um Gerechtigkeit wenden sollte. Nicht nur um seinen Besitz mußte es in Sorge sein, sondern – im Vaterland der keuschen Lukrezia! – auch die Ehre der Frauen und Töchter war nicht sicher. Der Herzog von Palliano und seine Brüder entführten die schönsten Frauen; es genügte, das Unglück zu haben, ihnen zu gefallen. Betroffen sah man, daß sie auf den Adel des Bluts gar keine Rücksicht nahmen, und mehr noch: sie ließen sich nicht einmal durch die heilige Abgeschlossenheit der Klöster zurückhalten. Das zur Verzweiflung getriebene Volk wußte nicht, an wen es seine Klagen richten sollte, so groß war das Entsetzen, das die drei Brüder allen einflößten, die sich dem Papst nähern wollten; selbst gegen die fremden Botschafter traten sie unverschämt auf.
Der Herzog hatte schon vor der Machtstellung seines Oheims Violante von Cardona geheiratet, aus einer ursprünglich spanischen Familie, die in Neapel zum ersten Adel gehörte. Violante war durch ihre ungewöhnliche Schönheit und durch eine Anmut berühmt, welche sie gut zu zeigen verstand, wenn sie gefallen wollte, mehr aber noch durch ihren maßlosen Stolz. Doch um gerecht zu sein, muß man auch sagen, daß man nicht leicht eine größere, stärkere Seele hätte finden können als die ihre, und dies wurde auch der Welt deutlich, als sie vor ihrem Tode dem Kapuziner, der ihr die Beichte abnahm, nichts gestand. Sie konnte den bewunderungswürdigen Orlando des Messer Ariosto auswendig und trug ihn mit unendlicher Lieblichkeit vor, wie auch die meisten Sonette des göttlichen Petrarca und die Erzählungen des Pecorone. Aber noch verführerischer war sie, wenn sie sich herabließ, ihre Gesellschaft mit den sonderbaren Einfällen zu unterhalten, die ihr der eigne Geist eingab.
Sie hatte einen Sohn, den Herzog von Cavi. Ihren Bruder Don Ferrante, Grafen d'Aliffe, zog das große Glück seines Schwagers nach Rom.
Der Herzog von Palliano hielt glänzenden Hof. Die jungen Leute der ersten Familien Neapels buhlten um die Ehre, daran teilzuhaben. Rom verwöhnte zu der Zeit mit seiner Bewunderung einen seiner Lieblinge, den Marcello Capecce, einen jungen Kavalier, in Neapel durch seinen Geist und nicht minder durch die göttliche Schönheit berühmt, die ihm der Himmel geschenkt hatte.
Die Favoritin der Herzogin war Diana Brancaccio, eine nahe Verwandte ihrer Schwägerin, der Marchesa von Montebello, die damals dreißig Jahre zählte. Man erzählte sich in Rom, daß sie dieser Favoritin nicht ihren sonstigen Stolz zeige, ja ihr alle ihre Geheimnisse anvertraue. Aber diese Geheimnisse bezogen sich nur auf die Politik; denn die Herzogin erweckte wohl Leidenschaften, doch sie teilte keine.
Auf den Rat des Kardinals Carafa führte der Papst gegen den König von Spanien Krieg und der König von Frankreich schickte dem Papst eine Armee unter dem Befehl des Herzogs von Guise zur Unterstützung.
Aber wir müssen uns an die Ereignisse am Hof des Herzogs von Palliano halten.
Capecce war seit einer Zeit wie toll; man sah ihn die seltsamsten Dinge tun. Tatsache ist, daß sich der arme junge Mensch leidenschaftlich in seine Herrin, die Herzogin, verliebt hatte; doch wagte er kein Geständnis seiner Liebe. Aber er zweifelte nicht, an sein Ziel zu gelangen, denn er bemerkte, daß die Herzogin gegen ihren Gemahl, der sie vernachlässigte, aufs äußerste gereizt war. Der Herzog von Palliano war allmächtig in Rom, und die Herzogin wußte für sicher, daß ihn fast jeden Tag die wegen ihrer Schönheit berühmten römischen Damen in ihrem eignen Palast aufsuchten – ein Schimpf, an den sie sich nicht gewöhnen mochte.
