Raynal in Lafou?«
»Das bin ich.
»Sie haben diese Nacht bei ihm gewohnt?«
»Ja.«
»Und wann sind Sie von Lafou fortgeritten?«
»Diesen Morgen um vier Uhr.«
»Ganz richtig. Folgen Sie uns, mein Herr.«
»Ich soll Ihnen folgen? Wohin denn?«
»Zum königlichen Procurator.«
»Aber meine Herren, ich muß abreisen. Ist mein Paß nicht in der Ordnung?«
»Von dem Passe ist nicht die Rede.«
»Von was denn?«
»Wir haben einen Vorführungsbefehl.«
»Einen Vorführungsbefehl?«
»Ja.«
»Gegen mich?«
»Gegen Sie.«
Jean sah die beiden Gensd’armen an; er glaubte, sie seien nicht bei Sinnen.
»Das ist nicht möglich,« sagte er.
»Sehen Sie.selbst.«
Zugleich hielt er ihm den Befehl vor die Augen.
»Das ist eine Verwechselung, meine Herren, ganz gewiß,« sagte Jean, indem er um sich blickte, um nicht allein die Gensd’armen, sondern auch die übrigen umstehenden Personen zu überzeugen, daß er das Opfer eines Irrthums sei. Die Ruhe des jungen Mannes machte die Gensd’armen zweifelhaft und sogar ängstlich; sie hatten in ihrem Leben viele Verbrecher gesehen und dadurch einen geübten Blick erhalten, und konnten daher nicht glauben, daß dieser junge Mann das Verbrechen begangen hatte, das man ihm Schuld gab.
»Steigen Sie ein, mein Herr,« rief der Schaffner, um die Gaffer zu entfernen, die sich schon im Hofe gesammelt hatten.
»Folgen Sie uns, mein Herr,« wiederholten die beiden Gensd’armen« indem sie Jean in die Mitte nahmen. »Wir sind nicht die Richter, wir müssen den erhaltenen Befehl ausführen. Der königliche Procurator wohnt ganz in der Nähe und wenn ein Irrthum stattfindet, wird er Sie sogleich wieder in Freiheit setzen.«
Wir bemerken bei dieser Gelegenheit, daß die Gensd’armen fast immer mit der größten Würde, aber zugleich mit der größten Humanität ihre Pflicht thun. Ich glaube nicht« daß man jemals gesehen hat, daß ein Gensd’arm einen Angeklagten gemißhandelt hätte, wenn sich derselbe auch weigerte, ihm zu folgen, oder selbst wenn er sich Thätlichkeiten gegen ihn erlaubte.
»So kommen Sie,« erwiderte Jean voll Vertrauen, »denn auf meine Ehre, die Sache ist mir unerklärlich!«
»Wir glauben es,« versetzte der Gensd’arm, der ihn ausgefragt hatte, »denn wenn Sie etwas begangen hätten und Sie könnten eine solche Ruhe behalten, müßten Sie ein großer Bösewicht sein.«
Der andere Gensd’arm stimmte durch einen Blick der psychologischen Bemerkung seines Kameraden bei und alle Drei traten den Weg zu dem königlichen Procurator an.
Es versteht sich von selbst, daß die Straßenbuben ihnen nachliefen und daß die Bewohner der, wie alle Straßen von Nimes, sonst so ruhigen Straße an den Hausthüren standen und einander fragten, was der junge Mensch begangen haben müsse.
III
Nach einigen Minuten wurde der Gefangene bei dem königlichen Procurator eingeführt. Eine weiße Halsbinde,.ein Ehrenlegionskreuz, ein Blick, welcher verschlagen sein soll, und eine feierliche Sprache sind die Kennzeichen aller königlichen Procuratoren und der von Nimes machte keine Ausnahme von seinen Kollegen.
»Ihr Vor- und Zuname?« fragte er den jungen Mann.
»Jean Raynal,« antwortete dieser.
