Герман Гессе

Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке


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eigentlich so viel Macht über mich hat, dass er Bekenntnisse von mir fordern und meine Einsamkeit durchbrechen kann, so muss ich einen lieben Frauennamen sagen, der mir nicht nur ein großes Stück Erleben und Schicksal umfasst, sondern wohl auch als Stern und hohes Sinnbild über allem stehen mag.

      Zweites Kapitel

      Erst während der letzten Schuljahre, als alle meine Kameraden von ihren künftigen Berufen zu reden begannen, fing auch ich an, hierüber nachzudenken. Die Musik zu meinem Beruf und Erwerb zu machen, lag mir eigentlich fern; doch konnte ich mir keinen andern Beruf denken, der mir Freude gemacht hätte. Ich hatte gegen den Handel oder andere Gewerbe, die mein Vater mir vorschlug, keinen Widerwillen, sie waren mir nur gleichgültig. Aber da meine Kameraden so stolz auf die von ihnen gewählten Berufe taten, vielleicht auch eine Stimme in mir dafür eintrat, schien es mir doch gut und richtig, das zu meinem Beruf zu machen, was ohnehin meine Gedanken ausfüllte und mir allein rechte Freude machte. Es kam mir zustatten, dass ich seit meinem zwölften Jahre das Violinspielen begonnen und unter einem guten Lehrer etwas Rechtes gelernt hatte. So sehr nun mein Vater sich wehrte und davor bangte, seinen einzigen Sohn die ungewisse Laufbahn eines Künstlers einschlagen[6]zu sehen, gerade an seinem Widerstand wuchs mein Wille, und der Lehrer, der mich gern hatte, trat für meinen Wunsch nach Kräften ein. Am Ende gab mein Vater nach, es wurde mir nur zur Prüfung meiner Ausdauer und in der Hoffnung auf eine Sinnesänderung noch ein Schuljahr zudiktiert, das ich mit leidlicher Geduld absaß und währenddessen ich meines Begehrens nur sicherer wurde.

      Während dieses letzten Schuljahres verliebte ich mich zum erstenmal in ein hübsches junges Fräulein unserer Bekanntschafft. Ohne sie viel zu sehen und auch ohne sie stark zu begehren, genoss und durchlitt ich die süßen Bewegungen der ersten Liebe wie in einem Traume. Und in dieser Zeit, da ich den ganzen Tag ebensosehr an meine Musik wie an meine Liebe dachte und nachts vor herrlicher Erregung nicht schlafen konnte, hielt ich zum erstenmal mit Bewusstsein Melodien fest, die mir einfielen, zwei kleine Lieder, und versuchte sie aufzuschreiben. Das erfüllte mich mit einem schamhaften, doch durchdringenden Vergnügen, über dem ich meine spielerische Liebesnot fast ganz vergaß. Inzwischen hörte ich, dass meine Geliebte Singstunden nehme, und war sehr begierig, sie einmal singen zu hören. Nach Monaten ward mein Wunsch erfüllt, bei einer Abendgesellschafft im Haus meiner Eltern. Das hübsche Mädchen ward aufgefordert zu singen, wehrte sich heftig und musste am Ende doch und ich wartete darauf mit einer ungeheuren Spannung. Ein Herr begleitete an unserem kleinen schmalen Klavierchen, er spielte ein paar Takte, und sie begann. Ach, sie sang schlecht, traurig schlecht, und noch während sie sang, verwandelte sich meine Bestürzung und Qual zu Mitleid und dann zu Humor, und künftig war ich dieser Verliebtheit ledig.

      Ich war ein geduldiger und nicht gerade unfleißiger, aber kein guter Schüler, und im letzten Jahr gab ich mir vollends wenig Mühe mehr. Daran war nicht Trägheit und auch nicht meine Verliebtheit schuld, sondern ein Zustand jünglinghafter Träumerei und Gleichgültigkeit, eine Dumpfheit der Sinne und des Kopfes, die nur zuweilen plötzlich und heftig unterbrochen ward, wenn eine von den wunderbaren Stunden verfrühter schöpferischer Lust mich wie in Äther hüllte. Dann fühlte ich mich von einer überklaren, kristallenen Luft umgeben, in der kein Träumen und Vegetieren möglich war, wo alle Sinne sich geschärft und wachsam auf die Lauer legten[7]. Was in diesen Stunden entstand, war wenig, vielleicht zehn Melodien und einige Anfänge harmonischer Gestaltungen; aber die Luft dieser Stunden vergaß ich nimmer, diese überklare, fast kalte Luft und diese gespannte Zusammenfassung der Gedanken, um einer Melodie die rechte, einzige, nicht mehr zufällige Bewegung und Lösung zu geben. Zufrieden war ich mit diesen kleinen Leistungen nicht und hielt sie nie für etwas Gültiges und Gutes, aber das wurde mir klar, dass in meinem Leben nichts so begehrenswert und wichtig sein werde wie die Wiederkehr solcher Stunden der Klarheit und des Schaffens.

