da wären, trat einen Schritt zurück, so daß der streitige Gegenstand völlig sichtbar ward, und sagte in demüthigem Tone:
»Der heilige Franciscus hatte mir ihn gegeben, der heilige Franciscus nimmt mir ihn wieder. Es lebe der heilige Franciscus! Dieser Fisch gehört Euch, mein Vater.«
»Ach, der Dummkopf!« konnte Don Clemente sich nicht enthalten auszurufen.
Alle richteten die Köpfe empor und die Blicke der Menge hefteten sich auf den jungen Mann mit dem spöttischen Gesichte. Der Ausdruck der Physiognomien derer, welche ihn ansahen, war blos noch der des Erstaunens, denn Niemand begriff recht, wem das Prädicat »Dummkopf« gelten sollte.
»Du bist es, Basso Tomeo, und kein Anderer, den ich einen Dummkopf nenne!« rief Don Clemente.
»Und warum, Excellenz?«
»Weil Ihr, Du und deine drei Söhne, die Ihr ehrliche, arbeitsame Leute und überdies starke, kräftige Bursche seid, Euch den Preis eurer Arbeit durch einen faulen, unverschämten Mönch nehmen laßt.«
Fra Pacifico, welcher geglaubt hatte, daß die Verehrung, welche man sonst überall seinem Gewande zollte, ihm ganz außerhalb der Frage stellen würde, stieß, als er sich so direct unversehens und auf so unerhörte Weise angegriffen sah, ein Wuthgebrülle aus und zeigte Don Clemente seinen Stock.
»Behalte deinen Stock für deinen Esel, Mönch. Nur diesem kann dein Stock Furcht einjagen.«
»Ja, aber ich sage Euch, Don Cicillo,10 daß mein Esel Giacobino heißt.«
»Nun, dann trägt dein Esel den Menschennamen und Du trägt den Namen deines Thieres.«
Die Menge fing an zu lachen. Sie fängt, wenn sie einem Streite zuhört, allemal damit an, daß sie die Partei dessen nimmt, welcher Witz hat.
Fra Pacifico wußte in seiner Wuth Don Clemente nur mit dem Namen zu belegen, der in seinen Augen die furchtbarste Beleidigung war.
»Ich sage Dir, Du bist ein Jakobiner. Dieser Mensch ist ein Jakobiner, meine Brüder! Seht Ihr ihn mit seinem à la Titus verschnittenen Haar und mit seinen langen Beinkleidern unter seinem Schlafrocke? Jakobiner! Jakobiner! Jakobiner!«
»Nenne mich Jakobiner, so lange Du willst. Ich bin stolz darauf, ein Jakobiner zu sein.«
»Da hört Ihr es,« heulte Fra Pacifico, »er gesteht selbst, daß er ein Jakobiner ist.«
»Vor allen Dingen, rief Don Clemente, »weißt Du denn, was ein Jakobiner ist?«
»Ein Jakobiner ist ein Demagog, ein Sansculotte, ein Septembrisirer, ein Königsmörder.«
»In Frankreich ist dies wohl möglich, in Neapel aber – höre dies wohl, und bemühe Dich, es nicht zu vergessen – in Neapel bedeutet Jakobiner einen rechtschaffenen Mann, der sein Vaterland liebt, das Glück des Volkes und folglich Abschaffung der dasselbe verdummenden Vorurtheile will, welcher Gleichheit, das heißt einerlei Gesetze für die Kleinen, wie für die Großen, und die Freiheit für Alle verlangt, damit die Fischer ihre Netze an jeder Stelle des Golfes auswerfen können, und daß es selbst nicht für den König in Portici, in Mergellina und in Chiatamone reservierte Stellen gibt, denn das Meer gehört Allen, gerade so wie die Luft, die wir athmen, und wie die Sonne, welche uns leuchtet. Ein Jakobiner ist endlich ein Mann, welcher die Brüderlichkeit will, das heißt, welcher alle Menschen als seine Brüder betrachtet und welcher sagt: »Es ist nicht recht, daß die Einen ausruhen und betteln, während die Anderen arbeiten und sich anstrengen; welcher nicht will, daß ein armer Fischer, der in der Nacht seine Netze auslegt und am Tage sie herauszieht, wenn er einmal zufällig, was ihm alle zehn Jahre höchstens einmal begegnet, einen Fisch gefangen hat, der dreißig Ducati werth ist –«
Die Menge schien diesen Preis zu hoch zu finden und fing an zu lachen.
