bleibst zwar jetzt nur einige Stunden bei mir,« sagte der Pfarrer, indem er sich niedersetzte und Jean neben sich Platz nehmen ließ; aber ich hoffe. Dich bald wiederzusehen und Dich länger bei mir behalten zu können. Und Deine Eltern müssen mich auch besuchen, denn ihnen wird es gewiß leichter, sich von ihrem Geschäft zu trennen, als mir, meine Heerde zu verlassen. Was sollte aus dieser werden, wenn sie keinen Hirten hätte!«
»Sie werden gewiß hier sehr geliebt, lieber Oheim?«
»Ja, das ist wahr, daß der Herr Pfarrer die allgemeine Liebe und Achtung genießt,« sagte Toinette, indem sie zwei Gläser auf den Tisch setzte. »Er ist auch ein seelenguter Mann. Werden Sie es wohl glauben, daß er seit acht Tagen die ganze Umgegend durchstreift hat, um Beiträge für die Armen einzusammeln, und daß er zwölfhundert Franken in schönen neuen Silbermünzen nach Hause gebracht hat, welche dort in einem Beutel stehen?«
»Zwölfhundert Franken?« rief Jean; »das ist sonderbar!«
»Was ist denn Sonderbares dabei?« fragte Reynal.
»Wenn Sie mir versprechen, mich nicht auszuschmälen, so will ich Ihnen ein Bekenntniß machen.«
»Dich ausschmälen, nach dem Briefe, den Dein Vater mir geschrieben hat, und heute, wo wir uns zum ersten Male sehen? Sprich, mein Sohn, und sei ganz ohne Sorgen, ich werde Dir nichts sagen, besonders da Du gewiß keinen großen Fehler begangen haben wirst.«
»O ja, lieber Oheim, ein Fehler ist es, aber ich habe ihn begangen fast ohne es zu wollen, und die Zahl von zwölfhundert Franken erinnert mich, daß ich Ihnen denselben bekennen muß.«
»Was ist es denn?«
»Denken Sie sich, lieber Oheim, an dem Tage, an welchem ich nach Lyon kam, luden mich die Commis des Handlungshauses, an das ich adressiert war, zu einem Diner ein. Sie tranken auf meine Gesundheit, ich auf die ihrige, und da ich die Gesundheit eines Jeden von ihnen erwidern, also so viel Glaser Wein allein trinken mußte, als sie zusammen getrunken hatten, so war ich nach der Mahlzeit ziemlich aufgeräumt.«
»Nun, das ist keine große Sünde.«
»Es ist auch noch nicht Alles, lieber Oheim. Nach dem Essen gingen wir fort und die Herren führten mich in ein Spielhaus.
»In ein Spielhaus?« sagte der Pfarrer, indem er mit einem schmerzlichen Ausdruck die Hände faltete.
Ja, lieber Oheim, aber nur um es mir zu zeigen und durchaus ohne die Absicht, selbst zu spielen oder mich dazu zu verleiten. Der Zufall wollte, daß ein Mann, der sehr ängstlich spielte und fünf Franken auf Roth gesetzt hatte, sein Geld wieder zurücknehmen wollte, ehe abgezogen war; aber der Croupier – ich weiß jetzt alle diese Namen,« sagte Jean lächelnd – »wollte es nicht erlauben, indem er sagte: gesetztes Geld sei gespieltes Geld. Der arme Mann schien darüber so betreten zu sein, daß er mich dauerte und daß ich zu ihm sagte, indem ich ihm fünf Franken gab:
»– Wenn Sie es erlauben, mein Herr, so will ich Ihren Platz einnehmen.«
»Er willigte ein. Ich schwöre es Ihnen, lieber Oheim, daß sich bei dem, was ich that, eigentlich keine andre Absicht hatte, als dem armen Manne sein Fünffrankenstück zurückgeben zu können, das vielleicht sein ganzes Vermögen war, nicht aber mein Glück zu versuchen.«
»Und Du verlorst?« fragte der Pfarrer, welcher glaubte, dies sei das Verbrechen, welches sein Neffe begangen hatte.
»O nein, ich gewann. Ich ließ die zehn Franken stehen und gewann wieder. Jetzt wollte ich den Versuch aufs Aeußerste treiben und fuhr so fort. Wissen Sie was ich gewonnen habe, lieber Oheim?«
»Nun?«
»Rathen Sie!«
»Vielleicht fünfzig Franken.«
»Zwölfhundert Franken, lieber Oheim, zwölfhundert!« —
»Zwölfhundert Franken! wäre es möglich?« rief der Pfarrer erstaunt.
