Томас Манн

Der Zauberberg. Volume 2


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oft habe ich Ihnen gesagt, daß man wissen sollte, was man ist, und denken, wie es einem zukommt! Sache des Abend-länders, trotz aller Propositionen, ist die Vernunft, die Analyse, die Tat und der Fortschritt, – nicht das Faulbett des Mönches!"

      Naphta hatte zugehört. Er sprach nach hinten:

      "Des Mönchs! Man dankt den Mönchen die Kultur des euro-päischen Bodens! Man dankt ihnen, daß Deutschland, Frank-reich und Italien nicht mit Wildwald und Ursümpfen bedeckt sind, sondern uns Korn, Obst und Wein bescheren! Die Mön-che, mein Herr, haben sehr wohl gearbeitet …"

      "Ebbe, nun also!"

      "Ich bitte. Die Arbeit des Religiösen war weder Selbstzweck, das heißt: Betäubungsmittel, noch lag ihr Sinn darin, die Welt zu fördern oder geschäftliche Vorteile zu erlangen. Sie war reine asketische Übung, Bestandteil der Bußdisziplin, Heilsmittel. Sie gewährte Schutz gegen das Fleisch, diente der Abtötung der Sinnlichkeit. Sie trug also – erlauben Sie mir, das festzustellen – völlig unsozialen Charakter. Sie war ungetrübtester religiöser Egoismus."

      "Ich bin Ihnen für die Aufklärung sehr verbunden und freue mich, den Segen der Arbeit auch gegen den Willen des Men-schen sich bewähren zu sehen."

      "Ja, gegen seine Absicht. Wir bemerken da – nichts Geringeres, als den Unterschied zwischen dem Nützlichen und dem Huma-nen."

      "Ich bemerke vor allem mit Unmut, daß Sie schon wieder Weltentzweiung treiben."

      "Ich bedauere, mir Ihr Mißfallen zugezogen zu haben, aber man muß die Dinge scheiden und ordnen und die Idee des Homo Dei von unreinen Bestandteilen freihalten. Ihr Italiener habt das Wechslergeschäft und die Banken erfunden; das verzeih' euch Gott. Aber die Engländer erfanden die ökonomistische Gesellschaftslehre, und das wird der Genius des Menschen ihnen niemals verzeihen."

      "Ah, der Genius der Menschheit war auch in den großen ökonomischen Denkern jener Inseln lebendig! – Sie wollten sprechen, Ingenieur?"

      Das leugnete Hans Castorp, sagte aber dennoch – und Naphta sowohl wie Settembrini hörten ihm mit einer gewissen Span-nung zu:

      "An dem Beruf meines Vetters müssen Sie demnach Gefallen haben, Herr Naphta, und einverstanden sein mit seiner Unge-duld, ihn zu ergreifen … Ich bin ja Zivilist durch und durch, mein Vetter macht es mir öfters zum Vorwurf. Ich habe nicht mal gedient und bin ganz ausgesprochen ein Kind des Friedens und habe sogar schon manchmal gedacht, daß ich sehr gut auch Geistlicher hätte werden können, – fragen Sie meinen Vetter, ich habe verschiedentlich so was geäußert. Aber wenn ich von meinen persönlichen Neigungen absehe – und vielleicht brauch' ich, genau genommen, gar nicht so ganz davon abzuse-hen – , so habe ich eine Menge Verständnis und Neigung für den militärischen Stand. Es hat ja eine verteufelt ernsthafte Be-wandtnis damit, eine 'asketische', wenn Sie wollen – Sie waren vorhin so freundlich, den Ausdruck irgendwie zu gebrauchen – , und immer muß er damit rechnen, es mit dem Tode zu tun zu bekommen, – mit dem ja letzten Endes auch der geistliche Stand es zu tun hat, – womit denn sonst. Daher hat der Solda-tenstand die bienséance und die Rangordnung und den Gehor-sam und die spanische Ehre, wenn ich so sagen darf, und es ist ziemlich gleich, ob er einen steifen Uniformkragen trägt oder eine gestärkte Halskrause, es kommt auf dasselbe hinaus, auf das 'Asketische', wie Sie vorhin so hervorragend sich ausdrück-ten … Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, Ihnen meinen Gedankengang …"

      "Doch, doch", sagte Naphta und warf einen Blick zu Settembrini hinüber, der seinen Stock drehte und den Himmel be-trachtete.

      "Und darum meine ich", fuhr Hans Castorp fort, "daß die Neigungen meines Vetters Ziemßen Ihnen sympathisch sein müßten, nach allem, was Sie sagen. Ich denke da nicht an 'Thron und Altar' und solche Verbindungen, womit manche Leute, so schlechthin ordnungsliebende und einfach bloß wohl-gesinnte Leute, die Zusammengehörigkeit manchmal rechtferti-gen. Sondern ich denke daran, daß die Arbeit des Soldatenstan-des, das heißt der Dienst – in diesem Falle spricht man von Dienst – absolut nicht um geschäftlicher Vorteile willen ge-schieht und zur "ökonomischen Gesellschaftslehre', wie Sie sag-ten, gar keine Beziehungen hat, weshalb denn auch die Engländer nur wenig Soldaten haben, ein paar für Indien und ein paar zu Hause für die Parade …"

      "Es ist zwecklos, daß Sie fortfahren, Ingenieur", unterbrach ihn Settembrini. "Die soldatische Existenz – ich sage das, ohne unseren Leutnant zu nahe treten zu wollen – ist geistig indiskutabel, denn sie ist rein formal, an und für sich ohne Inhalt, der Grundtypus des Soldaten ist der Landsknecht, der sich für diese oder auch jene Sache anwerben ließ, – kurzum, es gab den Soldaten der spanischen Gegenreformation, den Soldaten der Re-volutionsheere, den napoleonischen, den Garibaldis, es gibt den preußischen. Lassen Sie mich über den Soldaten reden, wenn ich weiß, wofür er sich schlägt!"

