zukommen ließ, blieb Stephenson ohne jede Hilfe. Auch für die Kunst des Eisenbahnbaus treffen Schillers Worte über die deutsche Kunst zu:
Sie ward nicht gepflegt vom Ruhme,
Sie entfaltete die Blume
Nicht am Strahl der Fürstengunst.
Selbst erschuf Stephenson ihr den Wert.
Erst sechs Jahre nach dem Beginn der Arbeiten in Killingworth bot sich ihm wieder eine Gelegenheit zur Einrichtung einer Lokomotiveisenbahn. Die Besitzer der Grube von Hetton in der Grafschaft Durham beriefen, als ihnen die Anlage einer solchen wünschenswert erschien, zu Ingenieuren Georg Stephenson und seinen Sohn Robert, der damals mit 17 Jahren seine Ausbildung auf der Universität zu Edinburgh beendet hatte.
Alle Schienengeleise, die bis jetzt benutzt worden waren, hatten sich den Wellenbewegungen des Geländes anpassen müssen. Es war noch nicht lohnend erschienen, durch Kunstbauten ebene Strecken herzustellen. Auch die Linie, welche die beiden Stephensons zu Hetton schufen, war noch keine solche, wie sie heutigen Anschauungen entspricht. Streckenweise wurde zwar die Bahn eingeebnet, dann aber waren wieder so starke Steigungen eingeschaltet, daß keine von den fünf Lokomotiven, die für die Hettoner Grube hergestellt wurden, imstande war, einen Zug hinaufzuziehen. Es mußten vielmehr an fünf Stellen Seilaufzüge vorgesehen werden, so daß die Bahn teilweise durch fahrende, teilweise durch ortsfeste Dampfmaschinen bedient wurde, ein Zustand, der uns heute fremdartig genug erscheint. Wenn der Zug auf der ebenen Strecke am Fuß der Steigung angekommen war, wurde die Lokomotive abgekuppelt, das auf dem Rücken des Hügels über eine Trommel gelegte Seil angeschlossen und der Zug so hinaufgeschafft. Beim Hinabrollen auf der anderen Seite pflegten gewöhnlich die beladenen Wagen leere Wagen hinaufzuziehen, indem das Seil, welches die beiden auf zweigleisiger Bahn fahrenden Züge verband, oben über die vom Antrieb losgekuppelte Seilscheibe geführt wurde.
Bei dieser eigenartigen Anordnung war Gelegenheit, das Arbeiten der fahrenden und der ortsfesten Maschinen auf Eisenbahnstrecken zu vergleichen. Dies war besonders wichtig darum, weil zu jener Zeit vielfach der Plan gehegt wurde, Züge auf Geleisen ganz durch Seilzug zu befördern. Ja mehrere Strecken mit Anlagen solcher Art sind zur Ausführung gelangt. In Hetton zeigte es sich, daß die Lokomotiven vorteilhafter arbeiteten als die festen Maschinen, was sehr dazu beitrug, den Gedanken der Lokomotiveisenbahn zu fördern.
Seltsamerweise ist man in unseren Tagen zu der genau entgegengesetzten Anschauung gekommen. Ein Hauptantrieb für die Einrichtung elektrischer Fernbahnstrecken ist der Umstand, daß auf so betriebenen Linien nicht mehr viele hundert Feuer unter den einzelnen Lokomotivkesseln zu brennen brauchen, sondern ein einziges großes Feuer in dem Kraftwerk genügt. Die dort aufgestellten gewaltigen ortsfesten Maschinen vermögen die Krafteinheit billiger zu liefern als die Lokomotiven. Freilich kann dies nur unter Ausnutzung minderwertigen Brennstoffs, wie aschereicher Braunkohle, geschehen, die für Lokomotivfeuerung nicht zu verwenden ist.
Im Jahre 1821 genehmigte die englische Volksvertretung die Anlage eines Schienengleises in dem bedeutenden Kohlenbezirk des nördlichen Englands, dessen Mittelpunkt die Stadt Darlington ist. Es war bestimmt, die großen in dem Bishop Auckland-Tal oberhalb Darlington gewonnenen Kohlenmengen dem Verladeplatz Stockton in der Nähe der Mündung des Teesflusses in die Nordsee zuzuführen. Dies war die erste Bahn, die wirklich fern voneinander liegende Orte verbinden sollte. Trotzdem dürften die Mitglieder des Unterhauses, als sie jene Genehmigung erteilten, keineswegs geahnt haben, daß sie damit den Grundstein für eine unabsehbare Entwicklung legten. Denn wenn man die etwas später gebaute Bahn von Manchester nach Liverpool als die Wurzel der Eisenbahn bezeichnet, so darf die Strecke Stockton-Darlington wohl das Samenkorn genannt werden.
