weiß es,« erwiderte lächelnd der junge Bretagner; »denn ich bin der Mann der Legenden. Sie hießen Anna von Jesus, Anna von St. Bartholomäus, Isabella von den Engeln, Beatrix von der Empfängniß, Isabella von St. Paul und Eleonora von St. Bernhard. Die Herzogin non Longueville ging ihnen entgegen und wollte, daß ihr Einzug in die Priorei durch ein Fest gefeiert werde.—
Alles dies war nicht so interessant, als Carmelite sagte und Colombau es zugab; doch die armen Kinder belogen einander, denn sie wollten nur einen Vorwand finden, um sich nicht zu verlassen. Alles war gut in diesem Falle; das mystische Gespräch nahm auch seinen Fortgang.
»Oh! wie gern hätte ich ein Fest von jener Zeit sehen mögen!« sagte Carmelite.
»Wohl, mein Fräulein, hören Sie,« erwiderte Colombau: »bleiben, Sie wo Sie sind; schließen Sie,die Augen, setzen Sie die Einbildungskraft an die Stelle des Gesichtes, stellen Sie sich vor, Sie haben zu Ihrer Linken ein düsteres Kloster mit hohen Mauern; dort, Ihnen gegenüber, die Kirche, – und warten Sie . . . «
Der junge Mann ging rasch in sein Zimmer.
»Wohin gehen Sie?« fragte Carmelite.
»Ich will ein Buch holen,« rief der junge Mann aus dem Innern seiner Wohnung.
»Und er kam nach fünf Minuten, ein Buch in der Hand haltend zurück.
»Schließen Sie nun die Augen,« sagte er.
»Sie sind geschlossen.«
»Sehen Sie das Kloster links?«
»Ja.«
»Sehen Sie die Kirche Ihnen gegenüber?«
»Ja.«
Colombau öffnete das Buch.
Der Mond glänzte strahlend in seinem Zenith und warf auf diese ganze ruhige, stille Natur ein so reines Licht, daß Colombau wie am hellen Tage lesen konnte.
Er las.
›Am Mittwoch dem 24. August, am Tage des heiligen Bartholomäus, wurde in Paris eine neue und feierliche Procession den Schwestern-Cameliterinnen gemacht, welche an diesem Tage von ihrem Hause Besitz ergriffen; das Volk strömte in großer Menge herbei als wollte es Ablaß gewinnen; die Nonnen gingen in schöner Ordnung, angeführt vom Doctor Duval, der ihnen, einen Stab in der Hand haltend, als Pedell diente und eine gewaltige Aehnlichkeit mit einem Wehrwolf hatte.
›Doch das Unglück wollte, daß dieses große und heilige Mysterium durch zwei Geigen, welche eine Bergamasque zu spielen anfingen, gestört und unterbrochen wurde; was diese armen Leute vertrieb und sie veranlaßte, sich ganz erschrocken mit ihrem Anführer, dem Wehrwolf, in ihre Kirche zurückzuziehen; sobald sie hier, als an einem Orte der Freiheit und Sicherheit, angelangt waren, begannen sie das Te Deum laudamus zu singen.«
»Haben Sie gesehen?« fragte Colombau.
»Ja, doch etwas Anderes als das, was ich zusehen hoffte,« erwiderte lächelnd Carmelite.
»Man sieht nicht immer, was man zu sehen glaubt, wenn man die Augen offen hat, geschweige denn, wenn man sie geschlossen hat.«
»Und in dieses Kloster zog sich Mademoiselle de la Vallière zurück?«
»In dieses Kloster, wo sie sechsunddreißig Jahre unter fortwährenden Uebungen einer immer mehr erbaulichen Frömmigkeit zubrachte und am 6. Juni des Jahres 1710 starb.«
»Und hier, in diesem Grabe,« fragte das Mädchen, »ruht der Leib der armen Herzogin?«
»Dieses behaupten hieße viel sagen.«
»Sie ist also ausgegraben worden?«
»Im Jahre 1790 hob ein Dekret der Nationalversammlung das Kloster auf; man brach die Kirche ab . . . Wer weiß, was aus dem Leibe der armen Sünderin geworden ist, welche Le Brun unter den Zügen der heiligen Magdalena dargestellt hatte. Und dennoch, wie ich Ihnen, die Sie sich mehr als hundert Jahre nach ihrem Tode um sie bekümmern, gesagt habe, dennoch behauptet die Tradition, er sei verschont worden, und ruhe immer noch in der Gruft unter dieser kleinen Kapelle.«
»Und,« fragte Carmelite mit dem Zögern der Neugierde, welche getäuscht zu werden befürchtet, »man kann ohne Zweifel nicht hineinkommen?«
»Ich bitte um Verzeihung, mein Fräulein»erwiderte Colombau, »man kommt nicht nur hinein: man wohnt darin.«
»Und welcher Profane kann in diesem geheiligten Ruheorte wohnen?«
»Der Gärtner, mein Fräulein; derjenige, welcher alle die schönen Rosen kultiviert, deren Wohlgerüche wir in diesem Augenblicke einathmen.«
»Oh! wie gern möchte ich diese Kapelle besuchen!« rief Carmelite.
