Nein sagen, – gab Graf Lunin liebenswürdig nach und beugte sich demütig. Er blickte verliebt auf Natalja Andrejewna. Ihre Wangen wurden sofort rosenrot. Um die Verwirrtheit zu verbergen, schlug sie ihren Fächer auf und begann sich damit umwehen. Die Gespräche hörten auf. Atemlos warteten alle auf die Erzählung von Grafen Lunin.
– Es war vor fast fünfzehn Jahren, – fing Graf an. – Ich diente damals als FliegelAdjutant Seiner Imperatorischen Hoheit. Viele von Ihnen haben wohl vom ungeheuren Drama gehört, das im Winterpalast am 17. Dezember 1837 abspielte.
– Geht es etwa um den Brand, gnädiger Herr? – erkundigte sich der Onkel von der Gräfin.
– Ganz recht, gnädiger Herr, – Iwan Dmitrijewitsch nickte ihm leichthin mit dem Kopf zu.
– Tjaa, – sagte der alte Mann nachdenklich und schmatzte wie immer mit den Lippen.
– Der Feuerschein war so groß, dass viele ihn sehen konnten, seien es Bauern aus umliegenden Dörfern oder Wanderer auf den Wegen, 60 Wersten von Sankt Petersburg entfernt. So ist es… Ich war damals…
– Was Sie immer sagen, Onkel, war das ein erschütterndes Geschehen, – unterbrach ihn Natalja Andrejewna und seufzte traurig, – und es hatte bittere Konsequenzen. N’est-ce pas?[7]
Die Gräfin sah Iwan Dmitrijewitsch fraglich an. Kaum stieg die Röte in die glatt rasierten Wangen des Grafen, verloren sie sofort die Farbe. Er wurde konfus und schlug die Augen nieder. Doch da er der Sache bewusst war, die Gräfin mit seinem Benehmen kompromittieren zu können, nahm er sich zusammen und setzte seine Erzählung fort:
– Unseligerweise ja… Die grausamen Ereignisse, die ich erleben musste, verursachten wirklich viel Elend. Das Brandfeuer vernichtete zahlreiche unschätzbare Kunstwerke und brachte viele Menschen ums Leben.
– Menschen? – Von allen Seiten des Salons kamen erstaunte Ausrufe. – Das ist aber unmöglich! Man sagte, alle hätten sich gerettet! Comment est ce possible?[8] Sie irren sich… Waren Sie während des Brandes mit Seiner Imperatorischen Hoheit? Wie hatte er das zugelassen?
– Meine Herrschaften, – wehrte Graf Lunin die Fragen ab. – Nicht alle auf einmal, bitte! Wenn Sie gestatten, würde ich zuerst meine traurige Erzählung fortsetzen und dann alle Ihre Fragen beantworten – wenn es dann welche bleiben… Also, noch ein frostiger Tag des scheidenden Jahres näherte sich seinem Ende zu. Dazu muss ich sagen, der Winter hatte in dem Jahr ziemlich früh seinen Einzug gehalten, und es wurde mit jedem Tag immer kälter. An jenem Abend hatte ich im Winterpalast Wachdienst. Am nächsten Tag musste die Inspektion der Rekruten und der niederen Ränge stattfinden, man erwartete die Ankunft des Großfürsten Michail Pawlowitsch. Deshalb fingen die niederen Ränge an, sich neben dem Feldmarschallsaal zum letzten Hinweisempfang zu sammeln, sobald der Imperator mit seiner Familie den Palast verließ, um sich an der «Verliebten Bajadere» zu ergötzen. Die Versammlung wurde vom Kasernengeist umhüllt, doch auch er konnte den entstandenen Brandgeruch nicht dämpfen, der schon seit einigen Tagen in der Luft lag.
– Waren denn weder Diener, noch wachhabende Offiziere dadurch beunruhigt? – staunte Fürst Besborodski.
– Doch. Natürlich störte es sie. Ich kann Sie versichern, dass ich selber in den Keller gegangen war und dort jede Ecke untersuchte. In einem der Bauten, befand sich nämlich das Labor, wo die Medikamente für den Hof zubereitet wurden. Das Zimmer wurde so gestaltet, dass es über dem Tisch eine eiserne Haube hing. Es wurde ursprünglich angenommen, die schlimmen Gerüche würden verfliegen. Doch leider hatte der Architekt einen Fehler gemacht, und die Menschen litten stark unter erstickenden Dünsten. Dann wurde in den Schornstein ein Loch geschlagen. Den Menschen, die dort arbeiteten, hat es wirklich eine Erleichterung gebracht. Doch zusammen mit dem Rauch zog auch die warme Luft aus. Und wie ich schon erwähnt habe, war der Winter hart, und den Dienstleuten, die hier übernachten mussten, s’engourdissait du froid[9]. Kein Wunder also, dass das Gesinde die Weise erfunden hatte, die Wärme zu sparen: Für die Nachtzeit wurde das Loch mit Bastdecken und Lappen vollgestopft.