»Bei dem Anblick dieser Summe verließ mich der Muth, ich fürchtete sie wieder zu verlieren und raffte daher meine zwei Bankbillets von fünfhundert Franken und zehn Napoleons zusammen. Ich hatte sehr wohl daran, denn das nächste Mal gewann Schwarz. Dies ist der Fehler, den ich begangen habe, lieber Oheim und wenn Sie es erlauben, will ich ihn wieder gut machen, indem ich Ihnen die gewonnenen zwölfhundert Franken für Ihre Armen gebe.«
»Nein, mein Sohn, behalte sie, aber wende sie gut an und erinnere Dich dabei, daß das Spiel die schlimmste aller Leidenschaften und daß ein Spieler der gefährlichste aller Menschen ist.«
»Zwölfhundert Franken in zehn Minuten!« rief Toinette, welche diese Erzählung mit offenem Munde angehört hatte. »Wenn man bedenkt, daß es Menschen giebt, welche zwölfhundert Franken in zehn Minuten verdienen können, während der Herr Pfarrer, der heiligste Mann auf der ganzen Welt, diese Summe in einem ganzen Jahre erhält und ich sie erst in acht Jahren verdiene1«
»Du hörst, was Toinette sagt, mein Sohn,« sprach der Pfarrer; ich brauche nichts weiter hinzu zu fügen!«
II
Jean und sein Oheim, der während dieses Gesprächs seine Mahlzeit beendigt hatte, tranken jeder ein Glas von dem feinen Weine und der junge Mann aß einige Bissen dazu.
Toinette hatte während dieser Zeit das Zimmer in Ordnung gebracht, das der Pfarrer für seinen Neffen bestimmt hatte. Sie kam jetzt zurück und sagte:
»Aber, Herr Pfarrer, das Zimmer bedürfte wirklich einer Reparatur.«
»Warum denn?«
»Warum? Haben Sie denn die Decke nicht einmal angesehen?«
»Nein.«
»Sie ist in einem schönen Zustande.«
»Wie so denn?«
»Sie ist zwischen den Balken überall zersprungen und ist so dünn wie Papier; und wenn Sie sich nicht in Acht nehmen, bricht sie nächstens zusammen und Sie kommen mit samt Ihrem Bette herunter, da Sie unmittelbar darüber schlafen.«
»Es ist gut, Toinette, ich werde es besorgen, und wenn Jean uns wieder besucht, soll er ein prächtiges Zimmer finden, das in jeder Beziehung seiner würdig ist.«
Jean ging hierauf mit seinem Oheim in das kleine Gesellschaftszimmer des Pfarrhauses, denn um diese Zeit erhielt Raynal jeden Abend den Besuch von zwei oder drei Freunden. Diese fanden sich bald ein und er erzählte ihnen, wie glücklich er gewesen sei, seinen Neffen kennen zu lernen, sowie die Schlichtung der Feindseligkeit mit seinem Bruder, lauter Dinge, welche zum Lobe des jungen Mannes und seines Vaters gereichten.
Gegen zehn Uhr trennte man sich, um zur Ruhe zu gehen und der Pfarrer führte selbst seinen Neffen in sein Zimmer, um sich zu überzeugen, daß es ihm an nichts fehlte und um nach einige Minuten länger mit dem jungen Manne beisammen zu bleiben, zu welchem er die aufrichtigste Zuneigung empfand.
»Ich bin sehr müde,,« sagte Jean; »wie werde ich es anfangen, damit ich morgen früh um vier Uhr erwache?«
»Zuerst hast Du eine Uhr in Deinem Zimmer mit einem Wecker, welcher zu der Stunde, auf die Du ihn stellst, Lärm machen wird. Dann ist aber auch morgen Markttag und Du wirst schon von drei Uhr an so viel Lärm hören, daß Du nicht länger wirst schlafen können.«
»Nun, dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, mein theurer Oheim. Vergessen Sie nicht an meinen Vater zu schreiben, er erwartet mit Ungeduld Ihren Brief.«
»Das thue ich noch heute, ehe ich zu Bette gehe und der Brief geht morgen ab. Gute Nacht, mein Sohn, gute Nacht!«
Sie umarmten einander noch einmal und der Pfarrer verließ seinen Neffen, nachdem er jedoch vorher noch zu ihm gesagt hatte:.
»Vergiß es nicht, es ist in der Straße des Arénes, beim Bäcker Simon, wo Du das Pferd abgeben und den Du bitten sollst, es mir mit der ersten Gelegenheit wieder zuzuschicken.«
»Gut, gut, lieber Oheim.«
Jean blieb allein und da er wirklich todtmüde war, ging er unverzüglich zu Bett und sank bald in tiefen Schlaf.
Sein Oheim hatte ihm keine Unwahrheit gesagt. Gegen drei