Zur Beförderung der Züge waren auch hier Pferde in Aussicht genommen. Bevor jedoch der Bahnbau begann, erschien vor dem Leiter der Gesellschaft, Pease, ein bescheidener Mann, der sich erbot, Lokomotiven zur Herbeiführung eines weit vorteilhafteren Betriebs herzustellen. Da Pease von dem Wirken Stephensons in Hetton bereits gehört hatte, faßte er Vertrauen zu ihm. „Stephenson sah,“ so erzählte Pease später, „so ehrlich, so verständig und zugleich so bescheiden aus. Er sprach die stark northumbrische Mundart seiner Gegend und erklärte bloß, daß er der Maschinenmacher von Killingworth sei.“ Zum großen Erstaunen des Bahnleiters behauptete Stephenson, daß eine Lokomotive ebensoviel zu leisten vermöge wie 50 Pferde. „Kommen Sie einmal nach Killingworth,“ setzte er hinzu, „und überzeugen Sie sich von den Leistungen meines ‚Blücher‘. Was das Auge sieht, das glaubt das Herz, Herr.“
Pease ging wirklich nach Killingworth, sah dort Stephensons Schaffen, und dieser wurde alsbald zum Leiter des Baus der Linie zwischen Stockton und Darlington berufen. Er schlug sofort eine bessere Führung der Strecke vor, wodurch diese um 41⁄2 Kilometer kürzer wurde. Zur Anlegung einer durchgehenden Ebene entschloß man sich aber auch hier noch nicht. Es blieb vielmehr eine sehr erhebliche Steigung unmittelbar vor Stockton bestehen, die von Lokomotiven nicht befahren werden konnte. Hier mußte also wieder Seilzug durch eine feststehende Dampfmaschine angewendet werden.
Da geeignete Werkstätten nicht vorhanden waren, bewog Stephenson, der noch einen beträchtlichen Teil der für die Sicherheitslampe erhaltenen Summe zur Verfügung hatte, Pease, mit ihm zusammen eine Lokomotivfabrik zu gründen. Der Leiter der Stockton-Darlington-Bahn ging hierauf ein und gab zu der Gründung gleichfalls einiges Geld her. So entstand die erste Lokomotivfabrik auf der Erde. Sie wurde bei Newcastle am Tyne angesiedelt und entwickelte sich zu einem gewaltigen Unternehmen, das für die Lokomotiverzeugung schließlich dasselbe bedeutete, wie die Fabrik von Watt & Boulton in Soho für die Herstellung der ortsfesten Dampfmaschinen. Auch die Lokomotiven für die ersten deutschen Bahnen sind aus Newcastle bezogen worden.
Zunächst wurden drei Lokomotiven gebaut. Eine von diesen war die berühmt gewordene und bis heute erhaltene „Locomotion“, eine immer noch recht schwerfällige Maschine mit stehenden, in den Kessel hineingebauten Zylindern und schwieriger Übertragungseinrichtung durch lange Schubstangen. Aber hier wendete Stephenson zum erstenmal einen neuen Bauteil an, der bis heute unverändert im Eisenbahnbetrieb gebraucht wird. Es waren nämlich an der „Locomotion“ die beiden Räder auf jeder Seite durch je eine Kuppelstange miteinander verbunden. Damit war Trevithicks erste Achskupplung mittels Zahnrädern durch eine wirklich brauchbare Anordnung ersetzt. Ohne Kuppelstange ist die heutige Lokomotive nicht denkbar.
Am 27. September 1825 beförderte die Lokomotive „Active“ zum erstenmal einen Zug über die Strecke. Er mußte zunächst von der ortsfesten Maschine auf den Hügel hinaufgezogen und auf der anderen Seite wieder hinuntergelassen werden. Dann erst legte sich die Lokomotive davor. Trotzdem ist der Eröffnungstag der Linie Stockton-Darlington für die Kulturgeschichte von höchster Wichtigkeit. Denn in die Wagen des Zugs waren nicht nur Güter geladen, sondern es befanden sich auch Menschen darin. Die Strecke Stockton-Darlington ist die erste, wenn auch noch recht unbedeutende Eisenbahnlinie, die für den öffentlichen Verkehr freigegeben war und auch Personen befördern durfte.
Der erste Zug bestand aus 12 mit Kohle und Mehl beladenen Güterwagen, einem Wagen für den Vorstand der Eisenbahngesellschaft und 21 mit Sitzen ausgestatteten Fahrzeugen für die Gäste. Diese Wagen sahen seltsam genug aus. Denn man hatte, soweit nicht die Kohlenkarren auch zur Menschenbeförderung benutzt wurden, einfach die Kutschaufbauten von Postwagen heruntergenommen und sie auf Untergestelle gesetzt, die für die Eisenbahn einigermaßen geeignet waren. Im ganzen waren also an die Lokomotive 34 Wagen gehängt, in denen sich 450 Personen befanden.
Eine ungeheure Menschenmenge hatte sich eingefunden, um die erste Fahrt mit anzusehen. Viele waren gekommen, weil sie fühlten, daß hier ein wichtiges Ereignis vor sich ginge, manche hatte aber auch die Hoffnung hingeführt, die „Reisemaschine“, wie man damals die Lokomotive nannte, in die Luft fliegen zu sehen. Eine Zeitung berichtete über das außerordentliche Ereignis in folgender Weise:
„Nachdem das Signal gegeben war, setzte sich die Maschine samt dem ungeheuren Wagenzug in Bewegung. Die Geschwindigkeit war so groß, daß stellenweise zwölf Meilen (die englische Meile ist gleich 1,6 Kilometern) in der Stunde zurückgelegt wurden. Die Last betrug, da die Anzahl der mitfahrenden Personen sich auf 450 belief, mit Einrechnung der Wagen, Kohlen und anderen beförderten Waren, nahezu 90 Tonnen. Mit dieser ihrer Last langte die Maschine nach