Tod war plötzlich gewesen; erst am zweiten Tage wurde der Leichnam nach Saint-Jacques-du-Haut-Pas getragen.
Bruder Dominique las die Todtenmesse in einer besonderen Kapelle.
Dann wurde der Leib nach dem West-Friedhofe gebracht.
Colombau begleitete den Leichnam mit zwei Arbeitern, die sich entschloßen, ihren Tagelohn zu verlieren, um diese fromme Pflicht zu erfüllen.
Die Gehirnentzündung von Carmelite verfolgte ihren Laufs bewunderungswürdig durch den Arzt behandelt, war sie genötigt, Schritt für Schritt vor der Wissenschaft zurückzuweichen.
Nach Verlauf von acht Tagen kam Carmelite wieder zum Bewußtsein, nach zehn Tagen verbürgte sich der Arzt für ihre Erhaltung; am vierzehnten Tage stand sie auf.
.
Ihre Thränen floßen; – sie war gerettet!
Die Schwäche der Armen war aber Anfangs so groß, daß sie kaum einen Ton articuliren konnte.
Als sie die Augen wieder öffnete, erblickte sie an ihrem Bette das redliche Gesicht von Colombau; das letzte Gesicht, das sie die Augen schließend gesehen, das erste, das sie dieselben wieder öffnend sah.
Sie winkte mit dem Kopfes um Erkennung und Dank zu bezeichnen; dann that sie ihre durch das Fieber abgemagerte Hand aus den Betttüchern und reichte sie dem jungen Manne, der sie, statt sie zu drücken, achtungsvoll küßte, als ob das auf die Stirne des Mädchens gepreßte Siegel des Schmerzen in den Augen des edlen Bretagners ein Titel der Ehrfurcht wäre, der für den Moment so groß als die Krone auf der Stirne einer Königin.
Die Wiedergenesung von Carmelite erforderte einen Monat; am Anfange des März nahm sie wieder ihr Zimmer, und Colombau kehrte in das seinige zurück. Von diesem Tage an wurde die Vertraulichkeit, welche unter den zwei jungen Leuten begonnen hatte, unterbrochen.
Colombau bewahrte in einer Falte seines Gedächtnisses die Erinnerung an die Schönheit und die Güte des Mädchens.
Carmelite bewahrte in einem Winkel ihres Herzens eine grenzenlose Dankbarkeit und eine ergebene Zuneigung für Colombau.
Doch sie hätten auf sich anders zu sehen, als wie zwei auf demselben Boden wohnende Nachbarn, das, heißt in seltenen Zwischenräumen.
Begegnete matt sich, so entspann sich eitle kleine Plauderei vor der Thüre, doch das war Alles: nie überschritt das Eine die Schwelle des Andern.
Es kam der Monat Mai; der Garten von Colombau stieß an den von Carmelite an: eine einfache Syringenhecke erhob sich zwischen diesen beiden Gärten, welche so weniger getrennt waren, als die von Pyramos und Thisbe, die eine Mauer trennte.
Die jungen Leute waren also gewisser Maßen in demselben Garten, weil, wenn der Wind die Syringen bewegte, die Hacke sich aufthat, als wollte sie den Plaudereien Durchgang gewähren, und die Blumen sich bald zum Einen, bald zum Andern zerstreuten.
Eines Abends, auf die Bitte von Carmelite, öffnete der junge Mann das Klavier wieder und entlockte, diesem lange geschlossenen, lange wie sein Herz stummen Instrumente tausend harmonische Noten, weiche, durch die Fenster seines Zimmers entschlüpfend, in der ruhigen Luft der Abenddämmerung vibrierten und dann, durch die benachbarten Fenster eindringend, das Mädchen in seinem Bette liebkosten wie die erfrischenden Strömungen des Frühlings.
Es war also zugleich Wohlgeruch und Melodie.
Dann, im Grunde von Allem dem, Traurigkeit, tiefe Traurigkeit!
Die arme Carmelite! sie war in der besten oder in der schlechtesten Stimmung, um zu lieben, je nachdem Sie, guter Leser, aus der Liebe einen Schmerz oder eine Freude, ein Unglück oder ein Glück machen wollen.
Was wird nun aus dieser kränklichen Gemüthsverfassung werden?
In einem der vorhergehenden Kapitel sagten wir, alle auf der rechten Seite dieses Theils der Rue du Val-de-Grace und der Rue Saint-Jacques liegenden Häuser haben zu reizenden Gärten geführt.
Von diesen Fenstern der jungen Leute, aus denen so viel Harmonie hervorkam, und wo so viele Wohlgerüche eindrangen, entrollte sich in der That folgendes Panorama vor den Augen.
Rechts, nördlich, ein ungeheures Gehege mit Pappeln und großen Bäumen bepflanzt.
