Иван Гончаров

Oblomow


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wieder hinauf.

      Es schlug halb Zehn, Ilja Iljitsch raffte sich auf.

      »Was soll denn das, wirklich?« sagte er laut und ärgerlich. »Man muß ja ein Gewissen haben; es ist Zeit, mit der Arbeit zu beginnen! Wenn man sich gehen läßt, dann . . .«

      – Sachar! – schrie er.

      Im Zimmer, das nur durch einen kleinen Corridor von Ilja Iljitschs Arbeitszimmer getrennt war, hörte man zuerst etwas, wie das Brummen eines Kettenhundes und dann das Geräusch von irgendwo herabspringenden Füße. Das war Sachar, der von der Ofenbank herabsprang, auf welcher er gewöhnlich seine Zeit vor sich hindröselnd verbrachte.

      Ins Zimmer trat ein älterer Mann in einem grauen Rock mit einem Loch unter dem Arm und einem daraus hervorschauenden Hemdzipfel, in einer grauen Weste mit Messingknöpfen, mit einem Schädel, der nackt wie ein Knie war, und einem breiten, dichten, dunkelblond und grau melierten Backenbart, dessen jede Hälfte für drei Bärte ausreichen würde.

      Sachar machte keine Versuche, nicht nur das ihm von Gott verliehene Äußere, sondern auch die von ihm im Dorf getragene Kleidung zu ändern. Seine Anzüge wurden ihm nach dem Modell, das er sich aus dem Dorfe mitgebracht hatte, genäht. Der graue Rock und die Weste gefielen ihm auch darum, weil er in dieser halbmilitärischen Kleidung eine schwache Erinnerung an die Livrée sah, die er einst trug, als er die verstorbenen Herrschaften in die Kirche oder bei Visiten begleitete; die Livrée war aber in seiner Erinnerung das einzige Symbol der Würde des Hauses Oblomow. Nichts erinnerte den Alten mehr an das wohlige, ruhige, herrschaftliche Leben im entlegenen Dorfe. Die alten Herrschaften waren gestorben, die Familienporträts waren zu Hause geblieben und lagen wohl irgendwo auf dem Dachboden herum; die Überlieferung von der alten Lebensweise und der Vornehmheit der Familie verschwand mit der Zeit oder lebte nur in der Erinnerung weniger im Dorfe zurückgebliebener Greise. Darum war der graue Rock Sachar so theuer; darin, wie auch in einigen sich im Gesichte und in den Manieren des Herrn erhaltenen Merkmalen, die an seine Eltern erinnerten, und in seinen Launen, über die er zwar im Geiste und laut brummte, die er aber in seinem Innern als die Äußerung des herrschaftlichen Willens und Rechtes achtete, sah er schwache Überreste der dahingeschwundenen Majestät. Ohne diese Launen fühlte er keinen Herrn über sich; ohne sie machte nichts seine Jugend, das Dorf, das sie längst verlassen hatten, und die Erzählungen über diese alte Familie auferstehen. Das Haus Oblomow war einst reich und in seiner Heimat berühmt gewesen, doch dann verarmte es, Gott weiß weshalb, verkümmerte und verlor sich endlich unmerklich unter den jüngeren Adelsgeschlechtern. Nur die ergrauten Diener des Hauses verwahrten und übergaben einander das treue Angedenken an die Vergangenheit, das sie wie ein Heiligthum hochhielten. – Darum liebte Sachar so seinen grauen Rock. Vielleicht war ihm auch sein Backenbart darum so theuer, weil er in seiner Kindheit viele alte Diener mit dieser alterthümlichen, aristokratischen Barttracht gesehen hatte.

      In seine Gedanken versunken, bemerkte Ilja Iljitsch Sachar lange Zeit nicht. Sachar stand schweigend vor ihm. Endlich räusperte er sich.

      – Was hast Du? – fragte Ilja Iljitsch.

      – Sie haben mich ja gerufen!

      – Ich habe Dich gerufen? Warum habe ich Dich denn gerufen – ich weiß es nicht mehr! – antwortete er und streckte sich. – Geh vorläufig in Dein Zimmer, und ich werde mich erinnern.

      Sachar gieng, und Ilja Iljitsch blieb liegen und dachte wieder über den verfluchten Brief nach.

      Es vergieng eine Viertelstunde.

      »Nun es ist genug zu liegen,« sagte er; »man muß ja aufstehen . . Ich werde übrigens den Brief des Dorfschulzen noch einmal aufmerksam durchlesen und werde dann aufstehen. Sachar!«

      Wieder derselbe Sprung und ein heftigeres Brummen. Sachar kam herein, und Oblomow versenkte sich wieder in seine Gedanken. Sachar blieb etwa zwei Minuten stehen, indem er den Herrn ungnädig ein wenig von der Seite anblickte und trat endlich zur Thüre.

