folgenden Morgen schloss wirklich Madame Ambron, welche mit allen Seeleuten der Küste in Verbindung stand, einen Vertrag mit dem Eigentümer einer kleinen Slupe, welcher sich verbindlich machte, um die Summe von hundert Louisd'or die drei Flüchtlinge nach Dover zu bringen.
Den ganzen Tag hindurch waren die Augen der Baroness auf eine Wetterfahne gerichtet, auf welche sie von ihren Fenstern aus sehen konnte. Der Wind war contrair und wehte seit fünf oder sechs Tagen beständig aus derselben Richtung. Aber wie wenn Gott, der die arme Familie durch den Tod ihres Hauptes genügsam geprüft glaubte, ihr endlich seine Barmherzigkeit zuwende, drehte sich gegen Abend die Wetterfahne, und die Wirtin trat freudig zu ihnen herein, um der Baroness zu sagen, daß sie sich vor dem Schließen der Barrieren zur Abreise bereit halten solle.
Um fünf Uhr bestiegen die Baroness, die Marquise und die kleine Cäcilie das Fuhrwerk wieder, und Peter Durand setzte sich auf die Deichsel. Vermöge der neuen Visa, und als wenn sie nach Montreuil zurück kehren wollten, gelangten sie ohne Schwierigkeit hinaus. Aber eine halbe Stunde vor der Stadt wurde ein Feldweg eingeschlagen, der nach einem der Madame Ambron gehörigen Landhaus führte, welches nur eine Viertelstunde von der See lag. Gewöhnlich wurden in diesem Hause die Reisenden, die nach England überzuschiffen wünschten, aufgenommen.
Madame Ambron hatte sich jetzt selbst dahin begeben, und die würdige Frau empfing die Baroness, ihre Mutter und ihr Kind bei ihrer Ankunft. Es war zehn Uhr Nachts; man wartete bis Mitternacht.
Um Mitternacht wurde an der Türe gepocht, es war der Eigentümer der Slupe selbst. Der getroffenen Übereinkunft gemäß zahlte ihm die Baroness fünfzig Louisd'or voraus; die übrigen fünfzig sollten gezahlt werden, so wie man den Fuß an die Küste Englands setzte.
Die beiden Frauen hüllten sich in ihre Pelze, Madame Ambron unterstützte die Marquise, welche diese halbe Stunde, zu Fuß und mitten in der Nacht zurück gelegt, in eine tödliche Angst versetzte; Peter Durand nahm die kleine Cäcilie auf seinen Arm und trug sie.
Je weiter man vorwärts ging, um so mehr hörte man das Meer, welches sich an der Küste mit dem langen und traurigen Murmeln brach, welches dem Atmen des Ozeans gleicht. Die Marquise schauderte bei dem Gedanken, sich auf einer kleinen Schaluppe einzuschiffen, und sprach davon, sich in der Provinz verbergen zu wollen.
Von Zeit zu Zeit betrachtete die Baroness die kleine Cäcilie. welche auf den Armen des Pächters eingeschlafen war, und trocknete, ohne ein Wort zu sagen, eine Träne.
Man gelangte an die Brandung der Küste; es mußte hinab gestiegen werden. Man sah Nichts, als eine Art mit der Spitzhaue zugehauene Mauer; die Marquise erhob ein großes Geschrei.
Ein schmaler Weg, zwei Fuß breit, führte an dieser Mauer hin; die Baroness nahm ihr Kind von den Armen Durands und stieg zuerst hinab, Madame Ambron folgte ihr, indem sie sich an der Hand des Pächters hielt. Die Marquise, von dem Schiffer unterstützt, schloß den Zug.
Man kam auf den Strandstein.
Die Baroness erschrak einen Augenblick. So weit als man sehen konnte, war kein Mensch und keine Barke sichtbar; allein der Schiffer pfiff und man sah einen kleinen Punkt sichtbar werden, der sich vergrößerte, indem er näher kam. Es war ein Nachen mit zwei Ruderern.
Frau von Marsilly wandte sich noch einmal um, um der Madame Ambron zu danken, und Peter Durand das letzte Lebewohl zu sagen. Sie sah den braven Pächter, den Hut zwischen seinen Händen drehend, mit der Miene eines auffallend verlegenen Mannes, der etwas sagen will, und es nicht wagt.
»Sie haben mir etwas zu sagen, mein Freund?«fragte die Baroness.
»Entschuldigen Sie, Frau Baronin,« sagte Peter Durand, »denn es ist nicht meine Sache, sich in Ihre Angelegenheiten zu mischen.«
»Sprechen Sie immerhin, mein lieber Peter, Alles, was Sie mir sagen, wird gut aufgenommen werden.«
»Ich wollte Ihnen sagen, Frau Baroness,« fuhr Peter fort, »daß Sie so abreisen, in einem Momente, wo Sie am wenigsten daran denken, und nach einem so teuren Lande, wie England, ohne zu wisse», wie lang Sie dort bleiben werden. . . .«
»Nun sagte die Baroness, indem sie sah, daß Peter stockte.
