noch? Lassen Sie das, bleiben Sie zum Mittagessen: wir würden miteinander sprechen. Ich habe ein doppeltes Unglück gehabt . . .
– Ich kann nicht: ich esse beim Fürsten Tjumenjew zu Mittag; es werden dort alle Gorjunows sein, und auch sie, sie . . . Lidinjka! – fügte er flüsternd hinzu. – Warum haben Sie den Verkehr mit dem Fürsten aufgegeben? Was das für ein lustiges Haus ist! Was für ein Ton dort herrscht! Und das Landhaus! es ist in Blumen gebettet! man hat eine Gallerie gothique angebaut. Es heißt, man wird dort im Sommer tanzen und lebende Bilder aufführen. Werden Sie hinkommen?
– Nein, ich glaube nicht.
– Ach, was das für ein Haus ist! Diesen Winter gab es dort jeden Mittwoch nicht unter fünfzig Personen, und manchmal waren es sogar hundert . . .
– Mein Gott! da ist es gewiß höllisch langweilig!
– Wie kann man so etwas sagen? langweilig! Je mehr Menschen da sind, desto lustiger ist es ja. Auch Lydia kam hin, ich habe ihr keine Aufmerksamkeit geschenkt, und plötzlich . . .
»Vergebens mühʼ ich mich, sie zu vergessen
Und durch Vernunft die Leidenschaft zu bannen . . .«
sang er und setzte sich verträumt auf den Sessel, doch dann sprang er plötzlich auf und begann sich den Staub von den Kleidern zu wischen.
– Wie staubig es bei Ihnen überall ist! – sagte er.
– Das ist alles Sachars Schuld! – klagte Oblomow.
– Nun, ich muß gehen! für Mischa ein Bouquet Camelien zu besorgen. Au revoir!
– Kommen Sie abends, nach dem Ballet Thee trinken, Sie werden mir erzählen, wie es dort zugegangen ist, – lud Oblomow ein.
– Ich kann nicht, ich habe den Mussinskys versprochen, hinzukommen, heute ist bei ihnen jour. Kommen Sie auch. Wenn Sie wollen, stelle ich Sie vor!
– Nein, was soll ich dort anfangen?
– Bei den Mussinskys? Aber ich bitte Sie, dorthin kommt ja die halbe Stadt. Was man dort anfangen soll? Das ist ein Haus, in dem über alles gesprochen wird . .
– Das ist ja das Langweilige, daß über alles gesprochen wird, – sagte Oblomow.
– Besuchen Sie dann die Mesdrows, – unterbrach ihn Wolkow, – dort spricht man von einem Gegenstand, von der Kunst; man hört nichts anderes als: die venezianische Schule, Beethoven und Bach, Leonardo da Vinci . . .
– Immer ein und dasselbe – wie langweilig! Das sind gewiß Pedanten! – sagte Oblomow gähnend.
– Man kann es Ihnen nicht recht machen. Gibt es denn wenig Familien! Jetzt haben alle jours: bei den Sawinows speist man am Donnerstag, die Maklaschins empfangen am Freitag, die Wjasnikows am Sonntag, der Fürst Tjumenjew am Mittwoch. Bei mir sind alle Tage besetzt! – schloß Wolkow mit strahlenden Augen.
– Und fällt es Ihnen nicht zur Last, tagaus, tagein herumzurennen?
– Zur Last! Wie kann das zur Last fallen? Es ist so lustig! – sagte er sorglos. – Des Morgens liest man ein wenig, man muß immer au courant sein und alle Neuigkeiten wissen. Ich habe, Gott sei Dank, eine solche Beschäftigung, daß ich nicht ins Amt zu gehen brauche. Ich sitze nur zweimal in der Woche beim General und esse bei ihm zu Mittag, dann mache ich Leuten, bei denen ich schon lange nicht war, einen Besuch; nun und dann . . . gibt es ja immer eine neue Schauspielerin, bald im russischen und bald im französischen Theater. Die Oper wird nächstens eröffnet, ich abonniere mich. Und jetzt bin ich verliebt . . . Es wird bald Sommer; man hat Mischa einen Urlaub versprochen; dann fahren wir für einen Monat auf ihr Gut, der Abwechslung halber. Dort wird gejagt. Sie haben sehr nette Nachbarn, es werden bals champétres arrangiert. Ich werde mit Lydia im Wald spazieren gehen, Boot fahren, Blumen pflücken . . . Ach! . . – Und er machte einen Freudensprung . . . – Es ist aber Zeit . . . Adieu, – sagte er und machte vergebliche Versuche sich im verstaubten Spiegel von vorne und von rückwärts zu betrachten.
