man neuen Wasservorrat ein- und eine Anzahl Reisender, sowie eine Musikkapelle aufgenommen hatte, setzte sich die Maschine abermals in Bewegung und erreichte das zwölf Meilen entfernte Stockton in drei Stunden und sieben Minuten, wobei die Zeit mit eingerechnet ist, die man unterwegs zu Aufenthalten brauchte. In dem Augenblick als der Zug Stockton erreichte, beförderte er 600 Personen. So viele saßen in den Wagen oder hatten sich daran angehängt.“ Der Berichterstatter setzt hinzu: „Groß war das Aufsehen und das Staunen, das die Ankunft des Zugs in Stockton erregte.“
Der Erfolg der Bahn war sehr zufriedenstellend. Zwar hob sich der Personenverkehr nur recht langsam, weil die meisten Leute Angst hatten, sich dem gefährlichen Beförderungsmittel anzuvertrauen, aber an Gütern hatte man schon nach einigen Jahren statt der angenommenen 10 000 Tonnen 500 000 Tonnen zu befördern.
Man muß sich jedoch den Betrieb dieser ersten öffentlichen Eisenbahn nicht so vorstellen, wie wir ihn heute gewöhnt sind. Es wurden darauf durchaus nicht alle Züge durch Lokomotiven befördert, sondern zahlreiche von Pferden gezogene Wagen liefen dazwischen. Denn wie schon im 1. Abschnitt angedeutet wurde, war der Schienenweg öffentlich und für jeden Unternehmer zugänglich, der die wenigen ihm von der Gesellschaft hierfür auferlegten Bedingungen erfüllte. Die Züge mit Lokomotiven hatten nur insoweit ein Vorrecht vor den mit Pferden bespannten, als sie nicht in das Ausweichgleis hineinzufahren brauchten. Das mußten vielmehr die anderen tun.
Der Personenverkehr bevorzugte unverkennbar den Pferdebetrieb. Im Auftrag der Bahngesellschaft baute Stephenson damals den ersten eigentlichen Eisenbahnpersonenwagen. Dieser hatte auf jeder Längsseite eine Bank, ein langer Tisch aus Tannenholz stand in der Mitte. Der Wagen erhielt den Namen „Experiment“, und die Gesellschaft ließ darauf ihr Wappen und ihren Wahlspruch malen „Periculum privatum, utilitas publica“ („Die Gefahr trifft nur den Einzelnen, die Allgemeinheit hat den Nutzen.“)
Der Wagen „Experiment“, der beschämenderweise stets mit Pferdevorspann fuhr, wirkte belebend auf den Personenverkehr. Ein Zeitgenosse schreibt darüber: „Die Leute drängen sich in den Wagen; oft sind ihrer so viele, daß man, wenn sie aussteigen, wahrhaftig glaubt, es gehe eine kleine Kirchengemeinde auseinander.“ Mehrere Gastwirte in Stockton und Darlington nutzten dies aus, indem sie ebenfalls Personenwagen bauen und diese von Pferden auf der Bahn ziehen ließen.
Auch der Anfang der Beleuchtung von Eisenbahnwagen ist hier bereits zu beobachten. Ein gewisser Dickson, der den Wagen „Experiment“ öfter als Kutscher zwischen Darlington und Shildon hin und her fuhr, empfand es als Mangel, daß an finsteren Winterabenden die Fahrgäste im Dunkeln sitzen mußten. Er kaufte deshalb öfter ein Groschenlicht und klebte es auf die Tischplatte im Innern des Wagens. Aus dieser einfachen Kerze heraus hat sich unsere heutige blendende Zugbeleuchtung entwickelt.
An den ersten von ihr gebauten Lokomotiven erlebte die Fabrik in Newcastle nicht ausschließlich freudige Stunden. Es war sehr viel an den Maschinen auszusetzen. Und das konnte gar nicht anders sein, da sie, wie wir heute wissen, von einer wirklich brauchbaren Bauart doch noch recht weit entfernt waren. Darum tauchte auch bei der Leitung der Bahngesellschaft immer wieder der Plan auf, die Dampfwagen abzuschaffen und den Betrieb ganz mit Pferden durchführen zu lassen.
Trotz dieser und noch manch anderer Ärgernisse aber war Georg Stephenson von der großen Zukunft, die der Lokomotiveisenbahn bevorstand, fest überzeugt. Schon während des Bahnbaus hatte er einmal bei einer Flasche Wein zu seinen Mitarbeitern folgendes gesprochen: „Jungens, ich glaube, ihr werdet, wenn auch ich selbst nicht so lange leben werde, noch den Tag sehen, wo alle Postkutschen auf den Schienen fahren und die Eisenbahn die Hochstraße für Könige und Untertanen sein wird. Die Zeit wird kommen, wo man billiger mit den Dampfwagen als zu Fuß reisen kann. Ich weiß wohl, daß man fast unüberwindlichen Hindernissen begegnen wird, doch, was ich gesagt habe, wird kommen, so wahr ich lebe! Mein höchster Wunsch ist, jenen Tag zu erblicken, obgleich ich dies nicht hoffen darf, denn ich weiß, wie langsam alle menschlichen Fortschritte sich vollziehen und mit welchen Schwierigkeiten ich selbst zu kämpfen hatte, bis ich es dahin brachte, daß meine Lokomotiven trotz ihres mehr als zehnjährigen Erfolgs in Killingworth weiter benutzt wurden.“
Die Voraussage Stephensons sollte in weit großartigerer Weise in Erfüllung gehen, als er sich es vorzustellen wagte.
