der weißen Jacke, sein Beil über dem Kopfe schwingend, rief:
»Daß Niemand ihn anrühre! Das Blut dieses Menschen ist mein!«
Dieser Befehl kam eben noch zeitig genug, um Don Clemente vor zwanzig Messerstößen deren neunzehn zu ersparen; der zwanzigste aber, welcher schneller war als die Andern, hatte ihn schon in die Brust getroffen.
Der Mörder konnte daher, um zu gehorchen, weiter nichts thun, als einen Schritt zurücktreten und das Messer in der Wunde stecken lassen.
Der Verwundete blieb stehen, schwankte aber hin und her wie ein Mensch, welcher bald zusammenbrechen muß.
Gaëtano Mammone warf sein Beil weg, sprang auf den Verwundeten zu, drängte ihn an die Wand und hielt ihn mit einer Hand fest, zerriß mit der andern, ohne daß Don Clemente den Willen oder die Kraft gehabt hätte, sich zu widersetzen, den Schlafrock und das Battisthemd des Verwundeten, entblößte ihm die Brust, riß das in der Wunde steckengebliebene Messer heraus und heftete begierig den Mund auf die Wunde, aus welcher ein langer hellrother Strahl hervorsprang.
So macht es der Tiger, welcher am Hals des Rosses hängt, dem er die Pulsader aufreißt, um das Blut zu trinken.
Don Clemente fühlte, daß dieser Mensch oder vielmehr daß dieses wilde Thier ihm mit Gewalt das Leben aus dem Körper sog.
Unwillkürlich stemmte er die Hände auf die Schultern des gräßlichen Gegners und suchte ihn zurückzudrängen, wie Antäus den Herkules zurückzudrängen sucht, der ihn erwürgt.
Entweder aber war sein Gegner zu rüstig oder Don Clemente zu sehr geschwächt. Seine Arme erschlafften langsam. Es war ihm, als würde dieser Mensch ihm nach dem Blute, nach dem Leben, auch die Seele aussaugen.
Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, ein tödtlicher Schauer durchrieselte eine halbgeleerten Adern, er stieß einen langen Seufzer aus und ward ohnmächtig.
Als der Vampyr sein Opfer nicht mehr zucken fühlte, ließ er davon ab und sein Mund verzerrte sich zu einem Lächeln gräßlicher Wollust.
»Da,« sagte er, »mein Durst ist gelöscht; jetzt macht mit diesem Leichnam, was Ihr wollt.«
Und in der That hörte Gaëtano Mammone auf, Don Clementes Körper an die Wand zu drücken, so daß dieser, in sich selbst zusammenbrechend, wie eine träge Masse auf den Fußboden niedersank.
Mittlerweile hatte der Herzog della Torre, freudenvoll wie ein Kind, welches ein längst gewünschtes Spielzeug erhält, aus den Händen des Buchhändlers Dura den Persius von 1664 empfangen. Er hatte sich von der Echtheit der Ausgabe überzeugt, denn die Titelvignette zeigte den Schild mit den beiden gekreuzten Sceptern, und er war nicht vor dem Preis von zweiundsechzig Ducati zurückgeschreckt welche der Buchhändler dafür verlangt. Wem er sich nun noch den Terenz von 1661 verschaffte, so war seine Sammlung von Elzeviers vollständig, ein Ziel, welches nur drei Bücherliebhaber, einer in Paris, einer in Amsterdam und einer in Wien, sich rühmen konnten erreicht zu haben.
Im Besitz des kostbaren Buches, dachte der Herzog an nichts weiter, als wieder in den Carrozzello zu steigen, welcher ihn zu dem Buchhändler gebracht, und in seinen Palast zurückzukehren.
Wie freute er sich, Don Clemente wiederzusehen, ihn seinen Schatz zu zeigen und ihm zu beweisen, daß die Freuden des Bibliomanen höher stehen als die aller anderen Menschen.
Ach, wenn er diesen jungen Mann, der so schöne Eigenschaften besaß, aber dieser ermangelte, dahin bringen konnte, so ward dann sicherlich ein vollständiger Cavalier aus ihm, während Don Clemente jetzt noch der Sammlung des Herzogs glich. Er besaß alle Eigenschaften bis auf eine und er, der glückliche Bibliomane, besaß alle Ausgaben der Elzeviers, Vater, Sohn und Neffe bis auf den Terenz.
Mit lächelndem Munde und unter diesen Gedanken, an welchen sein Geist weniger Antheil hatte als sein Herz, sein kostbares Buch betrachtend, es zwischen beide Hände und zur Abwechslung an seine Brust drückend und sich sehnend es zu küssen, was er, wenn er allein gewesen wäre, auch sicherlich gethan hätte, fuhr der Herzog nach seinem Palast zurück, als er, bei Supportico Strettela anlangend, eine ungeheure Menschenmasse zu unterscheiden begann, welche sich vor seinem Palast zusammengerottet zu haben schien.