      Daneben kannte ich auch Tage des Schwärmens, wo ich auf der Geige phantasierte und den Rausch flüchtiger Einfälle und farbiger Stimmungen genoss. Nur wusste ich bald, dass das kein Schaffen war, sondern ein Spielen und Schwelgen, vor dem ich mich zu hüten habe. Ich merkte, dass es ein anderes Ding ist, seinen Träumen nachzugehen und berauschte Stunden auszukosten, als unerbittlich und klar mit den Geheimnissen der Form wie mit Feinden zu ringen. Und ich merkte schon damals etwas davon, dass ein rechtes Schaffen einsam macht und etwas von uns verlangt, was wir dem Behagen des Lebens abbrechen müssen.

      Endlich war ich frei, hatte die Schule hinter mir, den Eltern Lebewohl gesagt und ein neues Leben als Schüler des Konservatoriums in der Hauptstadt begonnen. Ich tat dies mit großen Erwartungen und war überzeugt gewesen, ich würde in der Musikschule ein guter Schüler sein. Zu meinem peinlichen Bedauern kam es aber anders. Ich hatte Mühe, dem Unterricht überall zu folgen, fand im Klavierunterricht, den ich jetzt nehmen musste, nur eine große Plage und sah bald mein ganzes Studium wie einen unersteiglichen Berg vor mir liegen. Wohl war ich nicht gesonnen nachzugeben, doch war ich enttäuscht und befangen. Ich sah jetzt, dass ich bei aller Bescheidenheit mich doch für eine Art von Genie gehalten und die Mühen und Schwierigkeiten des Weges zur Kunst bedenklich unterschätzt hatte. Dazu ward mir das Komponieren gründlich verleidet, da ich jetzt bei der geringsten Aufgabe nur Berge von Schwierigkeiten und Regeln sah, meinem Gefühl durchaus misstrauen lernte und nicht mehr wusste, ob überhaupt ein Funke von eigener Kraft in mir sei. So beschied ich mich, wurde klein und traurig, ich tat meine Arbeit wenig anders, als ich die in einem Kontor oder in einer andern Schule getan hätte, fleißig und freudlos. Klagen durfte ich nicht, am wenigsten in meinen Briefen nach Hause, sondern ging den begonnenen Weg in stiller Enttäuschung weiter und nahm mir vor, wenigstens ein ordentlicher Geiger zu werden. Ich übte und übte, steckte Grobheiten und Spott der Lehrer ein[8], sah manche andere, denen ich es nicht zugetraut hätte, leicht vorwärtskommen und Lob ernten[9] und steckte meine Ziele immer niedriger. Denn auch mit dem Geigen stand und ging es nicht so, dass ich darauf hätte stolz sein können und etwa an ein Virtuosentum denken dürfen. Es sah ganz so aus, als könne aus mir bei gutem Fleiß zur Not ein brauchbarer Handwerker werden, der in irgendeinem kleinen Orchester seine bescheidene Geige ohne Schande und ohne Ehre spielt und dafür sein Brot bekommt.

      So war diese Zeit, die ich so sehr ersehnt und von der ich mir alles versprochen hatte, die einzige in meinem Leben, in der ich vom Geist der Musik verlassen freudlose Wege ging und Tage ohne Klang und Takt[10] dahinlebte. Wo ich Genuss, Erhebung, Glanz und Schönheit gesucht hatte, fand ich nur Forderungen, Regeln, Pflichten, Schwierigkeiten und Gefahren. Fiel mir etwas Musikalisches ein, so war es entweder banal und hundertmal dagewesen, oder es stand sichtlich mit allen Gesetzen der Kunst in Widerspruch und konnte also nichts wert sein. Da packte ich alle großen Gedanken und Hoffnungen ein. Ich war einer von den Tausenden, die mit jugendlicher Frechheit zur Kunst gekommen sind und deren Kraft versagt, wenn es Ernst werden soll.

      Dieser Zustand dauerte wohl etwa drei Jahre. Ich war nun über zwanzig Jahre alt, hatte offenbar meinen Beruf verfehlt und ging den begonnenen Weg nur aus Scham und Pflichtgefühl weiter. Ich wusste nichts mehr von Musik, nur noch von Fingerübungen, schweren Aufgaben, Widersprüchen in der Harmonielehre, drückenden Klavierlektionen bei einem spöttischen Lehrer, der in allen meinen Bemühungen nur Zeitvergeudung sah.

      Wäre das alte Ideal nicht doch noch heimlich in mir lebendig gewesen, so hätte ich es in diesen Jahren recht gut haben können. Ich war frei und hatte Freunde, war ein hübscher und blühender junger Mensch, ein Sohn wohlhabender Eltern. Für Augenblicke genoss ich alles das, es gab vergnügte Tage, Liebeleien, Zechereien, Ferienfahrten. Aber es war mir nicht möglich, mich dabei zu trösten, meine Pflicht in Kürze abzutun[11] und vor allem meiner jungen Tage froh zu werden. Ohne dass ich davon wusste, blickte mein Heimweh doch noch in allen unbewachten Stunden nach dem untergegangenen Stern der Künstlerschafft aus, es war mir unmöglich, die Enttäuschung zu vergessen und zu betäuben. Nur einmal gelang es mir gründlich.

      Es war der törichste Tag meiner törichten Jugend. Ich lief damals einer Schülerin des berühmten Gesanglehrers H. nach. Ihr schien es ähnlich zu gehen wie mir, sie war mit großen Hoffnungen gekommen, hatte strenge Lehrer gefunden, war die