Schon die Bahn Stockton-Darlington offenbarte die außerordentliche Einwirkung eines raschen Beförderungsmittels auf die Erzeugnisse eines Landstrichs. Der Kohle aus dem Darlingtoner Bezirk wurden plötzlich ganz neue Märkte erschlossen. Die Förderung in den Gruben konnte bald in stärkster Weise erhöht werden. Sogar eine neue Stadt ließ diese erste Eisenbahn am Teesfluß entstehen. Wo jetzt Middlesborough liegt, stand im Jahre 1825 nur ein einzelnes Bauernhaus. Ringsumher war nichts als Weideland und Sumpf. Pease kaufte mit einigen Freunden einen größeren Landbezirk in der Nähe an. Es entwickelte sich hier im Anschluß an die Eisenbahn ein lebhafter Hafenverkehr, und nach zehn Jahren wohnten bereits 6000 Menschen in Middlesborough, das heute eine blühende Mittelstadt ist.
Ermutigt durch diese Erfolge ging Stephenson mit höchstem Eifer an die Arbeit, als ihm nun Gelegenheit geboten wurde, einen bedeutend größeren und wichtigeren Eisenbahnbau auszuführen.
4. „Das größte Wunderwerk unserer Zeit“
Durch die Erfindung des mechanischen Webstuhls war die Erzeugung von Baumwollstoffen insbesondere in Manchester und dessen Umgebung zu einem Gewerbebetrieb von ungeahnter Größe emporgewachsen. Die Rohbaumwolle, die hierzu in großen Massen gebraucht wurde, kam über See in der Hafenstadt Liverpool an, war von dort nach Manchester zu bringen, und die fertigen Waren mußten in ähnlicher Fülle über den umgekehrten Weg befördert werden. So war zwischen den beiden Städten, die, nach Weber, einander wie Mund und Magen bedingten, ein Verkehr von bis dahin noch nicht bekannter Lebhaftigkeit entstanden.
In der Hauptsache vollzog er sich auf den Wasserstraßen, dem Mersey-, dem Irwellfluß und dem anschließenden Bridgewaterkanal. Aber diese Wege waren schließlich nicht im entferntesten mehr imstande, das zu leisten, was man von ihnen forderte. Nur langsam konnten die Schiffe hin und wieder fahren, der Winter brachte lang dauernde Einstellungen der Schiffahrt, und außerdem sorgte die auf ihre Alleinherrschaft pochende Kanalverwaltung durch schwere Nachlässigkeiten dafür, daß eine glatte Abwicklung des Verkehrs nicht möglich war. Waren, die in 21 Tagen von Amerika über den Ozean in Liverpool ankamen, brauchten oft längere Zeit, um von dort aus Manchester zu erreichen.
Die Zustände wurden allmählich so arg, daß unbedingt Abhilfe geschaffen werden mußte. Man beschloß die Anlage eines Schienengleises zwischen den beiden Städten.
Bereits im Jahre 1821 begann man mit den Vermessungen. Das war für die Leute, die in jener Gegend wohnten, das Zeichen zu heftigstem Widerstand. Merkwürdigerweise fürchteten sie, daß ihr Wohlstand durch die Führung der Bahn über ihre Äcker schweren Schaden erleiden könnte. Es entstand ein richtiger Kampf mit den Landmessern. Smiles erzählt, daß zu Newton-in-the-Willow ein Richter namens Bourne seinen Leuten befohlen hatte, ständig aufzupassen, um die unglückseligen Männer, die mit den Abmessungen betraut waren, zu verjagen, wo immer sie sich auf den Feldern blicken ließen. Die Pächter und Tagelöhner leisteten dem willig Folge. Sie stellten sich auf den Feldern mit Gabeln, oft sogar mit Flinten bewaffnet auf, um die Eindringlinge zu vertreiben. Zu St. Helens wurde einer der Unglücklichen, welche die Meßketten zu tragen hatten, von einem Haufen Kohlengräber umringt und damit bedroht, daß man ihn in eine Kohlengrube hinabstürzen würde, wenn er sich wieder blicken ließe. Weiber und Kinder verfolgten überall die Landmesser und überhäuften sie mit Schimpfworten.
Die größte Wut erweckte indessen derjenige unter den Beauftragten, der das Meßfernrohr selbst zu tragen hatte. Man nahm daher einen besonders kräftigen Burschen, einen berüchtigten Boxer, für diesen Dienst an. Aber bald trat ihm ein baumstarker Kerl, der gefürchtetste Raufbold der ganzen Gegend, entgegen. Er wollte ihm durchaus das Meßfernrohr entreißen. Es kam zu einem richtigen Boxkampf, wobei der Raufbold den kürzeren zog. Doch das versammelte Landvolk wurde dadurch nur noch mehr zur Wut angestachelt. Es hagelte Steine, bis das Meßgerät zerschlagen war. So waren die Vermesser oft gezwungen, die Nacht zu Hilfe zu nehmen, und es wird erzählt, daß sie zur Ausführung ihrer Arbeiten in einem Dorf gern die Zeit benutzten, in der die