ihn innerlich. Es ist schrecklich, dass er sich so zurückgezogen hat, ich habe wirklich versucht mit ihm zu reden, aber er konnte mich nicht einmal anblicken. Wir sollten nicht rumwarten bis so ein verdammter Seelenklempner von der Bahn hier aufkreuzt. Regeln hin oder her, irgendwer sollte jetzt irgendwas für ihn tun. Ein guter Lokführer wie er verdient was Besseres.“
Jenns Zorn wuchs.
Sie sagte zu Cullen: „Also Sie können ihn nicht einfach in dieser Zelle sich selbst überlassen. Ist mir egal, ob er darauf besteht allein sein zu wollen. Das kann nicht gut für ihn sein. Irgendjemand muss sich um ihn kümmern.“
Alle im Raum schauten sie an.
Jenn hielt inne und sprach dann: „Bringen Sie mich zu ihm. Ich will ihn sehen.“
Riley schaute sie an und sagte: „Jenn, ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist.“
Aber Jenn ignorierte sie.
„Wie heißt er?“, fragte Jenn die Schaffner.
Boynton antwortete: „Brock Putnam.“
„Bringen Sie mich zu ihm“, beharrte Jenn. „Jetzt sofort.“
Chief Powell führte Jenn aus dem Interviewraum und den Gang entlang. Während sie ihm folgte, fragte sie sich, ob Riley womöglich Recht hatte.
Vielleicht ist das doch keine so gute Idee.
Immerhin wusste sie, dass Empathie wohl kaum zu ihren Stärken als Agentin zählte. Sie neigte dazu schroff zu sein und geradeheraus ihre Meinung kundzutun. Sie hatte auf jeden Fall nicht dieselbe Fähigkeit wie Riley im richtigen Moment das Mitgefühl einzuschalten. Und wenn Riley selber sich die Aufgabe nicht zugetraut hatte, wieso hatte Jenn gemeint, sie könnte es schaffen?
Aber sie konnte nicht anders, als zu denken…
Irgendjemand muss mit ihm reden.
Powell brachte sie zu den Zellen –– alle hatten massive Türen mit winzigen Fenstern.
Er fragte: „Wollen Sie, dass ich mit ihnen hineingehe?“
„Nein“, antwortete Jenn. „Es ist besser, wenn ich das im Einzelgespräch mache.“
Powell öffnete eine der Türen und Jenn trat ein. Powell ließ die Tür offen, trat aber weg.
Ein Mann Anfang dreißig saß auf dem Gitterbett und starrte geradeaus vor sich hin auf die Wand. Er trug ein gewöhnliches T-Shirt und eine nach hinten verdrehte Baseballkappe.
Jenn blieb im Türrahmen stehen und fing in einer leisen Stimme an…
„Mr. Putnam? Brock? Mein Name ist Jenn Roston, ich bin von der FBI. Es tut mir so schrecklich leid, was passiert ist. Ich habe mich nur gefragte, ob Sie… reden wollen.“
Putnam zeigte keinerlei Anzeichen sie gehört zu haben.
Er schien besonders entschlossen keinen Augenkontakt mit ihr oder mit irgendjemandem sonst zu machen, darüber was Jenn sich sicher.
Und aus ihren Recherchen auf dem Weg hierher wusste Jenn genau, wieso er sich so fühlte.
Sie musste laut schlucken, als ein Knoten der Beklommenheit ihren Hals füllte.
Das hier war viel schwieriger als sie sich auch nur ausmalen konnte.
KAPITEL SIEBEN
Riley behielt ihr Auge unruhig auf der Tür, nachdem Jenn den Raum verlassen hatte. Während Bill weiterhin Fragen an den Schaffner und seinen Assistenten stellte, machte Riley sich Sorgen wie Jenn mit dem Lokführer klarkommen würde.
Sie war sich sicher, dass der Lokführer sich schrecklich fühlen musste. Ihr gefiel die Idee auch nicht, weiterhin auf einen Bahnpsychologen zu warten –– womöglich war es noch dazu irgendein offizieller Heini, dem die Reputation des Betriebs wichtiger war als das Wohlergehen des Lokführers. Aber was sollten sie sonst tun?
