Dein Wesen und Lieben mir klar und klarer hervortrat, sah ich wieder heiteren Blickes auf den geöffneten Rückweg.“
Genug an diesen Proben.
Eugenie kehrte am 21. December 1839 nach Leipzig zurück. Von da an bis April hört naturgemäß der Briefwechsel fast ganz auf. Weit häufiger und consequenter als dies aus den mitgetheilten Proben gefolgert werden könnte, dringt immer von neuem durch alle Glückseligkeit des neugewonnenen Liebesglückes Blum’s ruhige überzeugte Mahnung, daß er sein Heim nur gründe mit dem Vorbehalte, seine Schuld an das Vaterland abzutragen, sobald dieses rufe.
Er dachte wohl selbst kaum an diesen Vorbehalt, als am 29. April 1840 der Pastor von St. Thekla bei Leipzig seine und seiner Eugenie Hände, und die Hand ihres Bruders Georg mit der Hand der geistvollen Lina Böhme, zusammenfügte. Auch über dem kleinen Häuschen, in dem Blum mit seiner jungen Frau allein wohnte, dem letzten einstöckigen Hause, das zur „kleinen Funkenburg“ an der Frankfurter Straße in Leipzig gehört, und über dem großen Garten, der sich daran schloß, stand nicht eine einzige trübe Wolke ein ganzes Jahr lang und länger. Hier erlebte Robert Blum im Juni 1841 und im September 1842 die ersten Vaterfreuden. Hier sah er seine Herren Jungens mit dem Schäfer bis zum Thore ziehen, und hinter dem Hause auf der großen Wiese die Seiltänzer während der Messen anstaunen und zu den Aprikosenbäumen, die zu stark waren, um geschüttelt zu werden, sprechen: „Bitte bitte!“ Hier wohnte er noch, als sein Name weit über das Weichbild der Stadt hinausgedrungen war.
9. Wachsendes öffentliches Wirken
(1840–1844)
Das Jahr 1840 bezeichnet auch für das Königreich Sachsen, wie für Preußen durch die Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV., eine neue Epoche der politischen Entwickelung. In Sachsen bestieg in jenem Jahre kein neuer Fürst den Thron des Landes, aber ein neuer Geist erfüllte das Leben des Staates. Zum ersten Male trat hier vor Allem das Gefühl der Solidarität gesammtdeutscher Volksinteressen in der Bürgerschaft wie im Landtag lebendig hervor. Was 1837 bei der Vertreibung der sieben Göttinger nur von einigen Hunderten unverantwortlicher Bürger gewagt worden war: dem verletzten deutschen Verfassungsrecht gegenüber den unbeugsamen Rechtssinn des deutschen Bürgerthums zur Geltung zu bringen, dasselbe vertrat schon in dem am 10. November 1839 eröffneten Landtag der alte ehrenwerthe und maßvolle Veteran des Sächsischen Verfassungsrechtes, Eisenstuck, der in seiner Person eigentlich weit mehr den genügsamen Dresdner Localpatriotismus, als die schwungvolle Opposition des Voigtlandes und gar Leipzigs vertrat; Leipzig war und blieb für Eisenstuck vielmehr immer eine Quelle der Abneigung. Und dennoch befürwortete dieser vorsichtige maßvolle Mann bei Zusammentritt des Landtages den Antrag v. Dieskau’s „die Uebereinstimmung der Kammer mit dem Beschluß der badenschen Volkskammer über diesen empörenden Vorgang, gegen die Regierung aber die zuversichtliche Erwartung zu erklären, dieselbe werde die constitutionellen Rechte der Bundesstaaten beim Bundestage zu wahren wissen.“ Diesem Antrag, über den v. Watzdorf Bericht erstattete, trat die zweite Kammer einstimmig bei und richtete außerdem zwei andere Anträge von nationaler Bedeutung an die Regierung: auf Errichtung eines Bundesstaatsgerichtshofes und auf Veröffentlichung der Bundesprotocolle. Seltsamerweise erlangten diese beiden Anträge sogar die Zustimmung der ersten Kammer, während das Haus der Sächsischen Lords selbstverständlich die Einmischung des Volkshauses in den hannöverschen Verfassungsbruch als bundesverfassungswidrig[37] zurückwies. Die Regierung lehnte aber selbst die von beiden Kammern beschlossenen Anträge im Landtagsabschied ab: die Veröffentlichung der Bundesbeschlüsse, da diese „lediglich zur inneren Geschäftsordnung des Bundestags gehöre“ (!), die Befürwortung eines Bundesstaatsgerichtshofes, weil hierzu „im Hinblick auf die Verhältnisse Sachsens (!) ohnedies keine Veranlassung vorliege.“ Damit war rund heraus erklärt, daß die Regierung gemeindeutsche Angelegenheiten überhaupt nicht kenne, mindestens den Kammern nur gestatte, den engsten sächsischen Standpunkt an Deutsche Fragen zu legen.