Links, südlich, eine Reihenfolge von Gärten, bepflanzt mit Acacien, Syringen, Jasminsträuchen und Bohnenbäumen mit den gelben traubenförmigen Blüthen.
Am Horizont, westlich, wie eine Hängematte von Grün, worin die Sonne unterging, der Gipfel der Bäume des Luxembourg.
Im Centrum dieser drei Hauptpunkte eines der schönsten Schauspiele, die sich den Augen eines Dichters oder eines Verliebten bieten können.
Man denke sich ein zwanzig bis fünfundzwanzig Morgen großes Feld von blühenden Rosen um ein kleines Grabmahl, erbaut im siebzehnten Jahrhundert und seiner Form nach ziemlich ähnlich den Kapellen, welche die Erben auf dem Père- Lachaise über der Gruft ihres Erblassers errichten lassen.
Und wenn wir sagen ein Rosenfeld, – eine Ebene in der Gegend von Persepolis, wo die Königin der Blumen geboren sein soll, – so glaube man nicht, es sei dies die geringste Übertreibung von uns: in einer Stadt wie Paris ist es schon so süß, fünf bis sechs Rosenköpfe um sich zu sehen, daß es vielleicht fabelhaft scheint, man könne ein ganzes Feld vor den Augen haben. Nichts ist indessen wahrer, und man kann heute noch, nach einem Zeitraums von dreißig Jahren, die vier bis fünf Morgen sehen, welche von diesem lieblichen Felde übrig geblieben sind.
Es war also, wie gesagt, nicht ein mit Klee oder Luzerne bepflanztes Feld, sondern ein wahres Rosenfeld, das die Luft auf zwei Stunden in der Runde mit seinen Wohlgerüchen erfüllte.
Alle Gegenden der Welt schienen in diesen Garten, um dieses Grab, als hätte dieses Grab die Reliquien eines Heiligen enthalten, die schönsten Rosen ihres Landes gebracht zu haben.
Man hätte glauben sollen, es seien die kolorierten Blätter der Monographie der Rose, zu jener Zeit durch den Engländer Lindley veröffentlicht.
Nichts fehlte hierbei, keine Gattung, keine Varietät; die fünf Welttheile figurierten hier in ihren schönsten Blumen verkörpert. Es war die Kaukasische Rose, die Kamtschatalische Rose, die gesprenkelte Rose von China, die Caroliner Rose, die glänzende Rose der Vereinigten Staaten, die Mai-Rose, die Schwedische Rose, die Alpen-Rose, die Sibirische Rose, die gelbe Rose der Levante, die Rose von Rankin, die Damascener Rose, die Bengalische Rose, die Provencer Rose, die Champagner Rose, die Rose von St. Cloud, die Provinser-Rose, – von der die Legende behauptet, sie sei von Syrien nach Provins durch einen Grafen von Brie bei der Rückkehr von den Kreuzzügen gebracht worden; – kurz, es war die, weil sie vollständig, vielleicht einzige Sammlung der zu jener Zeit bekannten zwei- bis dreitausend Varietäten von Rosen, eine Zahl, die sich noch alle Tage vermehrt, eine Progression, worüber wir den Kunstgärtnern nicht genug Lob zu spenden vermöchten.
»Der Titel Königin der Blumen, den die Rose verdient, ist durch zu häufige Wiederholung abgedroschen geworden.« sagt der Gute Gärtner; »die Rose vereinigt alle Arten von Vollkommenheiten, die matt bei einer Blume wünschen kann: die verführerische Coquetterie ihrer Knospen, die zierliche Disposition ihrer leicht geöffneten Blätter, die anmuthigen Umrisse ihrer ganz aufgegangenen Blüthen geben ihr die Vollkommenheit der Formen; es gibt keinen süßeren und lieblicheren Wohlgeruch, als den ihrigen; ihr Incarnat ist das der vollkommensten Schönheit; mit lebhafteren Nuancen ahmt sie dem feurigen Teint der Bacchantin nach und ihre Weiße wird ein Emblem der Unschuld und der Reinheit.«
Diese Definition der Rose, eine Definition gefärbt wie ein altes Pastellgemälde aus der Zeit von Ludwig XV., wird uns als natürlicher Übergang dienen, um zur frischen Schönheit unserer Heldin zu gelangen; in der That, einige Werte dem Portrait beigefügt, das der Gute Gärtner von der souveränen Blume entworfen hat, werden genügen, um Carmelite zu malen.
Sie war groß und biegsam von Gestalt, mit sehr dunkel kastanienbraunen Haaren, welche so reichlich und kräftig wuchsen, daß sie dem Auge rauh zu sein schienen, aber beim Berühren weich wie Seide waren.
Saphirblaue Augen, korallenrothe Lippen,