Gerstäcker Friedrich

Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.


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– »es ist ein wunderlicher Name, und ich habe mir schon oft den Kopf darüber zerbrochen, weshalb man derartige Leute Künstler nennt – doch wohl nur deshalb, weil sie sich mit einem solchen Instrumente nur höchst künstlich am Leben erhalten und vor dem Verhungern schützen können. Künstler – der Name hat etwas Vogelfreies in der Bedeutung, selbst in dem Doppelsinn des Wortes – eine wunderliche Brüderschaft mit ihren Auswüchsen von Seiltänzern, Taschenspielern und Bänkelsängern. – Man sagt, das Handwerk habe einen goldenen Boden, und was hat die Kunst? – Einen vergoldeten Deckel, und darunter liegt Jammer und Elend, Hunger und Noth – Neid und Bosheit. – Wenn ich einen Knaben hätte, er müßte mir ein Handwerk erlernen, und wenn er das geringste Talent zu einer sogenannten »Kunst« verriethe, drehte ich ihm mit kaltem Blute selber den Hals um.«

      »Und doch sitzen hier oben auf dem einen alten Felsblocke zwei lebendige Wesen, die der nämlichen vogelfreien Gilde angehören,« lachte Könnern.

      »So treffen sich die Menschen in der Welt,« sagte der Fremde leise, »wandern eine kurze Strecke eine und dieselbe Bahn und trennen sich wieder, um an verschiedenen Orten ihr eigenes Grab aufzusuchen – wunderliches Leben das!« – und wieder sein Instrument aufnehmend, überließ er sich ganz seinen wilden Phantasien. Könnern unterbrach ihn auch nicht darin und zeichnete fleißig weiter, bis er die erste Anlage seiner Skizze vollständig beendet hatte und aufstand, um seine Mappe zu schließen.

      »Sind Sie fertig?« fragte der Violinspieler und sprang ebenfalls auf.

      »Noch nicht, aber doch mit der Anlage. Wie finden Sie die Skizze?«

      Der Fremde warf einen flüchtigen Blick darüber hin, und dann die vor ihnen ausgebreitete Gegend mit dem Auge überfliegend, sagte er, wieder zu der Zeichnung zurückdeutend: »Da liegt die Palme, die wir erst gefällt, und gleich darüber, in die Blüthenbüsche hineingeschmiegt – doch fort, was kümmern mich die Leute, und daß ich immer dorthin zurück muß, kann ich's ändern? – Ha, da ist das Directions-Gebäude und die Kirche, wo die Bauern Sonntags ihre Gesangbuchsverse abbrüllen und das Andacht nennen. Dahinter liegt der kleine, dunkelgrüne Hügel – da das Schulhaus, wo hinein sie mich bannen wollten, wenn ich nicht eben vogelfrei gewesen, und hier im Vordergrunde die Höhle des alten Mannes mit den weißen Haaren, der vollkommen Recht hat, daß er die Menschen haßt und scheut, und nur dabei vergißt, daß er ein anderes, junges Leben ebenfalls in seiner Gruft vergräbt.«

      »Sie kennen den alten Meier?« fragte Könnern rasch.

      »Ich kenne ihn,« sagte der Fremde ruhig, »und habe ihn manchmal gesehen, wie man den Panther sieht, wenn man durch den Wald streift – wie einen Lichtschein durch die Büsche, und fort! Aber das ist keine Natur die mir zusagt, ich hasse Vögel im Bauer, und nur draußen in der Freiheit – da – da sehen Sie dort?!« unterbrach er sich rasch und deutete mit ausgestrecktem Arm in die Ansiedelung hinab, »sehen Sie, wie der Schimmel dort unten durch die Straßen fliegt? – sehen Sie, wie die Locken der Amazone wehen, wie ihr Auge blitzt, wie die Wangen vom scharfen Ritt geröthet sind und die kleine Hand das Thier unter sich doch immer zu noch schärferer, wilderer Flucht antreibt? – Ach, das ist Musik, wenn das muthige Roß den Boden mit den Hufen schlägt – das ist Musik, wenn ihr fröhliches Lachen durch die Seele dringt und die Brust mit Wonne und Jubel füllt! Das Andere, was wir Musik nennen,« setzte er langsamer und finster hinzu, »ist nur eine Art von musikalischem Lärm – ein Mißton in der Harmonie der Natur – gehen Sie mir mit solcher Musik!« Und ohne eine weitere Antwort des jungen Malers abzuwarten, ja, ohne ihn weiter zu beachten oder Abschied von ihm zu nehmen, stieg er mit seiner Geige mitten in das Dickicht hinein, um sich seinen Weg nach der Ansiedelung hinab direct zu bahnen.

      Könnern, der anfangs dem ausgestreckten Arme des Fremden mit dem Blicke gefolgt war, hatte in der von hier aus ziemlich fern gelegenen Colonie nur eben drei Reiter erkennen können, die in voller Flucht die breite Hauptstraße hinabsprengten. Einer von diesen ritt einen Schimmel, weiter ließ sich aber natürlich auf solche Entfernung Nichts erkennen.