      "Daß er sich schlägt", versetzte Naphta, "bleibt immerhin ei-ne greifbare Eigentümlichkeit seines Standes, lassen wir das gut sein. Es ist möglich, daß sie nicht hinreicht, diesen Stand in Ih-rem Sinne 'geistig diskutabel' zu machen, aber sie rückt ihn in eine Sphäre, worein bürgerlicher Lebensbejahung jeder Einblick verwehrt ist."

      "Was Sie bürgerliche Lebensbejahung zu nennen belieben", entgegnete Herr Settembrini mit dem vorderen Teil der Lippen, während seine Mundwinkel unter dem geschwungenen Schnurrbart sich straff in die Breite zogen und sein Hals sich auf ganz eigentümliche Art schräg und ruckweise aus dem Kragen herausschraubte, "wird immer bereit gefunden werden, für die Ideen der Vernunft und der Sittlichkeit und für ihren rechtmä-ßigen Einfluß auf junge schwankende Seelen in jeder beliebi-gen Form einzutreten."

      Ein Schweigen folgte. Die jungen Leute blickten betroffen vor sich hin. Nach einigen Schritten sagte Settembrini, der Kopf und Hals wieder in natürliche Stellung gebracht hatte:

      "Sie dürfen sich nicht wundern, dieser Herr und ich, wir zan-ken uns oft, aber es geschieht in aller Freundschaft und auf Grund manchen Einverständnisses."

      Das tat wohl. Es war ritterlich und human von Herrn Settembrini. Aber Joachim, der es ebenfalls gut meinte und das Gespräch harmlos fortzuführen gedachte, sagte trotzdem, als stünde er unter irgendeinem Druck und Zwang, und gleichsam gegen seinen Willen: "Zufällig sprachen wir vom Kriege, mein Vetter und ich, vorhin, als wir hinter Ihnen gingen."

      "Das hörte ich", antwortete Naphta. "Ich fing das Wort auf und sah mich um. Politisieren Sie? Erörterten Sie die Weltlage?"

      "Oh, nein", lachte Hans Castorp. "Wie sollten wir dazu wohl kommen! Für meinen Vetter hier wäre es von Berufs wegen ge-radezu unpassend, sich um Politik zu kümmern, und ich ver-zichte freiwillig darauf, verstehe gar nichts davon. Seit ich hier bin, habe ich noch nicht einmal eine Zeitung in der Hand ge-habt …"

      Settembrini fand das, wie früher schon einmal, tadelnswert. Er zeigte sich sofort aufs beste unterrichtet über die großen Ver-hältnisse und beurteilte sie beifällig insofern, als die Dinge einen der Zivilisation günstigen Verlauf nähmen. Die europäische Gesamtatmosphäre sei von Friedensgedanken, von Abrüstungs-plänen erfüllt. Die demokratische Idee marschiere. Er erklärte, vertrauliche Informationen zu besitzen, dahingehend, das Jung-türkentum beende soeben seine Vorbereitungen zu grundstür-zenden Unternehmungen. Die Türkei als National – und Verfas-sungsstaat, – welch ein Triumph der Menschlichkeit!

      "Liberalisierung des Islam", spottete Naphta. "Vorzüglich. Der aufgeklärte Fanatismus, – sehr gut. Übrigens geht das Sie an", wandte er sich an Joachim. "Wenn Abdul Hamid fällt, ist es mit Ihrem Einfluß in der Türkei zu Ende, und England wirft sich zum Protektor auf… Sie müssen die Verbindungen und Informationen unseres Settembrini durchaus ernst nehmen", sagte er zu beiden Vettern, und auch dies klang impertinent, da er sie für geneigt zu halten schien, Herrn Settembrini nicht ernst zu nehmen. "In national-revolutionären Dingen weiß er Bescheid. Bei ihm zu Hause unterhält man gute Beziehungen zum englischen Balkankomitee. Was wird aber aus den Abma-chungen von Reval, Lodovico, wenn Ihre Fortschrittstürken Glück haben? Eduard der Siebente wird den Russen die Öff-nung der Dardanellen nicht mehr zugestehen können, und wenn Österreich sich trotzdem zu einer aktiven Balkanpolitik aufrafft, so …"

      "Mit Ihrer Katastrophenprophetie!" wehrte Settembrini ab. "Nikolaus liebt den Frieden. Man verdankt ihm die Konferenzen im Haag, die moralische Tatsachen ersten Ranges bleiben."

      "Ei,