»Nun,« fuhr Peter fort, »Sie haben vielleicht nicht alle die Mittel mit sich genommen, welche notwendig sind?«
»Hören Sie, mein Freund,« sagte die Baroness, indem sie ihm die Hand drückte, »ich verstehe Sie.«
»Und,« fuhr Peter fort, »wenn die Frau Baroness. . . Wir haben noch sechs Jahre Pacht, und ich hoffe wohl, daß die Frau Baroness ihn uns erneuern wird; ich sage daher, daß wenn die Frau Baroness uns erlauben wollte, ihr im Voraus zwei Jahre Pacht zu bezahlen. . . .es wäre uns überdies ein Dienst damit erzeigt, weil die Räuber uns dieses Geldes berauben könnten, und weil es in Ihren Händen viel sicherer wäre, als in den unsrigen. . . .wenn daher die Frau Baroness diese zehntausend Franken annimmt, so wird es uns ein großes Vergnügen sein. Hier sind sie in einem kleinen Sack, und Alles in alten Louisd'ors; o, Sie können sie mit dem größten Vertrauen nehmen, es ist nicht ein beschnittener darunter.«
»Ja, mein Freund, ich nehme sie an,« sagte die Baroness, »wir werden uns in einer glücklicheren Zeit wiedersehen, und seien Sie ruhig, Peter, ich werde Ihre Treue nicht vergessen.«
»Vorwärts in den Nachen, in den Nachen!« rief der Schiffer, »ein Douanier könnte durch Zufall seine Runde machen, und wir wären verloren!«
Diese Mahnung war begründet. Die Baroness drückte zum letzten Mal mit ihrer zarten, weißen Hand die derbe, runzlige Hand Durand's, sie umarmte Madame Ambron und sprang in die Barke, wo die Marquise und Cäcilie ihrer schon harrten.
In diesem Augenblick vernahm man eine Stimme, die »Wer da?« rief.
»Vorwärts,« sagte der Schiffer, »laßt uns rudern, lebhaft rudern, Kinder!«
Und indem er in die Barre sprang, trieb er sie mit einem Stoße des Fußes in das Meer.
Zehn Minuten später befand man sich am Bord des Slups, und am Morgen des folgenden Tages schifften sich die drei Flüchtlinge in Dover aus.
VI.
Das Landhaus
So wie sie den Fuß ans Land gesetzt hatte, wollte die Baroness sogleich einen Wagen nach London nehmen, allein die Marquise erklärte, da sie nun das Glück gehabt habe, Frankreich zu verlassen und sich an einem sichern Orte zu befinden, so werde sie auch nicht einen Schritt weiter in diesem lächerlichen Aufzuge machen, zu welchem sie die Roth gedrungen habe. Da dieser Aufenthalt von keiner Bedeutung war, so willigte die Baroness ein, und so seltsam auch oft die Anforderungen der Frau von la Roche-Bertaud waren, so unterwarf sich denselben die Baroness fast immer mit jener kindlichen Hingebung, die man noch häufig in den großen Familien findet, welche die Überlieferungen des siebzehnten Jahrhunderts bewahrt haben.
Demgemäß ließ sich die Baroness in den ersten Gasthof von Dover führen und hier öffnete die Marquise trotz der Anstrengungen der Reise und ehe sie noch etwas genossen hatte, eine Kiste, welche sie in der Carriole verborgen und brachte aus derselben ihre Wäsche und ihre gewöhnlichen Kleider hervor.
Nachdem sie mit Verachtung die populären Lumpen, welche sie so sehr gedrückt, weit von sich geworfen hatte, begann sie ihre Toilette, und hielt diese nicht eher für vollendet, als bis sie vollständig frisiert und gepudert, und zwar mit derselben Sorgfalt war als wenn sie diesen Abend noch in einen Zirkel der Königin gehen wolle.
Die Baroness wandte alle ihre Sorge bloß der kleinen Cäcilie zu, welche glücklicherweise die Seefahrt gut bestanden hatte; da sie indessen sich beeilte, nach London zu kommen und sich dort eine Wohnung aufzusuchen, so ließ sie noch denselben Tag das ganze Innere eines Wagens mieten, welcher am folgenden Morgen um neun Uhr nach der Hauptstadt abfuhr.
Die Reise von Dover nach London wurde mit der gewöhnlichen Schnelligkeit gemacht. Die Reisenden kamen, fast ohne sich aufzuhalten, durch Canterbury und Rochester, und noch an demselben Tage langten sie in London an.
Die Baroness war von ihrem Schmerze zu sehr ergriffen, um auf das zu merken, was um sie her vorging; aber die Marquise war entzückt. Sie sah Livreen, Wappen, Puder, Sachen,