»Nichts kann leichter sein.«
»Wie ist es zu machen?«
»Man braucht nur den Gärtner um die Erlaubniß zu bitten.«
»Wenn er sie mir aber verweigert?«
»Weigert er sich, Sie das Grab sehen zu lassen, so bitten Sie ihn, seine Rosen sehen zu dürfen, und aus Liebe für seine Rosen wird er Ihnen erlauben, das Grab zu sehen.«
»Diese Rosen gehören also ihm?«
»Er ist der privilegierte Besitzer derselben.«
»Und was kann er mit so vielen Rosen machen?«
»Ei! er verkauft sie,« erwiderte der junge Bretagner.
»Oh! der abscheuliche Mensch!« versetzte Carmelite mit einem ganz kindischen Vorwurf; »diese schönen Rosen verkaufen! Ich glaubte, er kultiviere sie aus Religion oder wenigstens zu seinem Vergnügen!«
»Er verkauft sie . . . Und schauen Sie! von hieraus sehen Sie unter meinem Fenster drei Rosenstöcke, die er kürzlich an mich verkauft hat.«
Carmelite neigte sich auf die Seite, und ihre schönen« flatternden Haare streichen das Gesicht des jungen Mannes, der einen Schauer seinen ganzen Leib durchlaufen fühlte.
Sie fühlte zu gleicher Zeit den-Hauch von Colombau durch ihre Haare ziehen, denn sie wich rasch und ganz erröthend zurück.
»Oh!« sagte sie unklug, »wie gern möchte ich einen von den Rosenstöcken haben, die diese Kapelle umgeben!«
»Werden Sie mir erlauben, Ihnen einen von den meinigen anzubieten?« versetzte hastig Colombau.
»Oh! ich danke, mein Herr,« erwiderte Carmelite, welche nun ihre Unbesonnenheit wahrnahm; »ich möchte einen haben, doch von meinen Händen auf dieser Erde gezogen, wo Schwester Louise von der Barmherzigkeit gelebt und wo ihr Körper geruht hat, vielleicht jetzt noch ruht.«
»Warum gehen Sie nicht morgen schon dahin?«
»Ich hätte nie den Muth, allein zu gehen.«
»Ich biete Ihnen weinen Arm an, wenn Sie ihn annehmen wollen.«
Carmelite blieb einen Augenblick verlegen; endlich aber machte sie eine Anstrengung und antwortete:
»Hören Sie, Herr Colombau, ich hege eine tiefe Achtung und eine große Dankbarkeit für Sie. doch ginge ich an Ihrem Arme am hellen Tage aus, so würden alle Basen des Quartiers an einer solchen Unschicklichkeit ein Aergerniß nehmen.«
»So gehen wir am Abend dahin.«
»Kann man am Abend gehen?«
»Warum nicht?«
»Mir scheint, der Gärtner müsse sich zu gleicher Zeit mit seinen Blumen schlafen legen, nur zu derselben Zeit wie sie aufzustehen.«
»Ich weiß nicht, um welche Stunde er sich schlafen legt, doch ich weiß, daß er lange vor ihnen aufsteht.«
»Woher wissen Sie das?«
»Zuweilen, bei Nacht, wenn ich nicht schlafe . . . (die Stimme von Colombau zitterte leicht, als er diese Worte sprach), stelle ich mich ans Fenster und erblicke ihn mit einer Laterne in der Hand im Garten umhertrabend . . . Sehen Sie, mein Fräulein, das Irrlicht, das durch den Garten läuft, ist er es nicht?«
»Wohin