Unter den Kaplänen des Papstes Paul befand sich ein ehrwürdiger Mönch, mit dem er das Brevier zu beten pflegte. Dieser wagte es eines Tags, trotz der Gefahr seines eignen Verderbens, vielleicht auf Veranlassung des spanischen Gesandten, dem Papst alle Schurkereien seiner Neffen zu enthüllen. Der fromme Papst wurde vor Kummer krank; er wollte die Wahrheit des Berichtes bezweifeln; aber von allen Seiten kamen die erdrückendsten Bestätigungen. Es war am ersten Tag des Jahres 1559, als das Ereignis eintrat, das dem Papst die Gewißheit gab und vielleicht die Entscheidung Seiner Heilichkeit bestimmte. Es war gerade am Tag der Beschneidung des Herrn, ein Umstand, der das Vergehen in den Augen eines so frommen Papstes noch erschwerte, daß Andrea Lanfranchi, der Sekretär des Herzogs von Palliano, dem Kardinal Carafa ein prächtiges Abendessen gab. Und damit den Reizungen der Völlerei die der Unzucht nicht fehlten, zu diesem Fest die Martuccia kommen ließ, eine der schönsten, berühmtesten und reichsten Kurtisanen Roms. Das Verhängnis wollte, daß Capecce, der Günstling des Herzogs – eben jener, der im geheimen die Herzogin liebte und für den schönsten Mann der Hauptstadt der Welt galt – , seit einiger Zeit mit dieser Martuccia eine galante Beziehung pflog. An eben diesem Abend suchte er sie überall, wo er hoffen konnte, sie zu treffen. Als er sie nirgends fand und gehört hatte, daß im Hause Lanfranchi ein Fest stattfand, faßte er Argwohn und erschien bei Lanfranchi um Mitternacht, begleitet von vielen Bewaffneten. Man ließ ihn ein, forderte ihn auf, sich zu setzen und am Fest teilzunehmen; aber nach einigen recht gezwungenen Worten gab er Martuccia ein Zeichen, sich zu erheben und ihm zu folgen. Während sie ganz verwirrt und in Vorahnung dessen, was geschehen würde, zögerte, erhob sich Capecce, ging auf das junge Mädchen zu, faßte es bei der Hand und versuchte, es mit sich zu ziehn. Der Kardinal, zu dessen Ehren Martuccia gekommen war, widersetzte sich lebhaft ihrem Fortgehn. Capecce aber bestand darauf und versuchte, sie mit Gewalt aus dem Saal zu ziehen.
Der Kardinal, der an diesem Abend gar nicht in Amtstracht gekleidet war, zog den Degen und verhinderte mit all der Kraft und Kühnheit, die ganz Rom an ihm kannte, das Fortgehen des jungen Mädchens. Marcello rief, trunken vor Zorn, seine Leute herein; aber es waren in der Mehrzahl Neapolitaner, und als sie zuerst den Sekretär des Herzogs und dann auch noch den Kardinal erkannten, den seine ungewohnte Kleidung zuerst unkenntlich gemacht hatte, steckten sie ihre Schwerter ein; sie wollten sich nicht mehr schlagen und legten sich ins Mittel, den Streit zu schlichten.
Während dieses Streites war Martuccia, obgleich umringt und von Marcello an der linken Hand gehalten, geschickt genug gewesen, zu entschlüpfen. Sobald Marcello ihre Abwesenheit merkte, lief er ihr nach und seine ganze Bande folgte ihm.
Aber aus dem Dunkel der Nacht erwuchsen die seltsamsten Gerüchte, und am Morgen des zweiten Januar war die Hauptstadt von Berichten über den gefährlichen Kampf überschwemmt, der, wie man sagte, zwischen dem Kardinal und Marcello Capecce stattgefunden habe. Der Herzog von Palliano, kommandierender General der päpstlichen Armee, hielt die Sache für weit schlimmer als sie wirklich war, und da er mit seinem Bruder, dem Kardinal-Kanzler, nicht sehr gut stand, ließ er noch in der Nacht Lanfranchi verhaften; früh am nächsten Morgen wurde auch Marcello gefangen gesetzt. Dann erst kam man darauf, daß niemand das Leben verloren habe und daß diese Festnahmen nur den Skandal vergrößerten, der ganz auf den Kardinal zurückfiel. Man beeilte sich, die Gefangenen wieder in Freiheit zu setzen und die drei Brüder vereinigten ihre unbegrenzte Macht, um die Angelegenheit niederzuschlagen. Erst hofften sie, es würde ihnen glücken; aber am dritten Tag kam die ganze Geschichte dem Papst zu Ohren. Er ließ seine beiden Neffen zu sich rufen und sprach zu ihnen wie nur ein so frommer und in seiner Frömmigkeit so tief verletzter Fürst der Kirche sprechen konnte.
Als am fünften Tage des Januar eine große Anzahl von Kardinälen zur Congregatio Sancti Officii vereinigt war, sprach der Papst als erster von dieser abscheulichen Sache; er fragte die anwesenden Kardinäle, wie sie wagen konnten, ihn nicht davon in Kenntnis zu setzen.
„Ihr schweigt! Und doch rührt der Skandal an der erhabenen Würde, die Ihr bekleidet. Kardinal Carafa hat es gewagt, sich in der Öffentlichkeit in einem weltlichen Gewand und den nackten Degen in der Hand zu zeigen. Und zu welchem Zweck? Um sich an einer ehrlosen Kurtisane zu erfreuen!“
Man kann sich die Totenstille denken, die diesen Worten gegen den Kardinal-Minister unter allen Anwesenden folgte. Vor ihnen stand ein Greis von achtzig Jahren, voll Zorn gegen den so geliebten Neffen, dem er bisher alle Freiheit gelassen hatte. In seiner Entrüstung sprach der Papst weiter davon, seinem Neffen den Kardinalshut zu nehmen.
Der Zorn des Papstes wurde noch durch den Gesandten des Großherzogs von Toskana genährt, der sich über eine neue Anmaßung des Kardinalkanzlers beklagte. Der unlängst noch so mächtige Kardinal meldete sich bei Seiner Heiligkeit für die gewohnte Arbeit. Der Papst ließ ihn volle vier Stunden vor aller Augen im Vorzimmer warten; dann schickte er ihn weg, ohne ihn zur Audienz zuzulassen. Man kann ahnen, wie der unbändige Stolz des Kardinals darunter litt. Er war gereizt, aber keineswegs niedergedrückt; er überlegte, daß der vom Alter geschwächte und