»Ich für meine Person gebe dreißig Ducati dafür,« fuhr Filomarino fort. »Wohlan, ich sage nochmals, ein Jakobiner ist ein Mann, welcher nicht will, daß, wenn ein armer Fischer einmal einen Fisch gefangen hat, welcher dreißig Ducati werth ist, dieser ihm von einem Menschen gestohlen werde – doch nein, ich drücke mich nicht richtig aus – von einem Mönch. Ein Mönch ist kein Mensch. Der, welcher den Namen eines Menschen verdient, ist der, welcher seinen Brüdern Dienste leistet, aber nicht der, der sie bestiehlt; der, welcher der Gesellschaft nützlich ist, aber nicht der, welcher ihr zur Last fällt; der, welcher arbeitet und mit Ehren den Preis seiner Arbeit empfängt, um Weib und Kind zu ernähren, aber nicht der, welcher die Frauen Anderer zu verführen sucht. Dies ist ein Jakobiner, Mönch, und wenn dies ein Jakobiner ist, ja, dann bin ich einer!«
»Ihr hört es!« rief der Mönch, außer sich vor Wuth, »er lästert die Kirche, er lästert die Religion, er lästert den heiligen Franciscus. – Er ist ein Atheist!«
Mehrere Stimmen fragten:
»Was ist denn ein Atheist?«
»Ein Atheist,« antwortete Fra Pacifico, »ein Atheist ist ein Mensch, welcher nicht an Gott glaubt, welcher nicht an die Madonna glaubt, welcher nicht an Jesum Christum glaubt, der endlich auch nicht an das Wunder des heiligen Januarius glaubt.«
Bei jeder dieser Anklagen hatte Don Clemente Filomarino gesehen, wie die Augen der Menge immer mehr und mehr zu funkeln begannen. Es war klar, daß, wenn der Kampf zwischen ihm und dem Mönche fortdauerte, und die unwissende fanatische Menge zum Schiedsrichter hatte, der Ausgang ein für ihn ungünstiger sein würde.
Bei der letzten Anklage stießen mehrere der Zuhörer einen Zornesruf aus, zeigten ihm die Faust und wiederholten, was sie von Fra Pacifico gehört, indem sie riefen:
»Es ist ein Jakobiner, es ist ein Atheist, es ist ein Mensch, der nicht an das Wunder des heiligen Januarius glaubt!«
»Und überdies,« fuhr der Mönch fort, welcher dieses Argument zum Schlusse aufgehoben, »übrigens ist er ein Freund der Franzosen.«
Bei dieser letzten Schmähung begannen einige unter der Menge Steine aufzuheben.
»Und Ihr,« rief Don Clemente ihnen zu, »Ihr seid Esel, welchen man niemals zu schwere Lasten aufbürden kann!«
Mit diesen Worten machte er sein Fenster zu.
In dem Augenblicke, wo er das Fenster schloß, rief eine Stimme:
»Nieder mit den Franzosen! Tod den Franzosen! Und fünf bis sechs Steine zerschlugen hinter Don Clemente die Fensterscheibe. Einer dieser Steine traf ihn ins Gesicht und brachte ihm eine leichte Wunde bei.
Hätte der junge Mann die Klugheit gehabt, sich nicht wieder zu zeigen, so hätte die Wuth der Menge sich durch diese Rache vielleicht beschwichtigt gefühlt; gereizt aber durch die Beleidigung sowohl als den Schmerz, riß er sein geladenes Jagdgewehr von der Wand, öffnete das Fenster wieder und rief mit vor Zorn und Entrüstung flammendem Antlitze:
»Wer hat den Stein geworfen? Wer hat mich hierher getroffen?« fragte er, indem er auf seine blutende Wange zeigte.
»Ich!« antwortete ein Mann von etwa vierzig Jahren, kurzem aber kräftigem Wuche, mit einem Strohhut auf dem Kopf und in eine weiße Jacke und mit kurzen weiten Hosen bekleidet, indem er die Arme über die Brust kreuzte und durch diese Geberde eine weiße Mehlwolke aus seiner Jacke herauspochte; »ich, Gaëtano Mammone.«
Kaum hatte der Mann in der weißen Jacke diese Worte gesprochen, so schlug Don Clemente Filomarino mit seiner Flinte auf ihn an und drückte ab.
Der Schuß versagte und blos das Zündkraut brannte von der Pfanne.
»Mirakel!« rief Don Pacifico, indem er seinen Fisch auf seinen Esel lud und Don Clemente es überließ, mit der Menge fertig zu werden, »Mirakel!«
Dann trieb er sein Thier in der Richtung nach der Immacolatella weiter, indem er fortwährend rief:
»Mirakel! Mirakel!«
Zweihundert Stimmen schrien hinter ihm her:
»Mirakel!«
Mitten unter allen diesen Stimmen aber wiederholte die, welche sich schon hören gelassen:
»Tod dem Jakobiner! Tod dem Atheisten! Tod dem