Aber auch in innern Fragen zeigte sich die Regierung von einer bemerkenswerthen Beschränktheit des Gesichtspunktes, voll der größten Aengstlichkeit gegen die freiheitlichen Forderungen der Zeit. Die Verfassung von 1831 enthielt alle Keime zu gesunder freiheitlicher Entwickelung. Bis zum Jahre 1840 war es, wie gezeigt wurde, die Regierung, welche aus freiem Antrieb diese Keime förderte und pflegte. Nun auf einmal verrieth sie die entschlossene Absicht, jeden neuen Trieb und jede Entwickelung über das Gegebene und Vollendete hinaus zu unterdrücken. Dies offenbarte sich zuerst, als dem Landtag von 1839 das dem letzten Landtage versprochene Preßgesetz von der Regierung vorgelegt wurde. Die Kammer ernannte – so sehr war der Einfluß der Opposition schon gewachsen – den Wortführer der Liberalen, Carl Todt, zum Referenten über das Gesetz. Und Todt und die Preßgesetz-Deputation (Commission) schlugen so umfassende Aenderungen an dem zopfig-reactionairen Regierungsentwurfe vor, daß die Regierung vorzog, das ganze Gesetz zurückzuziehen. Mochte man das nun auch als ein Zeichen ihrer Schwäche ansehen, da sie den parlamentarischen Principienkampf scheute und mindestens in der zweiten Kammer einer Niederlage entgegensah, so beharrte sie doch ruhig auf ihrem Verbietungs-Standpunkt der freien Presse gegenüber und schien einen gleich überlebten Standpunkt einzunehmen auf einem anderen Gebiet, an welches sich mit einer uns heute kaum begreiflichen Erregung die Interessen aller Staatsbürger damals hefteten: auf dem Gebiete der Strafrechtspflege und des Strafprocesses. Sachsen hatte 1838 ein neues Strafgesetzbuch erhalten, welches, wahrhaft human und wissenschaftlich gearbeitet, leider das letzte große Denkmal der Regierungskunst Bernhard’s von Lindenau sein sollte. Weimar und Altenburg hatten dieses Gesetz ohne Weiteres bei sich eingeführt. Neben diesem wahrhaft modernen Gesetze aber stand in Sachsen im Strafverfahren der alte Inquisitionsproceß in widerlicher Blüthe, in allen seinen Schattenseiten nur verstärkt durch die unselige Zerrissenheit der Sächsischen Gerichtshoheit. Neben dem Staat schaltete in der Hand eines ungebildeten, verarmten Landadels die Patrimonialgerichtsbarkeit über Ehre und Freiheit der Gerichtseingesessenen. Längst hatte der Sächsische Liberalismus die Forderung erhoben, daß die ganze Strafrechtspflege nur vom Staat geübt werden dürfe, daß als Grundlage des Strafprocesses das Anklageverfahren, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Processes anerkannt werden müsse. Die Fortgeschrittensten machten der Regierung sogar graulich durch das Verlangen nach Schwurgerichten. Allen diesen Verlangen setzte die Regierung bisher ein absolutes non possumus entgegen.
Ursachen und bewegende Fragen genug, um in weiten Kreisen des Volkes Interesse an politischen Dingen, ja Aufregung und Gährung zu erzeugen! Bis 1840 hatte das Sächsische Volk in politischen Dingen, namentlich in inneren Verfassungsfragen, fast überall im Stande paradiesischer Unschuld gelebt und die Fürsorge für sein Wohl der erleuchteten und wohlmeinenden Regierung überlassen, aus deren Händen es 1831 die Verfassung empfangen hatte. Nun aber hatte es vom Baume der Erkenntniß gegessen und sah bestürzt ein, daß sehr viel faul und verbesserungsbedürftig sei in dem geträumten Paradiese. Keiner hat diese Erkenntniß geschickter und rühriger gefördert, als Robert Blum.
Als nächster und willkommenster Anlaß zu einer großartigen Demonstration für die Freiheit der Presse und die gewaltige, unüberwindliche Macht des gedruckten Wortes bot zu Beginn des Jahres 1840 die Feier sich dar, welche Leipzig, der Centralsitz des deutschen Buchhandels, das Hauptquartier der deutschen Schriftstellerwelt jener Tage, für den 24. Juni 1840 vorbereitete, d. h. der vierhundertjährige Jahrestag der Erfindung der Buchdruckerkunst. Schon in seiner Stellung beim Theater – Blum war zu Anfang des Jahres erster Cassirer geworden und führte daneben das Secretariat fort – war Blum bei der Zusammensetzung des großen Vorbereitungscomité nicht zu umgehen; noch weniger vermöge seiner Stellung als Schriftsteller und Agitator. Die Protocolle über die Comitésitzungen, die Blum geführt hat, weisen nach, wie er hauptsächlich den politisch-nationalen und fortschrittlich-demonstrativen Charakter des Festes gegenüber dem ursprünglichen Project eines bloßen Zunftjubiläums nachdrücklich betont und endlich damit durchdringt. Die Austrittserklärungen der „Angstmichel“ des Comité, nachdem die Sache diese Wendung genommen, sind von erschütternder Komik. Blum und einem andern, später vielgenannten Mitgliede des Comité, dem späteren Oberbürgermeister Leipzigs, Koch, war es hauptsächlich zu danken, daß das Fest gefeiert wurde Leipzigs und Deutschlands würdig, als ein Fest der Gedankenfreiheit, mächtig zündend in den Gemüthern der Theilnehmer[38], so daß selbst der