellez?« – »Ja.« – »Steht es schlimm mit ihm?« – »Er ist am ganzen Körper blutrünstig und fällt aus einer Ohnmacht in die andere. Weißt du schon, was mit ihm geschehen ist?« – »Ja. Gott vergelte es diesem Satan am Tag des Gerichts. Ihr sollt verhungern!« – »Ja, und verdursten.« – »So habt Ihr gar nichts zu essen und zu trinken?« – »O doch! Irgendein Mitleidiger hat uns täglich Brot und Wasserflaschen durch das Luftloch herabgelassen. Auch andere Dinge scheinen dabei zu sein. Leider aber kann uns das alles nichts helfen, denn wir sind ja gefesselt. Ich kann die Hände nicht gebrauchen.« – »Ebenso wie ich. So habt Ihr noch nichts genossen?« – »Noch gar nichts.« – »Mein Gott! Und dieser enge Raum? Drei Personen können hier kaum stehen, geschweige denn liegen. Ah, da fällt mir ein, ich habe ja mein Messer bei mir.« – »Dein Messer? Hat man dich nicht entwaffnet?« – »Freilich, aber man hat vergessen, mir die Taschen auszusuchen. In der linken Tasche meiner Hose steckt mein Klappmesser, es ist scharf wie Gift, aber ich kann die Hand nicht in die Tasche bringen.« – »Vielleicht gelingt dies mir, wenn du zu mir trittst.« – »Laß es uns versuchen.«

      Der Vaquero trat ganz nahe zu Marie Hermoyes heran, so daß es ihr gelang, eine ihrer gefesselten Hände in seine Tasche zu bringen und das Messer herauszunehmen.

      »Aber was nun?« fragte sie. »Ich kann es nicht öffnen.« – »Halte den Griff nur fest, ich werde die Klinge mit den Zähnen packen«, erwiderte er.

      Dies geschah, und nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es.

      »So«, sagte endlich der Vaquero. »Jetzt nehme ich das Messer in meine rechte Hand, und du reibst deine Fesseln an der Schneide hin und her. Hast du einmal deine Hände frei, so schneidest du auch meine Riemen durch.«

      Auch dies geschah; wenngleich eine lange, Zeit verging, ehe sie zum Ziel gelangten, standen sie endlich doch fessellos da.

      »Gott sei Lob und Dank!« rief Marie. »Nun kann ich doch nach unserem guten Señor sehen oder wenigstens nach ihm greifen. Nimm dich in acht, daß du nichts von dem zertrittst, was uns der unbekannte Wohltäter herabgelassen hat.« – »Laß uns zunächst sehen, was es ist!« entgegnete der Vaquero.

      Beide knieten nieder und fühlten mit den Händen um sich.

      »Ein kleines Brot«, sagte Marie. – »Eine Wasserflasche«, meinte der Vaquero. – »Noch ein Brot. Ah, und hier finde ich ein Talglicht!« – »Ist‘s wahr, Señora?« – »Ja.« – »Nun, so hat man jedenfalls auch Zündhölzer herabgelassen. Leider werden sie wohl naß geworden sein. Ah, hier liegt ein kleines Lederpaket.«

      Der Vaquero öffnete es, betastete den Inhalt und fuhr fort:

      »Wirklich Zündhölzer, noch ganz trocken, und ein Zettel dabei! Laßt uns das Licht anbrennen, Señora Marie, damit wir uns umsehen können.«

      Das Licht war bald in Brand gesteckt, und so fanden sie noch ein zweites Licht und noch eine dritte und vierte Wasserflasche.

      »Gott sei Dank, verdursten können wir nun doch nicht«, rief Marie erfreut, »Jetzt muß ich vor allen Dingen sehen, ob etwas aus dem Zettel steht.«

      Sie hielt nun denselben etwas näher an das Licht und las:

      »Von einem, der sich an Euch versündigt hat. Heute muß ich fort, aber ich habe einen anderen gefunden, der Euch an meiner Stelle täglich Licht Brot und Wasser geben wird. Betet für mich und vergebt mir.«

      »Wer mag das sein?« fragte Marie. – Jedenfalls der, der den Señor geschlagen hat« – »Ja, jedenfalls. Gott verzeihe es ihm! Er mußte gehorchen. Aber, heilige Maria, wir denken ja gar nicht an unseren Herrn.«

      Jetzt beleuchtete sie Pedro Arbellez. Er bot einen traurigen Anblick dar.

      Seine Augen waren geschlossen, und sein Gesicht glich dem eines Toten. Er bewegte sich nicht. Die beiden braven Leute brachen in das heftigste Weinen aus.

      »O heiliger Himmel, mein lieber, lieber Señor!«

      Während Marie diese Worte schluchzte, nahm sie den Kopf des in dieser Weise Gemarterten in den Arm, und der Vaquero ballte die Faust.

      »Das hätte ich vorhin wissen sollen, als ich bei dieser Josefa war!« sagte er. – »Oh, du warst bei ihr? Wie kamst du zu ihr? Was sagte sie?« – »Später davon! Ich habe ihr einen Tritt versetzt, daß sie einige Rippen gebrochen hat. Hätte ich aber vorher gesehen, was ich hier sehe, so hätte es ihr ganz sicher das Leben gekostet.« – »Was ist da zu tun?« rief Marie. »Unser guter Herr wird sicherlich sterben.« – »Das Beste und Notwendigste, was wir brauchen, hat uns Gott bereits beschert!« – »Wasser, nicht wahr?« – »Ja. Und hätte ich Leinwand an mir, ein Hemd oder …« – »Oh, ein Hemd habe ich, und auch einen übrigen Rock«, rief Marie.