ganz außer Ihrem Gesichtskreise lagen, mit Ihrer Neigung unvereinbarlich waren – allein vergeben Sie mir, wenn ich keine Kraft erblicke, ohne ihr zugleich in Gedanken ein bestimmtes Ziel anzuweisen, wenn ich gern alles Edle und Schöne um mich vereinigen möchte, um so vereint, eine bleibende Stätte für die Kunst zu gründen. Und hier scheint mir durch die Entziehung Ihrer persönlichen Gegenwart ein großes Hinderniß entstanden. Nennen Sie es immerhin Träume, wenn ich mir Sie an der Spize der hiesigen Theaterwelt, und mich als Ihren Gehülfen dabei dachte. In Ihrer Persönlichkeit lagen alle Mittel dazu, und was nun vielleicht auf Umwegen durch jahrelange Bemühungen nicht erreicht werden kann – das hätte Ihre Gegenwart, mit diesem Sinn das Gute überall anzuerkennen, und an seinen Plaz zu stellen, mit dieser poetischen Schöpfungskraft – und nicht zu vergessen die jezige Verlegenheit der Direktion, welche zwischen zwei Stühlen, Hartel und Iffland, sitzt, möglich gemacht. Dieser Augenblick kehrt vielleicht nie zurück – nie die Möglichkeit eines entschiedenen Einflusses auf Hartel durch seine Verwandte, wovon ich selbst nichts wußte – denn er geht nun in 4 Wochen vom Theater ab. Iffland kommt auch nicht, folglich wird – Sonnleithner oder gar etwas ärgers das Factotum werden. Nun sind das alles fromme Wünsche. Ich werde wohl nicht nachlassen, aber ich habe auch nur den guten Willen, mit den Menschen vermag ich nichts anzufangen. Auch hat mir meine erste Verbindung mit Stoll zu viel geschadet.
Dagegen scheint es nun mit der Fortsezung des Prometheus Ernst zu werden. Wenn Sie diese Zeilen erhalten, ist als wahrscheinlich mit Cotta entschieden. Er ist nicht abgeneigt, und ich habe billige Bedingungen gemacht, und hoffe jezt seine günstige Definitiventscheidung. Auf diesen Fall rechne ich bestimmt auf Ihre Mitwirkung, und so schnell es sein kann, auf die Uebersicht der hiesigen Theater, wozu Sie mir Hoffnung gemacht haben. Diese ist ganz dazu geeignet das hiesige Publikum günstig für die Zeitschrift zu stimmen. In der Folge hoffe ich auch auf den Aufsatz über das teutsche Theater überhaupt, und über Fleck. Ich erwarte Ihre Bedingungen, bitte Sie aber, mir Ihre Abreise von München, und Ihren künftigen Aufenthalt sogleich wissen zu lassen. – Schlegel läßt Sie herzlich grüßen. Knorring und (? unlesbar) machen noch immer keine Anstalt zur Abfahrt. Der jüngere Collin geht in 14 Tagen nach Krakau, als Professor der Aesthethik. – Empfehlen Sie mich Mad. Bernhardi und gedenken meiner zuweilen in Ehren.
Seidel, Max Johann
Es kann Einer ein sehr guter, naturwahrer, allbeliebter Komiker, und braucht deshalb eben kein Musterbriefsteller zu sein. Daß Herr Seidel Ersteres gewesen, wissen alle älteren Weimaraner, so wie sämmtliche Besucher Ilm-Athens, die den lustigen Mann auf der Bühne gesehen. Daß er letzteres nicht gewesen, geht aus diesem Briefe hervor, den wir deshalb doch nicht weglassen wollen; denn er schildert einen wichtigen Tag aus Goethe’s Leben treuherzig und unbefangen. Die Bezeichnung „biederer Greis,“ die S. auf Goethe anwendet, erinnert uns an einen andern Schauspieler, der zur Jahres-Feier der Schlacht bei Belle-Alliance einen Prolog zu sprechen und in diesem von dem Einzuge in Frankreichs Hauptstadt zu reden hatte, das richtige Beiwort vergaß, und voll Verlegenheit sagte:
„Wir aber folgen Dir, das ist gewiß,
Und grüßen Dich im traulichen Paris.“
Auf Goethe hätte sich wohl ein umfassenderes Epitheton finden lassen als grade „bieder“. Und dennoch hat dieses, in dieser Ideenfolge, etwas eigenthümlich Hübsches, denn es giebt den Eindruck deutlich wieder, den der alte Herr durch sein schlicht-patriarchalisches Benehmen, während jener festlichen Momente, auf die Umgebungen ausgeübt. Goethe ließ sich durch die Huldigung, die König Ludwig ihm hochherzig darbot, nicht aus dem Geleise bringen.
Nehmen Sie dieses Schreiben als einen Beweis, daß die, zwar kurzen Augenblicke, wo meine Frau und ich das Vergnügen hatten, Ihre persönliche Bekanntschaft in Teplitz zu machen, uns unvergeßlich sind, und daß wir uns oft und mit Freuden daran erinnern. Diese Zeilen sollen dazu dienen, die mir so werthe Bekanntschaft zu erneuern, denn, daß Sie meine Kühnheit, an Sie zu schreiben, nicht übel deuten werden, bin ich überzeugt, aber wäre ich es doch auch davon, daß das, was ich schreibe, für Sie Interesse hätte. Ich will es versuchen; vielleicht gewährt Ihnen eine kleine Erzählung von Goethe’s Geburtstagsfeier, da ich Augen- und Ohrenzeuge war, einiges Vergnügen.