– Warten Sie, – hielt ihn Oblomow zurück, – ich wollte mit Ihnen geschäftlich sprechen.
– Pardon, ich habe keine Zeit, – antwortete Wolkow eilig, – ein anderesmal! – Wollen Sie nicht mit mir Austern essen? Sie können mir dabei Ihre Angelegenheit erzählen. Kommen Sie, Mischa ladet Sie ein.
– Nein, was fällt Ihnen ein! – sagte Oblomow darauf.
– Also, Adieu!
Er gieng und kam zurück.
– Haben Sie das gesehen? – fragte er, die Hand zeigend, die der Handschuh wie angegossen umspannte.
– Was ist das? – fragte Oblomow verblüfft.
– Die neuen Lacets! Sehen Sie, wie gut das zusammenhält: man braucht sich nicht zwei Stunden lang mit den Knöpfen abzuquälen, man zieht an der Schnur und die Sache ist erledigt. Das kommt soeben aus Paris. Wollen Sie, daß ich Ihnen ein Paar zur Probe mitbringe?
– Gut, bringen Sie mir eins mit.
– Und schauen Sie sich einmal das an: nicht wahr, das ist sehr hübsch? – sagte er, nachdem er in dem Haufen der Berloques eines ausgesucht hatte, es war eine Visitenkarte mit einer umgebogenen Ecke.
– Ich kann nicht entziffern, was darauf steht.
– Pr. – Prince, M. – Michel, und der Familienname Tjumenjew ist nicht mehr daraufgegangen. Das hat er mir zu Ostern statt eines Eies geschenkt. Aber leben Sie wohl, au revoir! Ich muß noch zehn Personen aufsuchen. Oh Gott, wie lustig ist es auf der Welt!
Und er verschwand.
»Zehn Personen an einem Tage aufsuchen – der Unglückliche!« – dachte Oblomow. »Und das ist ein Leben!« und er zuckte heftig die Achseln. »Wo bleibt denn dann der Mensch? In wie viel kleine Theile löst er sich auf und zerfällt er? Es ist gewiß nicht übel, ins Theater hereinzublicken und sich in irgendeine Lydia zu verlieben . . . Sie ist hübsch! Es ist schön, mit ihr auf dem Lande Blumen zu pflücken und spazieren zu fahren! – Aber an einem Tage zehn Personen aufzusuchen – der Unglückliche!« schloß er, sich auf den Rücken umwendend und sich freuend, daß er keine so leeren Wünsche und Gedanken hatte, daß er sich nicht abzuquälen brauchte, sondern daliegen und seine menschliche Würde und Ruhe aufrecht erhalten konnte.
Ein neues Läuten unterbrach seine Betrachtungen.
Es kam wieder ein Gast.
Das war ein Herr in einem dunkelgrünen Frack mit Uniformknöpfen, er hatte ein glattrasiertes Kinn, einen dunklen Backenbart, der sein Gesicht gleichmäßig umrahmte, einen angestrengten, aber ruhigen und intelligenten Ausdruck in den Augen, ein welkes Gesicht und ein nachdenkliches Lächeln.
– Guten Tag, Sudjbinskij! – begrüßte Oblomow ihn freudig. – Schaust Du Dich auch einmal nach Deinem alten Collegen um! Komm nicht so nahe heran! Du bringst Kälte herein.
– Guten Tag, Ilja Iljitsch. Ich wollte schon lange zu Dir, – sprach der Gast, – aber Du weißt ja, was für einen teuflischen Dienst wir haben! Da, schau einmal, ich habe hier einen ganzen Koffer voll Berichte, und ich habe dem Boten befohlen herzurennen, wenn man dort nach irgendetwas frägt. Ich kann keinen Augenblick über mich verfügen.
– Gehst Du erst jetzt ins Amt? Warum so spät? – fragte Oblomow, – Du pflegtest ja um zehn Uhr anzufangen . . .
– Ja, ich pflegte; jetzt istʼs aber anders: ich fahre um zwölf Uhr hin. – Er betonte: fahre.
– Ah! ich errathe! – sagte Oblomow, – Du bist Bureauchef! Schon lange?
Sudjbinskij nickte bedeutungsvoll.
– Seit Ostern, – sagte er. – Aber wieviel zu thun ist, – schrecklich! Von acht bis zwölf Uhr arbeite ich zu Hause, von zwölf bis fünf Uhr in der Kanzlei und dann habe ich noch abends zu thun. Ich bin jetzt gar nicht mehr gewohnt, mit Menschen zusammen zu sein!
– Hm! Bureauchef – so! – sagte Oblomow. – Gratuliere! Du bist aber einer!