Linienführung selbst stellten sich große technische Schwierigkeiten entgegen. Es waren tiefe Einschnitte und viele kleine Höhen zu überwinden; die Einführung der Linie in die beiden Endstädte erweckte schwerste Bedenken, obgleich vorläufig noch niemand an einen Lokomotivbetrieb dachte. Das schlimmste Stück der ganzen Strecke aber war das große zwischen Liverpool und Manchester liegende Katzenmoor, ein tiefer Sumpf mit so weichem, nachgiebigem Boden, daß eine hineingesteckte Eisenstange sofort vollkommen versank.
Diese Umstände ließen es den Leitern der Bahngesellschaft erwünscht erscheinen, einen besonders tüchtigen Mann als Leiter des Baus zu gewinnen. Stephensons Name hatte nun doch schon einen gewissen Klang, und im Jahre 1821, zu einer Zeit also, als die Stockton-Darlington-Bahn noch im Bau war, begaben sich Abgesandte nach Killingworth, um die dortigen Anlagen zu besichtigen. Sie bekamen von der Tatkraft und Leistungsfähigkeit des dortigen Maschinenmeisters den besten Eindruck, und er wurde einstimmig zum Leiter des großen Bahnbaus zwischen Manchester und Liverpool berufen.
Es eröffnete sich nun für Georg Stephenson ein großes Wirkungsfeld, auf dem er denn auch unvergängliche Taten vollbringen sollte.
Sofort setzte er sich aufs stärkste dafür ein, daß die neue Bahnstrecke so eben wie möglich angelegt werde. Neue Vermessungen wurden notwendig, und der alte Kampf mit den Anwohnern begann von neuem. Am heftigsten widersetzten sich den Vermessungen jetzt die Lords Derby und Sefton, über deren Landgüter die Strecke geführt werden sollte. Desgleichen wollte die Verwaltung des Bridgewaterkanals auf keinen Fall die Überbrückung dieses Wasserlaufs gestatten, weil sie sehr mit Recht einen erfolgreichen Wettbewerb fürchtete. Lord Derbys Leute traten überall den Messenden in den Weg; Stephenson selbst wurde in Knowsly von den Parkwächtern vertrieben, und ihm ein tätlicher Angriff in Aussicht gestellt, falls er sich wieder auf dem Grund und Boden des edlen Lords sehen lassen würde.
Im Jahre 1825 war trotzdem eine vorläufige Vermessung beendet, und man beschloß, das Unterhaus um Genehmigung der Linie zu ersuchen. Kaum war dies bekannt geworden, da rüsteten sich die an den Wasserwegen beteiligten Gesellschaften zu heftigstem Widerstand.
Zunächst machten sie die Anwohner weiter aufrührerisch, indem sie erzählten, daß die Bahn vermutlich mit Lokomotiven betrieben werden würde, was ein schreckliches Unglück bedeuten würde. Die aus dem Schornstein der Maschine herausfliegenden Funken müßten jedes in der Nähe stehende Haus anzünden, die Luft würde durch die Rauchwolken verpestet werden. Die Pferdezucht werde eingehen müssen, und als Folge davon müßte auch die Landwirtschaft aufhören, weil kein Tier mehr da sein würde, welches das Heu fräße. Die Dampfkessel der „Reisemaschinen“ würden häufig platzen, so daß kein Mensch in der Nähe der Bahn mehr seines Lebens sicher sein würde; der bloße Anblick des vorüberdonnernden Eisenbahnzugs müßte die Tiere zu Tode erschrecken, Menschen wahnsinnig machen.
Man trug dafür Sorge, daß in den Parlamentsausschuß, der über den Antrag der Eisenbahngesellschaft auf Genehmigung des Baus zu verhandeln hatte, die tüchtigsten und redegewandtesten Mitglieder des Unterhauses abgeordnet wurden, damit sie den Antrag geschickt zu Fall brächten. Aber auch die Bahngesellschaft traf beste Vorsorge zur Durchführung ihres Plans, indem sie eine Reihe ausgezeichneter Rechtsanwälte mit ihrer Vertretung beauftragte. Es entspann sich dementsprechend vor dem Ausschuß ein Kampf, der lächerlich zu nennen wäre, wenn es sich dabei nicht um einen so bedeutenden Gegenstand gehandelt hätte.