– Maintenant, il est clair[10], – brummte Fürst Besborodski vor sich hin. – Man hätte sie bloß davon treiben sollen.
– Aber gnädiger Herr, – Natalja Andrejewna schlug ihre Hände über dem Kopf zusammen. – Ich würde diese Leute nicht verteidigen, aber man kann die auch verstehen.
– Ich habe für sie so gut wie kein Verständnis. Jeder Schuster sollte bei seinen Leisten bleiben, – sprach der Fürst aus, seine Arme übereinandergeschlagen, und ließ seinen Blick über die anderen Gäste gleiten.
– Aber Herrschaften, bitte! – stotterte die niedliche Gräfin, ihre Wangen rot vor Aufregung. – Lassen wir den Grafen mit seiner Erzählung fortfahren. Er hat uns so… so…
– … so fasziniert, ma chérie? – sprach Graf Akussin seine junge Ehegattin an.
– Oui, très intéressant[11], – sagte die Gräfin bestürzt und wurde schamrot.
– Setzen Sie fort, lieber Iwan Dmitrijewitsch, – sagte Natalja Andrejewna. Die Erzählung erweckte ihr Interesse, und sie war auf die Fortsetzung gespannt.
– Ich unterwerfe mich Ihrem Willen, Gräfin, – antwortete der Graf ehrerbietig. – Also… Wir hatten die Rauchquelle gefunden und den Schornstein, so sorgfältig wir es nur konnten, gefegt. Nach einiger Zeit war der Geruch verschwunden und alle hatten sich beruhigt. Aber wahrscheinlich schwelten die Reste von Bastdecken weiter und bald war der Rauchgeruch wieder zu spüren. Eben diese Fetzen wurden dann Grund der Not… Jener Abend war besonders frostig. Draußen war es klirrend kalt. Alle Fenster waren skurril gemustert. Wie ich schon gesagt habe, hatten sich neben dem Feldmarschallsaal viele Leute versammelt. Zuerst wurde der Rauchgeruch durch die Weihrauchbrenner, die Dufte ausströmten, und dem kräftigen Kasernengeist gedämpft. Aber ein wenig später bemerkte einer der Offiziere, dessen Namens ich mich nicht mehr entsinnen kann, einen leichten Rauch unter der Tür hervorsickern. Es wurde ein Bote gesandt, um mich zu holen. In Minutenschnelle kam ich zum Saal. Wir öffneten die Tür und sahen das Feuer durch das nicht abgedichtete Luftloch durchdringen. Alle blieben starr und steif stehen; niemand konnte seinen Augen glauben. Alle haben sich wohl naïvement[12] gehofft, der Brand würde ganz von alleine aufhören, um so mehr als die Flammen immer kleiner wurden. Doch, es stellte sich heraus, das Feuer kam eben in Schwung. Als das Feuer mit Geknister und Gezisch in der Saalecke ausbrach, wurde ich des ganzen Ernstes der Situation bewusst. Ich ließ den Feuerwehrdienst, den es am Hof gab, benachrichtigen und beginnen, alle Porträts und Ausstattungsgegenstände zu retten und eilte selber ins Theater, wo der Imperator das Ballett genoß, ohne zu ahnen, was geschah. Ich drang tatsächlich in die Zarenloge ein, was seinen Zorn erregte. Aber, meine Tat mit außerordentlicher Eile rechtfertigend, sprach ich den Imperatoren direkt an. Sein Gesicht verlor das Lächeln und die Seelenruhe und wurde wie versteinert. Er sagte der Imperatorin, dass dringende Angelegenheiten ihn in den Palast treiben, ließ seine Familie nach der Aufführung in seinen eigenen Palast fahren und ging eilig aus.
Graf Lunin schwieg eine Weile. Die Gäste hörten ihm in atemberaubender Spannung zu. Iwan Dmitrijewitsch seufzte tief und sprach weiter:
– Wie ein Pfeil schnellten wir zum Palast. Der Imperator stieg aus der Kutsche und blickte den Palast einschätzend an, sein Gesicht wurde grämlich: Das Feuer hatte sich nämlich über viele Säle verbreitet. Niemand konnte seinem Geschwelge widerstehen – es war der Held des Abends. Als der Imperator den Streitkräften und allen Feuerwehrdiensten der Hauptstadt befahl, unverzüglich zu kommen, lief er nach innen. Ich wollte ihn daran zu hindern, aber der rigorose Blick, dessen der Imperator mich würdigte, war beredter als die Worte. Ich unterordnete mich…
– Wurde die Bekämpfung des Brandes selbst vom Imperator geleitet? C’est incroyablе![13]
– Ja,