über Dichtung und Schriftsteller des In- und Auslandes aus flüchtigeren Beurtheilungen, die wegen ihres Gegenstandes, theils wegen ihres eigenen Gehaltes einen vollständigen Abdruck nicht verdienen.
Dem Ganzen soll eine Biographie und eine Beurtheilung von Müllers Poesie aus meiner Feder vorangestellt werden. Diese aber, namentlich die letztere, kann und mag ich nicht unternehmen, ohne mir vorher Ihr Urtheil, innig verehrter Meister, und wäre es nur mit wenigen Zeilen, ausgebeten zu haben. Ich hatte früher meine Ansichten über Müllers Dichtungen, bald nach seinem Tode in einem Aufsatz in den Blättern für literar. Unterhaltung zusammengefaßt; ich glaubte den Griechenliedern vor allem den Vorzug geben zu müssen. Nun machte es mich aber gleich aufmerksam, als mein seel. Freund mir sagte, daß Sie auf die Griechenlieder weniger hielten, als auf seine andern Gedichte, und als Sie mir, an dem mir unvergeßlichen Abend, der Sie in meinen vier Mauern sah, dasselbe sagten, wurde ich an meinem bisherigen Urtheile ganz irre. Dieses gründete sich hauptsächlich auf das Gefühl, das mich anwandelte, so oft ich die meisten andern Gedichte Müllers las, und das mich immer ein wenig an ihrer eigentlichen Originalität, an ihrem unmittelbaren Ursprung aus Müllers Phantasie und Gemüth zweifeln ließ; ich glaubte den einen gar zu merklich anzuspüren, daß sie bald in Goethe’s, bald in Ihren, bald in Uhland’s Ton hineingearbeitet waren, daß er auf fremden Melodieen, wenn ich so sagen darf, fortsang; die andern waren fühlbar auf den anhaltenden Umgang mit den Lyrikern des siebzehnten Jahrhunderts begründet, und die Epigramme, deren Muster mir ferne stand, und die mich daher als eigenthümlich besonders anzogen, fand ich kürzlich in Logau, den ich seit 1815 nicht mehr angesehen hatte, zu meinem Erstaunen vorgebildet. Damit soll der Werth aller dieser Gedichte keineswegs herabgesetzt seyn; die große Leichtigkeit, mit welcher sich Müller in alle diese Formen fand, die Objectivität, mit der er sich noch im Mannesalter in alle möglichen lyrischen Subjectivitäten hineinfinden konnte, und der fast immer anmuthige Witz, der sich mir nur zuweilen ins widerlich Spielende zu verirren schien, blieben mir bewundernswürdig. Aber doch, meinte ich, seyen seine Griechenlieder auf einem andern Boden, aus einer wirklich subjectiven Begeisterung erwachsen, und er habe sich hier eine Form geschaffen, habe einen Ton angestimmt, zu dem ich das Vorbild nirgends zu finden wüßte. Als ich seine ersten Griechenlieder las, rüttelte es mich im Geiste, wie wenn ich etwas neues, ächtes, „recens, indictum ore alio“ um mit Horaz zu sprechen, las, und ich wurde voll Bewunderung und wieder kleinmüthig und betrübt, weil ich fühlte, daß ich so etwas nicht vermöchte. Kurz es wurde mir zu Muth, wie jedesmal wenn mir etwas Rechtes unter die Augen kommt. Von seinen andern Liedern könnte ich nur bei drei oder vieren dasselbe sagen. Die andern konnte ich schön finden, aber sie demüthigten mich nicht, wie mich Göthe, Novalis, Tieck, Uhland demüthigt. – Ich weiß nicht, was ich da schreibe, und ob es nicht anmaßend herauskommt, einen Dichter, wie Sie, mit meinen Ansichten und Urtheilen zu unterhalten, aber ich möchte mich über das, was ich von Müller gesagt hatte und noch sagen wollte, gegenüber von dem rechtfertigen, bei dem ich Rath und Berichtigung meiner Gefühle, die mir selbst nur halbverständlich sind, suche. – In die Länge ermüdete freilich auch die Monotonie der Griechenlieder, wie es mir überhaupt däucht, daß Müller gar zu lang bei Einem Ton verweilte und am Ende ins Machen hineinkam, statt ins Dichten. – Wenn ich mich recht erinnere, so führten Sie mir als einen Vorwurf gegen die Griechenlieder an, daß so manche darin besungene Helden von der Geschichte uns bald in einem ganz anderen Lichte gezeigt worden, und daß dieß einen sehr unangenehmen Eindruck mache. Aber sollte das der innern Vollendung dieser Lieder schaden können? und sollte dieser Vorwurf nicht jeden Volksgesang treffen? und sollte in späterer Zeit nicht das Phantastische dieser Gestalten über ihr Geschichtliches in dem Eindrucke, den Poesieen, die von ihnen handeln, machen werden, siegen? Zumal da ihr historisches selbst immer mager und dunkel bleiben wird?
Doch es ist Zeit meinem ausführlichen Geschwätz, das nur einem Herausgeber Müllers verziehen werden kann, ein Ende zu machen.