Stephenson mußte als Bauleiter der Bahn ebenfalls vor dem Ausschuß erscheinen. Dem wenig redegewandten Mann, der noch dazu die breite Mundart Northumberlands sprach, war dies durchaus nicht angenehm. Über den Beginn seiner Vernehmung erzählte er später: „Kaum befand ich mich in der Vernehmungsbank, da wäre ich gern wieder zu einem Loch hinausgekrochen. Ich konnte die Worte nicht finden, die für den Ausschuß und in meinen eigenen Augen überzeugend gewesen wären. Acht bis zehn Rechtsvertreter stellten mit mir ein Kreuzverhör an in der Absicht, mich zu verwirren. Ein Ausschußmitglied fragte, ob ich ein Ausländer wäre, ein anderes gab zu verstehen, daß ich nicht bei gesundem Verstand sei. Ich aber ließ mich alles dies wenig anfechten und machte fort.“
Stephenson wirkte von Beginn an für den Lokomotivbetrieb auf der Eisenbahn. Den wichtigsten Beweggrund hierfür, daß nämlich mit der Lokomotive eine Geschwindigkeit von 30 Kilometern in der Stunde erreicht werden könnte, durfte er jedoch nicht vorbringen. Seine besten Freunde lachten ihn aus, wenn er diese Behauptung aufstellte. Alle erklärten, eine solch unerhörte Schnelligkeit sei überhaupt nicht möglich. Selbst die ernste Zeitschrift „Quarterly Review“ verspottete, nach Feldhaus, eine solche Behauptung, indem sie sagte: „Auch wenn man allen Versicherungen über die Gefahrlosigkeit der Lokomotiven Glauben schenken wollte, könnte man doch eher glauben, daß die Einwohner von Woolwich sich mit einer Congreveschen Rakete abfeuern lassen würden, als daß sie sich einer so schnell fahrenden Maschine anvertrauten.“ So war Stephenson gezwungen, unter schwerer Selbstüberwindung immer nur von einer beabsichtigten höchsten Geschwindigkeit von 16 Kilometern zu sprechen.
Der bedauernswerte Mann hatte es in dem Kreuzverhör vor den Abgeordneten wirklich nicht leicht. Es wurden die dümmsten Einwände vorgebracht.
„Nehmen wir an,“ sagte ein Ausschußmitglied, „es komme bei einer Geschwindigkeit von 14 oder 16 Kilometern eine Kuh der Maschine in den Weg. Glauben Sie nicht, daß das recht peinlich sein würde?“ – „In der Tat,“ war die Antwort, „recht peinlich.. für die Kuh!“
„Werden die Pferde auf der Landstraße nicht scheu werden,“ fragte ein anderer, „wenn sie den rotglühenden Schornstein sehen?“ – „Ich hoffe,“ antwortete Stephenson, „die Pferde werden denken, daß der Schornstein nur rot angestrichen sei und werden ruhig bleiben.“
Der Abgeordnete Harrison meinte, er habe gehört, daß jeder Regen das Feuer in der Lokomotive auslöschen würde. Man könnte die Maschine ja zwar, um dies zu verhüten, in Decken einpacken, aber dann würde der Wind kommen und die Hüllen wieder fortreißen. Jeder Sturm müßte überhaupt die Lokomotivfahrt verhindern, weil er das Feuer in der Lokomotive so heftig anblasen würde, daß der Druck im Kessel ansteigen und die Maschine schließlich zum Platzen bringen müßte.
Gegenüber solchen Einwänden war Stephenson ziemlich machtlos. Er konnte in seiner Unbehilflichkeit nicht recht etwas darauf entgegnen und wiederholte schließlich nur immer wieder den ihn sehr kennzeichnenden Ausspruch: „Ich kann’s nicht sagen, aber ich werde es machen!“
Gegen Schluß des Verhörs nahm der gelehrte Alderson das Wort zu einer zweitägigen Vernichtungsrede, in der er hauptsächlich auf die Schwierigkeiten des Bahnbaus einging. „Ich denke, es ist erwiesen,“ sagte er, „daß der Stephensonsche Plan der abgeschmackteste ist, der je in einem Menschenkopf ausgeheckt wurde. Wer vermag daran zu zweifeln, der Gelegenheit hatte, den Mann bei seinen Aussagen zu beobachten? Ich behaupte, daß er nie einen Plan gehabt hat und glaube, daß er gar nicht fähig ist, einen zu entwerfen. Sein Geist schwankt hilflos in einemfort zwischen den entgegengesetzten Schwierigkeiten hin und her. Er weiß weder, ob er über Wege oder Flüsse Brücken bauen soll, noch weiß er, wo Dämme, Durchstiche oder schiefe Ebenen angebracht werden müßten. Ich erhebe feierlichen Einwand gegen eine Maßregel, die sich auf nichts Besseres zu stützen vermag als auf die Aussagen solcher Gewährsmänner und auf solche Berechnungen.“
Mit diesen letzten Worten waren die unsicheren Ergebnisse der Vermessung gemeint, die mit Recht vielfach angefochten wurden. Bei der Abstimmung wurde der Antrag der Bahngesellschaft mit 19 gegen 13 Stimmen abgelehnt. Zwei Monate lang hatte der Kampf gewährt. Man beschloß, ihn für jetzt aufzugeben und das nächste Mal besser gerüstet vor das Unterhaus zu treten.
Es ist recht schmachvoll, daß die Durchbringung des Genehmigungsgesetzes beim zweiten Antrag schließlich nicht sachlichen Gründen zu verdanken war, sondern vorher ausgeführten geschickten Maßnahmen und allerhand Schlichen und Kniffen. Es gelang vor allem, den Marquis von Stafford, den Hauptbeteiligten am Bridgewaterkanal, den Plan dadurch günstig zu machen, daß ihm ein ziemlich beträchtlicher Teil der Aktien zugebilligt wurde. Man veränderte außerdem den Weg der Strecke so, daß Lord Seftons Güter ganz vermieden und das Schloß Lord Derbys in bedeutender Entfernung umgangen wurde. Alle Wildgehege vornehmer Herren ließ man mit größter Sorgfalt unberührt. Und siehe da! Nun war auf einmal fast der