Und könnte die junge Agentin die Dinge für den Mann nicht noch zusätzlich verschlimmern? Riley hatte nie irgendein Indiz dafür gehabt, dass Jenn besonders gut mit Menschen umgehen konnte.
Wenn Jenn den Mann nur noch mehr aus der Fassung brachte, wie würde das ihre eigene Arbeitsfähigkeit beeinflussen? Sie hatte jetzt schon darüber nachgedacht das FBI zu verlassen, auf den Druck ihrer kriminellen ehemaligen Pflegemutter hin.
Trotz ihrer Bedenken, konnte Riley dem, was im Raum gesagt wurde, folgen.
Bill sagte zu Stine: „Sie sagten, sie haben solche Sachen auch zuvor erlebt. Meinten Sie Morde auf den Gleisen?“
„Oh, nein“, antwortete Stine. „Echte Morde wie dieser sind sehr selten. Aber Menschen kommen immer wieder auf den Gleisen um –– und es ist viel weitverbreiteter, als man meint. Es gibt jedes Jahr mehrere Tausend Opfer, einige einfach Verrückte, die auf den Nervenkitzel aus sind, aber es gibt auch viele Selbstmorde. In diesem Business nennen wir sie die ‚Übertreter.‘“
Der jüngere Mann rutschte nervös auf seinem Stuhl herum und sagte: „Ich will ganz bestimmt nie wieder so etwas sehen. Aber wenn man davon ausgeht, was Arlo mir erzählt… naja, ich nehme an, es ist ein Teil unserer Arbeit.“
Bill sagte zum Schaffner: „Sind Sie sicher, dass es nichts gab, was der Lokführer hätte tun können?“
Arlo Stine schüttelte den Kopf.
„Verdammt sicher. Er hatte den Zug schon auf 55 Stundenkilometer heruntergebremst wegen der Kurve, die auf uns zukam. Aber selbst so wäre es nie im Leben möglich gewesen eine Diesellokomotive mit zehn Güterwagons schnell genug zum Stehen zu bringen um die Frau noch retten zu können. Man kann die Gesetze der Physik nicht brechen und einige Tausende Tonnen Stahl in einem Augenblick zum Halt bringen. Lassen Sie es mich Ihnen erklären…“
Der Schaffner began über den Bremsmechanismus zu reden. Es war höchst-technischer Stoff und war von keinem wirklichen Wert oder Interesse für Riley oder Bill. Aber Riley wusste, dass es besser war Stine einfach reden zu lassen –– wenn auch nur um seiner selbst willen.
Währenddessen schaute Riley immer wieder zur Tür und fragte sich, wie Jenn mit dem Lokführer vorankam.
*
Jenn stand neben dem Bett und schaute nervös auf Brock Putnams Rücken während dieser nur still vor sich her starrte.
Jetzt, wo sie tatsächlich bei dem Mann war, verstand sie, dass sie keine Ahnung hatte was sie als nächstes tuen oder sagen sollte.
Aber soweit ihre Recherche während des Fluges sie aufgeklärt hatte, verstand sie, dass der Mann nicht in der Lage war gerade sie oder sonst jemanden anzusehen. Er war traumatisiert von einem einzigen Detail, dass Lokführer, die so etwas durchmachten, sehr oft verfolgte. Vor einigen Augenblicken hatten der Schaffner und sein Assistenzschaffner ausgesagt, dass sie nur einen kurzen Blick vom Opfer bekamen, bevor sie starb.
Aber dieser Mann hatte viel mehr als einen bloßen Blick werfen können.
Er hatte etwas einzigartig Grauenvolles von seiner Position aus durch die Windschutzscheibe sehen können –– etwas, was kein unschuldiger Mensch verdiente jemals sehen zu müssen.
Würde es ihm helfen, es laut auszusprechen?
Ich bin kein Seelenklempner, ermahnte sie sich.
Trotzdem fühlte sie sich immer mehr genötigt, zu versuchen ihm zu helfen.
Langsam und vorsichtig sagte Jenn…
„Ich glaube, ich weiß was Sie gesehen haben“, sagte sie. „Sie können mit mir darüber sprechen, wenn Sie wollen.“
Nach einer Pause fügte sie hinzu…
„Aber nicht, wenn sie es nicht wollen.“
Eine Stille stellte sich ein.
Ich nehme an, er will