wenig der Prinz eine solche Art von Meisterstücken schätzen konnte, so erkannte er doch, daß dieses Kleid ein Wunder der Geduld und der Geschicklichkeit sei.
Fernande blieb einige Minuten in Betrachtung versunken vor diesen graziösen Arabesken stehen; dann richtete sie an Cäcilie die Frage: »Wer hat denn dieses Kleid gestickt?«
»Ich, Madame,« entgegnete Cäcilie.
»Und wie viele Jahre haben Sie zu dieser Arbeit gebraucht?«
»Zwei und ein halbes Jahr, Madame.«
»Das glaube ich gerne; sehen Sie doch, Prinz, das ist zum Vergnügen und nicht handwerksmäßig gestickt und das macht die Sache noch kostbarer. Zwei und ein halbes Jahr! Da mussten Sie ungeheuer arbeiten.«
»Tag und Nacht, Madame.«
»Und Sie haben ein solches Werk zu dem Zwecke unternommen, dasselbe zu verkaufen?«
«Ich habe es aus einem andern Grunde unternommen, Madame.«
»Ich begreift, daß Sie nicht im Stande waren, dieses Kleid zu verkaufen, Mademoiselle; denn dasselbe muss so viel kosten, als das Lösegeld eines Königs beträgt.«
»Ach ja, ich bin gezwungen, einen sehr hohen Preis dafür zu fordern, und darum habe ich auch, so dringend notwendig ich des Geldes bedarf, bis jetzt noch keinen Käufer dafür gefunden.«
»Und, welchen Preis verlangen Sie dafür?«fragte lächelnd der Prinz.
Das junge Mädchen schwieg einen Augenblick, als ob es sich fürchte, die verhängnisvollen Worte den Lippen entschlüpfen zu lassen, die so oft schon ihre Hoffnungen vernichtet hatten. Endlich sagte sie mit kaum vernehmbarer Stimme: »Dreitausend Frank.«
»Wie meinen Sie?«fragte Fernande.
«Dreitausend Frank,« wiederholte Cäcilie.
»Bei Gott!« sagte die Schauspielerin mit einer Bewegung der Augen und des Mundes, welche unmöglich beschrieben werden kann. »Bei Gott, das ist teuer, aber es hat diesen Wert.«
In dem nämlichen Augenblicke rief das junge Mädchen, indem es die Hände faltete und fast auf die Knie sank: »Madame, Sie werden, ich schwöre es Ihnen, eine heilige und edle Handlung begeben, wenn Sie es kaufen.«
»Mein Gott,« sagte Fernande, »ich würde dieses Kleid von Herzen gern kaufen, mein Kind, und ich gestehe Ihnen sogar, daß ich sehr große Lust dazu habe, aber Tausend Taler.«
»O, mein Gott, was sind denn tausend Taler für Sie!« sagte das junge Mädchen, indem sie umher blickte und sich einen Begriff von dem Glücke der Person, an welche sie diese Worte richtete, durch die Betrachtung des kostbaren Meublements des Boudoirs zu machen schien, welches wir beschrieben haben.
»Wie, was tausend Taler für mich sind!« rief die Künstlerin; »es sind, drei Monate meines Einkommens. Richten Sie Ihre Bitte an den Prinzen, mein Kind, und er wird dieses Kleid für irgend eine schöne Dame des Hofes kaufen.«
»In der Tat,« sagte der Prinz, »die Dame hat Recht; ich nehme dieses Kleid, mein Kind.«
»Sie, Sie, mein Herr! Sie, Prinz!« rief das junge Mädchen, »ist es wahr, daß Sie es nehmen, und um den Preis, den ich dafür fordere?'
»Ja,« antwortete der Prinz,« und wenn Ihnen eine größere Summe notwendig sein sollte. . . .«
«Nein, gnädiger Herr,« sagte das junge Mädchen. »Ich brauche dreitausend Frank; dreitausend Frank genügen mir. Übrigens ist auch dieses Kleid nicht mehr als dreitausend Frank wert.«
»Nun,« sagte der Prinz, »haben Sie die Güte, diesen Karton meinem Kammerdiener Jean zuzustellen, den Sie an der Türe mit meinem Kutscher plaudernd finden werden.