Mein junger Freund Dr. Adolph Schöll kann mir in seinen Briefen aus Dresden und Göttingen nicht genug rühmen, wie gütig er von Ihnen aufgenommen worden und welchen Eindruck Ihre Gespräche auf ihn gemacht haben. Möchte es mir doch so gut werden, auch Stunden lang über alle poetische Anliegen meiner Seele mich mit Ihnen unterhalten und aus Ihrem Munde belehren zu dürfen. Ich habe es gewagt, den ersten Band meiner Gedichte durch Schöll in Ihre Hände zu legen. Ich übergab sie ihm in einem sehr muthlosen Augenblicke; sie waren mir durch das Wiederkäuen in der Druckrevision recht zum Ekel geworden, und es ist mir manchmal, als ob gar nichts an allen miteinander wäre, lauter nachgemachtes Zeug, wovon nichts mich überleben werde. Wenn ich sie dann Monate lang bei Seite gestellt und endlich wieder ansehe, fasse ich wieder zu einigen ein Herz, und meine, dieß und jenes habe doch seine Persönlichkeit und eine Vitalität in sich. Unter diese letztern rechne ich die kleine beiliegende Romanze, die ich seit Mitte Juli’s im Kopf herumgetragen, und die endlich in den Christfeiertagen eine Gestalt gewonnen. Ich meine solche Darstellung einzelner Momente rein menschlichen Gefühls gerathen mir am Besten. Alles Phantastische muß ich ferne von mir halten, weil es mir dazu an innern Mitteln gebricht. Ich bin noch nicht 40 J. alt, könnte also, trotz eines vielbeschäftigten, prosaischen Lebens doch noch etwas produciren. Hielten Sie mich wohl eines Fingerzeigs werth, verehrter Meister?
Wir haben diesen Winter Ihren Alten vom Berge und Ihr Fest von Kenelworth gelesen und uns innig daran erquickt. Am wohlsten wird mir bei Ihren Erzählungen da, wo die gemeine Critik darüber als unnatürlich und unwahrscheinlich zu schimpfen anfängt, d. h. wo die gewohnten Formen, mit welchen Sie das Publicum beschwichtigen, mit einemmal aufhören und die lautre Poesie, derselben spottend, ungehemmt hervorsprudelt; wo der zahme Bach auf einmal zum Wasserfall wird und seinen Weg durch Wald und Felsen nimmt, wie in Ihren alten, herrlichen Dichtungen, in welchen ich mich vor 18 Jahren unter der schönen, hohen Lindenallee bei Tübingen als Student zum erstenmal berauschte.
Während ich diesen Brief schreibe, lese ich von dem schmerzlichen Schlage, der Sie durch den Tod Ihres Freundes, Friedrich Schlegel, in Ihrer unmittelbaren Nähe betroffen. Wenn meine Zeilen nicht eine ziemliche Zeit brauchten, bis sie zu Ihnen nach Dresden gelangen, so würde ich sie nicht abschicken; denn unmittelbar nach einer solchen Verwundung muß das Geschreibe eines Dritten unerträglich zu lesen seyn. So aber vertraue ich auf die Langsamkeit der Buchhändlergelegenheit, der ich diesen Brief übergebe. Meine liebe Frau ruft sich Ihnen und mit mir Ihren verehrten Reisebegleiterinnen ins Gedächtniß zurück. Jener Abend in unsern dumpfigen Stuben kann freilich keine angenehme Erinnerung für Sie alle seyn. Wir aber denken mit Stolz und Wonne an Ihre Erscheinung zurück.
Genehmigen Sie den Ausdruck der innigen Verehrung von Ihrem für die höchsten Genüsse ewig dankbaren
Das Morgenblatt hofft sehnlich auf Ihre Beiträge.
Seckendorf, Gustav Freiherr von
Geb. zu Meuselwitz bei Altenburg am 20. November 1775, gestorben in Amerika 1823.
Otto III., Tragödie (1805.) – Orsina, 1816. – Vorlesungen über Deklamation und Mimik, 2 Bde. (1816.) – &c. Redigirte auch die Zeitschrift Prometheus.
Unter seinem Autornamen Patrik Peale zeigte er sich auf verschiedenen Theatern als plastisch-mimischer Künstler, und schlug sich als Docent, Musikdirector, Musiklehrer, Schriftsteller durch Deutschland und Amerika, ohne einen sichern Aufenthalt zu finden, vor dem allersichersten im Grabe. In wie fern das Mißlingen all’ seiner verschiedenen Unternehmungen von äußerlichem Unglück verursacht wurde? in wie fern es aus ihm selbst hervorging? wer wagt darüber zu entscheiden? Nicht abgeleugnet kann werden, daß er die Aufmerksamkeit vorzüglicher Männer zu erregen im Stande gewesen.
Solger schreibt an Friedrich v. Raumer: „der Mann hat mir bei einem Besuche einige Beispiele von seinem Talent und einer wirklich seltenen Macht über sein Gesicht gegeben: so z.B. drückte er mit der linken Seite des Gesichts den tiefsten Schmerz aus, so daß er sogar mit dem linken Auge weinte, während die rechte Seite ganz unverändert blieb.“
Das schmeckt nun freilich mehr nach Kunststücken, als nach Kunst.
Noch kann ich mich über Ihre schnelle, gar nicht vermuthete Abreise nicht zufrieden geben, in einem Augenblick, wo ich mir soviel von Ihrer Unterstützung versprochen hatte, wo es leichter, als zu irgend