Aber ganz gewiß täuschte er sich. Was sollten diese Menschen vor seinem Palast machen?
Etwas erschien ihm aber noch weit außerordentlicher als die an dieser Stelle versammelten Menschen.
Es waren dies die Bücher und Papiere, welche gleich einem Vogelschwarm aus den Fenstern seiner Bibliothek herauszufliegen schienen! Ohne Zweifel täuschte ihn die Perspective. Diese Fenster, an welchen von Zeit zu Zeit Männer erschienen, welche mit den auf der Straße stehenden zornige Geberden wechselten, diese Fenster waren nicht die seinigen.
So wie aber der Carrozzello immer näher kam, war es dem Herzog nicht mehr erlaubt zu zweifeln, und sein Herz ward von unüberwindlicher Angst zusammengeschnürt.
Obschon er aber mit jedem Schritt näher kam, so sah er mit jedem Schritt weniger deutlich. Eine Wolke umflorte seine Augen, wie dies zuweilen im Traume geschieht, und in leisem, aber immer unruhigerem Tone sagte er mit stierem Blicke, ausgestrecktem Halse und vorwärts gebeugtem Körper: »Ich träume! ich träume! ich träume!«
Bald aber mußte er sich gestehen, daß er nicht träumte und daß eine furchtbare, unerwartete Katastrophe über sein Haus und ihn selbst hereingebrochen war.
Die Menschenmenge reichte bis an den Vico Marina del Vino und jeder der Menschen, welche diese Zusammenrottung bildeten, heulte von wahnsinniger Wuth ergriffen:
»Tod dem Jakobiner! Tod dem Atheisten! Tod dem Freunde der Franzosen! Auf den Scheiterhaufen mit ihm! auf den Scheiterhaufen!«
Ein furchtbarer Blitz durchzuckte das Hirn des Herzogs. Zerlumpte, halb nackte, mit Blut besudelte Gestalten gesticulirten an den Fenstern der Wohnung seines Bruders.
Er sprang aus dem Carrozzello, drang wie ein Wahnsinniger in diese Menge, stieß einen wilden Schrei aus, drängte mit einer Kraft, die er sich selbst nicht zugetraut, Männer, die zehnmal stärker waren als er, auf die Seite, und so wie er in diesem Ocean, dessen Wogen jede aus einem Menschen bestanden, weiter hinein kam, fühlte er, daß derselbe immer wüthender, immer drohender, immer leidenschaftlicher ward.
Endlich nachdem er dem Umkreis hinter sich hatte, gelangte er in die Mitte und stieß einen lauten Schrei aus.
Er sah sich einem aus Holz von jeder Gattung zusammengesetzten Scheiterhaufen gegenüber, auf welchem blutend, ohnmächtig, verstümmelt und halb nackt sein Bruder lag.
Es war unmöglich ihn zu verkennen, es war unmöglich zu sagen: »Er ist es nicht.«
Nein, nein! Er war es wirklich, Don Clemente, das Kind seines Herzens, der vielgeliebte Bruder! Der Herzog begriff nur Eins und brauchte auch nur Eins zu begreifen, nämlich, daß diese brüllenden Tiger, daß diese heulenden Cannibalen, daß diese Teufel, welche lachend und singend diesen Scheiterhaufen umtanzten, die Mörder seines Bruders waren.
Man muß dem Herzog die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er, da er seinen Bruder todt glaubte, nicht einen einzigen Augenblick den Gedanken hegte, ihn überleben zu wollen. Er dachte nicht einmal an die Möglichkeit eines solchen Gedankens.
»Ha, elende, feige Meuchelmörder und Henker!« rief er, »Ihr werdet uns wenigstens nicht hindern mit einander zu sterben.«
Und mit diesen Worten warf er sich auf den Körper seines Bruders.
Die ganze Bande heulte vor Freude. Sie hatte nun zwei Opfer anstatt eines und zwar anstatt eines besinnungslosen, zu drei Viertheilen schon todten Schlachtopfers eines, an welchem man alle Qualen erschöpfen und verlängern konnte.
Domitian sagte, indem er von den Christen sprach:
»Es ist nicht genug, daß sie sterben; sie müssen auch fühlen, daß sie sterben.«
Das Volk von Neapel ist in dieser Beziehung Domitians würdiger Erbe.
In einer Secunde war der Herzog della Torre auf den Körper seines Bruders an die Balken des Scheiterhaufens gebunden.
Don Clemente schlug die Augen auf. Er hatte auf seinen