Daß Göthe’s Geburtstag, den 28t. August, von seinen Freunden und Verehrern alle Jahre laut gefeiert wird, ist Ihnen sicherlich bekannt; jedoch vernehmen Sie, verehrtester Herr, welche freudige Ueberraschung ihm, dem biedern Greise (!) zu Theil wurde.
Den 27t. August Abends kam hier ein Fremder mit Extra-Post im Gasthofe zum Erbprinzen an, und läßt sich bei unserem Großherzog unter dem Titel und Namen des Ober-Stallmeister von Keßling am königl. bairischen Hofe, anmelden, mit dem Zusatze: früh acht Uhr sich bei Sr. kgl. Hoheit dem Großherzog vorzustellen; allein, noch ehe die Uhr halb 8 geschlagen, fährt unser Großherzog an dem Gasthofe zum Erbprinzen vor, und macht seine Aufwartung dem – Könige von Baiern, welcher incognito hier ankam, um Göthe an seinem Geburtstage zu überraschen, Glück zu wünschen und ihn persönlich kennen zu lernen.
Gegen 11 Uhr Mittags fuhren Sr. Maj. der König und unser Serenissimus, der Großherzog, bei Göthe’n vor.
Göthe war den Tag besonders gut gelaunt, er war froh und heiter und wie verjüngt erschien er der Gesellschaft, die sehr zahlreich war, denn, er nahm alle Besuche an, sprach mit jedem und freute sich der vielen Theilnahme, die wir an ihm nehmen; da traten der Großherzog und der König ein, schon angemeldet, die Anwesenden traten zurück. Der König ging auf ihn zu, bezeugte durch huldvolle Worte seine Freude, ihm diese Ueberraschung vorbehalten zu haben, und zog aus seiner Rocktasche ein rothes Kästchen hervor, worin der Zivil-Verdienstorden der königl. bairischen Krone, Großkreutz und Stern sich befanden, welches er Göthe’n mit den Worten überreichte: hier (auf Göthe’s Brust deutend), wird sich wohl noch ein Plätzchen finden, wo sie dieses anheften können. Alles bezeugte seine Theilnahme und Freude, Göthe war sehr überrascht, unterhielt sich dann über eine Stunde noch mit den fürstlichen Personen, die sich theilweise auch zu den Anwesenden gewendet hatten. Der König war über alles entzückt, was er sah und hörte und nach 12 Uhr beurlaubten sich die fürstlichen Personen.
Unser guter Fürst, der Großherzog, hat sich wieder sehr erholt, obgleich ihn das Teplitzer Bad sehr angegriffen hatte und er einige Zeit nach der Badekur krank darnieder lag; er hatte bei Göthe die Gnade mich zu bemerken und mit mir und meiner Frau zu sprechen; auch er äußerte seine große Freude über die unvermuthete Ankunft des Königs, doch als derselbe sich als „von Keßling“ anmelden ließen, schlossen Sie gleich, daß es der König sey, welcher meist in der Gesellschaft des „von Keßling“ reist.
Mittags war eine große Gesellschaft, die aus Göthe’s Verehrern bestand, bei einem glänzenden Gastmahle, welches im hiesigen Stadthaussaale gehalten wurde, versammelt, an welcher auch meine Wenigkeit Antheil genommen. Mehrere Gedichte, die wechselsweise gesprochen und gesungen wurden, habe mir die Freiheit genommen Ihnen zu übersenden.
Herr Kanzlar von Müller sprach das Gedicht „zur Weihe des Tafelfestes“ als Einleitungsrede, worauf denn unserm geliebten Fürsten ein 3maliges Lebehoch gebracht wurde. Dieses, so wie No. 2, sind von Herrn Kanzlar von Müller selbst gedichtet, so wie das ganze Arrangement zu voller Zufriedenheit aller Anwesenden von ihm getroffen war.
Herr Kapellmeister Hummel lieferte uns eine vortreffliche Composition, welche eben so vortrefflich ausgeführt wurde. Herr Kammersänger und Oberdirektor Stromeier trug, wie immer, voll Gefühl und klangvoller Stimme die Gesänge vor, eben so Herr Kammersänger Moltke, auch Herr Musikdirektor Eberwein leistete Vortreffliches.
Unter dem Jubelrufe: Auch die Todten sollen leben! von Herrn Geheimen Kammerrath von Göthe (Sohn) ausgebracht, wurde den Manen Wieland’s, Herder’s und Schiller’s ein Lebehoch gebracht. Abends wurde dem König von Baiern zu Ehren Freiball im hiesigen Schießhaussaale gegeben, wobei der König und unser ganze Hof gegenwärtig waren.
Zugleich war der Ball, durch das jezt hier stattfindende Vogelschießen, von vielen Fremden besucht, die sich zu diesem seltenen Vergnügen hier einzufinden pflegen.
Das