      – Wohin denn? – fragte plötzlich Oblomow.

      – Sie sagen mir nichts, warum soll ich denn unnütz dastehen? – krächzte Sachar in Ermangelung einer andern Stimme, die er, wie er sagte, als er mit dem alten Herrn auf die Jagd fuhr, und ihm ein heftiger Wind in den Hals blies, verloren hatte. Er stand halb abgewendet in der Mitte des Zimmers und blickte Oblomow immer von der Seite an.

      – Fallen Dir denn Deine Füße ab, wenn Du stehen bleibst? Du siehst, ich habe Sorgen – warte also! Bist Du denn zu wenig gelegen? Suche den Brief, den ich gestern vom Dorfschulzen bekommen habe. Wo hast Du ihn hingegeben?

      – Was für ein Brief? Ich habe keinen Brief gesehen – sagte Sachar.

      – Du hast ihn ja dem Briefträger abgenommen, es war ein so schmutziger Brief.

      – Woher soll ich denn wissen, wo Sie ihn hingelegt haben? – sprach Sachar, über die Papiere und die verschiedenen auf dem Tische liegenden Sachen mit der Hand fahrend.

      – Du weißt nie etwas. Schau dort im Korb nach! Oder ist er vielleicht hinter das Sofa gefallen? Die Lehne da am Sofa ist noch immer nicht repariert; warum holst Du nicht den Tischler und läßt es machen? Du hast sie ja zerbrochen.

      – Ich hab sie nicht zerbrochen, – antwortete Sachar; – sie ist von selbst zerbrochen; sie kann ja nicht ewig halten, sie muß ja auch einmal zerbrechen.

      Ilja Iljitsch hielt es nicht für nothwendig, das Gegentheil zu beweisen.

      – Hast Du ihn schon gefunden? – fragte er nur.

      – Hier sind Briefe.

      – Das sind andere.

      – Dann gibtʼs keine mehr, – antwortete Sachar.

      – Also gut, gehʼ! – sagte Ilja Iljitsch ungeduldig; – ich werde aufstehen und ihn selbst finden.

      Sachar gieng in sein Zimmer, doch so wie er sich mit den Händen gegen die Ofenbank stemmte, um hinaufzuspringen, hörte er wieder die eiligen Rufe: »Sachar, Sachar!«

      – Ach Du mein Gott! – brummte Sachar, sich wieder ins Arbeitszimmer begebend; »was das für eine Qual ist? Wenn doch mein Tod bald käme!«

      – Was wollen Sie? – sagte er, sich mit der einen Hand an der Zimmerthür haltend, und blickte Oblomow zum Zeichen seiner Ungnade so sehr von der Seite an, daß er ihn mit dem halben Auge zu sehen bekam, während sein Herr nur die eine ungeheure Backenbarthälfte sah, welche die Erwartung hervorrief, aus ihr würden zwei, drei Vögel herausfliegen.

      – Das Taschentuch, geschwind! Das könntest Du selbst wissen; siehst Du denn nicht! – bemerkte Ilja Iljitsch streng.

      Sachar äußerte keine besondere Unzufriedenheit oder Verwunderung bei diesem Befehl und Vorwurf des Herrn, da er wohl von seinem Standpunkt aus beides sehr natürlich fand.

      – Wer weiß, wo das Taschentuch ist! – brummte er, indem er eine Runde durch das Zimmer machte und jeden Stuhl betastete, obgleich man auch so sehen konnte, daß auf den Stühlen nichts lag.

      – Sie verlieren alles! – bemerkte er, die Thür in den Salon öffnend, um nachzuschauen, ob das Gesuchte sich nicht dort befand.

      – Wohin? Suche hier; ich war seit vorgestern nicht drin. So beeile Dich doch! – sagte Ilja Iljitsch.

      – Wo ist das Taschentuch? Das Taschentuch ist nicht da! – erwiderte Sachar achselzuckend und in alle Winkel schauend. – Da ist es ja, – krächzte er plötzlich zornig; – unter Ihnen! Da schaut ein Zipfel heraus. Sie liegen selbst auf dem Taschentuch und fragen darnach!

      Und Sachar wandte sich ohne eine Antwort abzuwarten der Thür zu. Oblomow war ein wenig verlegen geworden. Er fand schnell einen neuen Vorwand, Sachar im Unrecht erscheinen zu lassen.

      – Wie rein Du hier alles hältst! Mein Gott, wie schmutzig und staubig es ist! Da, da, schau mal in die Ecken hinein – Du thust gar nichts!

      – Ich thu nichts . . . – begann Sachar mit gekränkter Stimme; ich gebe mir so viel Mühe, mir ist es um mein Leben nicht zu schade, ich staube ab und fege fast jeden Tag . . .

      Er zeigte auf die Mitte des Fußbodens