Sagen Sie ihm, daß er es in meinen Wagen legen soll, und geben Sie ihm Ihre Adresse, damit ich Ihnen heute noch diese Summe zustellen lassen kann, welche Sie so dringend notwendig zu haben scheinen.«
»O ja!« entgegnete das junge Mädchen, »und ich schwöre es Ihnen, daß nur eine so große Not mich zwingen konnte, mich von dem Kleide zu trennen.«
Indem das arme Kind diese Worte sprach, drückte es mehrmals seine Lippen mit einer Mischung von Freude und von Schmerz, welche das Herz zerriss, auf das Kleid, von welchem sie sich trennen musste. Dann grüßte sie noch einmal Fernande und den Prinzen, und schritt der Türe zu.
»Noch ein Wort!« sagte Fernande,« und verzeihen Sie es zwei Gefühlen, die ich empfinde, und, wie ich glaube, in gleichem Grade, nämlich der Neugierde, die Sie in mir erregt haben, und dem Antheile, den ich an Ihnen nehme. Für wen war dieses Kleid bestimmt?«
»Für mich/Madame.«
»Für Sie?«
»Ja; es war mein Hochzeitkleid.«
Und das junge Mädchen stürzte aus dem Zimmer, einen Seufzer erstickend.
Am folgenden Tage ließ sich der Prinz selbst nach der bezeichneten Adresse führen und fragte nach Cäcilien. Dieses junge Mädchen hatte ihn lebhaft interessiert, er hatte den Vorfall der Kaiserin erzählt, und die Kaiserin verlangte sie zu sehen.
»Mademoiselle Cäcilie?«sagte der Thürhüter.
»Ja, Mademoiselle Cäcilie, ein junges, blondes Mädchen, mit einem blauen Augenpaare, achtzehn bis neunzehn Jahre alt.
Wohnt sie nicht hier, Rue du coq Nro. 5.?«
»O, ich weiß, was der Herr sagen will,« entgegnete der Türhüter; »aber Mademoiselle Cäcilie ist nicht mehr hier. Ihre Großmutter ist vor drei Tagen gestorben und vorgestern wurde sie begraben; gestern war Mademoiselle Cäcilie den ganzen Tag ausgegangen, und diesen Morgen ist sie abgereist.«
»Von Paris?«
»Wahrscheinlich.«
»Nach welchem Lande?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wie ist ihr Familienname?«
»Den haben wir nie gehört.«
Der Prinz konnte, obgleich er diese Frage fünf oder sechsmal immer unter einer andern Form wieder erhob, dennoch nicht mehr erfahren.
Acht Tage später trat Fernande in dem: »Philosophen, ohne es zu wissen,« mit einer so wunderbar gestickten Robe auf, daß das Gerücht sich verbreitete, es sei ein Geschenk, welches Sultan Selim der bezaubernden Roxelane gemacht habe.
Und nun wollen wir, da uns unsere Eigenschaft als Geschichtsschreiber das Vorrecht gibt, alle Geheimnisse zu kennen, erzählen, wer dieses geheimnisvolle junge Mädchen war, welches nur einen Augenblick den Prinzen und Fernanden erschienen, und das man in der Rue du coq Nro. 5. nur unter dem Namen Cäcilie kannte.
II.
Die Barriere Saint-Denis
Am 2. September 1796 zeigte sich eine kleine, mit Leinwand überspannte Carriole mit einer Seitenöffnung, mit Stroh belegt und durch einen Bauern geführt, welcher auf der Deichsel saß, um sechs und ein halb Uhr Morgens an der Barriere Saint-Denis; sie folgte einem Dutzend anderer Karren, welche alle das dringende Verlangen zeigten, die Hauptstadt zu verlassen, was zu jener Zeit eine nicht sehr leichte Sache war.
Jedes Fuhrwerk, welches sich zeigte, wurde einer strengen Durchsuchung unterworfen.Außer den Douaniers, deren Geschäft es war, die eingehenden Fuhrwerke einfach zu besichtigen, waren vier Municipalofficianten an der Barriere stationiert, um die Pässe zu visiren. Und ein Posten freiwilliger Nationalgardisten hielt sich bereit, sie zu unterstützen, wenn es die Umstände notwendig machen sollten.
Jeder Reisewagen, welcher dem kleinen Fuhrwerke vorfuhr, wurde angehalten, und bis in die geheimsten Fächer durchwühlt. Keiner derselben zeigte einen verdächtigen Inhalt; denn alle passierten ohne Anstand hinaus; so erreichte das kleine Fuhrwerk das Gitterthor und hielt vor dem Wachposten an. Der Bauer hob nun, ohne irgend eine Frage abzuwarten, die Leinwand, welche seinen Wagen schloß, in die Höhe, und reichte seinen Paß dar.
Dieser Paß, welcher von der Maire zu Abbeville ausgestellt war, ersuchte die Behörden, den