      Jetzt sah er erstaunt und kopfschüttelnd seinem neuen Bekannten nach, der ihn auf so rasche und schroffe Art verließ. Aber nicht gesonnen sich ihm aufzudrängen, wenn er sich auch fest vornahm, unten in der Colonie nähere Erkundigungen über ihn einzuziehen, packte er sein Zeichenbuch ebenfalls zusammen und stieg langsam auf dem von ihm selber ausgehauenen Weg in die Colonie zurück. —

      In der einen Querstraße Santa Clara's, am westlichsten Ende der Ansiedelung, wo sich der bebaute Platz schon nach den Bergen hin zu heben begann, stand ein kleines, ziemlich ärmlich aussehendes Häuschen mit drei Fenstern und einer Thür und unter dem Ziegeldache eine Bodenkammer.

      Ärmliche Häuser gab es nun zwar in Santa Clara genug, aber die meisten sahen doch wenigstens reinlich aus, und wenn sie auch keinen Reichthum verriethen, zeigten sie doch fast alle das Streben der Insassen nach einer gewissen Wohnlichkeit, die sich auch durch das einfachste Material herstellen läßt, wenn nur eben Alles sauber und in Stand gehalten wird. Es bedarf nicht immer künstlich zugehauener Steine und werthvoller Hölzer; ein Topf weiße Farbe und ein Scheuerlappen verrichten oft vortreffliche Dienste, nur muß der gute Wille und das Gefühl dafür vorhanden sein.

      Hier schien das Alles zu fehlen. Der weiße Anputz des Hauses war lange von Wind und Wetter heruntergewaschen, die Fensterscheiben waren an vielen Stellen zerbrochen und an der Wetterseite mit Papier nothdürftig verklebt. Das Staket des kleinen Gartens, in dem nur Unkraut groß gezogen wurde, lag an mehreren Stellen niedergebrochen; im Dache fehlte hier und da ein Ziegel, und der Regen ward durch untergeschobene Spähne an solchen Stellen nothdürftig abgehalten, sich seinen Weg in's Innere zu bahnen.

      Eben so sah es vor dem Hause selber aus. Wo fast alle anderen Ansiedler gar nicht schwer zu erlangende Steinplatten gelegt, die wenigstens einen trockenen und reinlichen Eingang in den Hausflur bildeten, hatte der Besitzer dieses Hauses bequemer zu erreichendes Material verwandt und nur einige Körbe voll Spähne, die das Feuerholz geliefert, oben auf den weichen Lehm geschüttet und nach und nach hineintreten lassen oder selber hineingetreten. Aber diese waren nicht einmal erneuert worden und dadurch Stellen entstanden, die man bei nasser Witterung nur mit größter Vorsicht passiren konnte.

      Nichts desto weniger prangte über der Thür ein mächtig großes Schild, das fast die Hälfte der Hausbreite einnahm und den Raum zwischen Thürsims und Dach vollständig ausfüllte. Auf diesem standen mit in die Augen springenden Buchstaben die Worte:

Bekleidungs-Akademie von Justus Kernbeutel,Kleiderkünstler für Herrn, und Zimmermaler

      Justus Kernbeutel selber saß auch unter seinem Schilde an einem der offenen Fenster auf seinem Zuschneidetische und hatte ein Paar alte breitgestreifte Hosen vor sich auf dem Schooße, auf die er eben in Ermangelung eines ähnlichen Stoffes einen violet carrirten Flicken setzte, während in dem andern Zimmer auf einem Heerd, der eine ganze Sammlung von schmutzigen und zerbrochenen Töpfen trug, eine zu der ganzen Umgebung vortrefflich passende Frau das Mittagsmahl bereitete.

      Meister Kernbeutel oder »Justus«, wie er in der Ansiedelung gewöhnlich glattweg genannt wurde, schien übrigens seiner Arbeit nicht zu eifrig obzuliegen, denn er ließ oft die Nadel ruhen, um etwa Vorübergehenden nachzusehen oder dann und wann auch Einen oder den Andern anzurufen. In ein ordentliches Gespräch ließ sich aber Niemand mit ihm ein, denn Jeder hatte seine bestimmte Beschäftigung, und daß Justus keine zu haben schien, kümmerte die Anderen eben nicht.

      Justus sah übrigens auch gar nicht so einladend aus, das Haar hing ihm noch wirr um Kopf und Schläfe, als ob er sich an dem Morgen – etwas sehr Wahrscheinliches – noch nicht einmal gewaschen hätte, und ein paar blutige Striemen in dem von Leidenschaften gefurchten und unrasirten Gesichte dienten ebenfalls nicht dazu ihn zu verschönern.

      Sein Humor schien aber dafür desto besser; er pfiff fortwährend bei der Arbeit, aber ob aus eigener fröhlicher Laune oder vielleicht die Vorübergehenden und die Nachbarn wissen zu lassen, daß er sich den Henker um Einen von ihnen scheere, ließ sich nicht genau erkennen. Es kümmerte sich auch Niemand darum.

      Da kam ein einzelner Fußgänger langsam die Straße herauf. Er hatte die Mütze, mit einem Tressenbande darum, schief und herausfordernd auf dem linken Ohr, beide Hände in den Taschen einer alten Militärhose, die Weste um einen Knopf zu hoch eingeknöpft