»Woher kommen Sie?«,
»Zuerst von Paris, dann von Lyon.«
»Was hatten Sie in Lafou zu thun?«
»Meinem Oheim einen Brief meines Vaters zu überbringen.«
»Die beiden Brüder haben seit mehreren Jahren in Feindschaft gelebt?«-
»Seit zweiundzwanzig Jahren.«
»Und Sie beabsichtigten?«
»Eure Aussöhnung zwischen ihnen herbeizuführen.«
»Ganz recht,« sagte der Beamte, indem er ein Papier überblickte, welches das Protokoll einer Aussage zu sein schien. »Nun, mein Herr, Sie sind angeklagt, Ihren Oheim und die Frau, die er in seinem Dienste hatte, ermordet zu haben.«
»Ich?« erwiderte Jean lachend.
»O lachen Sie nicht,I denn die Sache ist höchst ernsthaft! Sie sind ferner angeklagt, Ihrem Oheim die Summe von zwölfhundert Franken entwendet zu haben, den Ertrag einer Sammlung, die er für die Armen seiner Gemeinde veranstaltet hat.«
»Herr Procurator,« erwiderte Jean, »was Sie mir da sagen, ist unmöglich, physisch unmöglich, und ich konnte mich nicht enthalten, zu lachen, weil ich nicht allein meinen Oheim und Toinette nicht ermordet habe, sondern weil ich weiß, daß sie sich in diesem Augenblicke so wohl befinden, wie Sie und ich.«
»Sie leugnen also diese That?«
»Zuerst leugne ich, daß ich der Thäter bin, und dann, ich wiederhole es Ihnen, leugne ich auch, daß sie begangen worden ist. Erlauben Sie mir, Ihnen eine Frage vorzulegen.«
»Sprechen Sie.«
»Wann soll mein Oheim und seine Haushälterin ermordet worden sein?«
»Diese Nacht.«
»Sie.sehen« Herr Procurator, daß dies ein Irrthum ist, da ich bei meinem Oheim übernachtet habe.«
»Eben deshalb wird Ihnen das Verbrechen zur Last gelegt.«
»Aber mein Herr, ich schwöre Ihnen, daß ich unschuldig bin und daß mein Oheim lebt und gesund ist. Ich habe gerade unter ihm geschlafen; wäre er ermordet worden, so hätte ich Geschrei oder sonst ein Geräusch vernommen, denn man kann nicht zwei Personen ermorden, ohne daß wenigstens Lärm im Hause entsteht.«
»Was soll ich Ihnen darauf sagen? Sie sind als der wahrscheinliche Thäter des Verbrechens denuncirt. Antworten Sie mir jetzt: wollen Sie mir die Papiere zeigen, die Sie bei sich haben?«
Jean zog seine Brieftasche hervor und übergab sie dem königlichen Procurator. Dieser untersuchte den Inhalt.
»Hier sind zwei Billets zu fünfhundert Franken und zehn Louisd’ors in ein Papier gewickelt,« sagte er.
»Nun?«
»Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß Sie beschuldigt sind, Ihrem Oheim zwölfhundert Franken entwendet zu haben?«.
»Aber diese zwölfhundert Franken hier habe ich in Lyon gewonnen.«
»Wo denn?«
»In einem Spielhause,« antwortete Jean erröthend.
»Also Sie sind ein Spieler. In der That spricht Ihr Oheim in einem Briefe an Ihren Vater, den er ehe er zu Bette ging, geschrieben hat und der sich in unseren Händen befindet, von diesem Fehler. Er sagt Folgendes,« fuhr der Procurator, indem er ein Papier aus den vor ihm liegenden Acten nahm: »Jean spielte rathe ihm davon ab und lies ihm die Moral. Das Spiel ist eine Leidenschaft, welche zu allen Verbrechen führen kann.« – Ihr Oheim hat sich leider nicht geirrt!«
»Sie glauben also, daß ich der Urheber dieses schändlichen Verbrechens bin?«
»Es ist mir nicht erlaubt, eine Meinung darüber zu haben, aber ich sage, daß leider die schwersten Verdachtsgründe gegen Sie vorhanden sind. Die zweiundzwanzigjährige Feindschaft zwischen den beiden Brüdern, Ihr unerwarteter Besuch, der Mord, der nur durch einen Menschen begangen sein kann, der im Hause gewesen ist, da nirgends ein Einbruch von außen zu bemerken ist, die entwendete Summe von zwölfhundert Franken und eine gleiche Summe, die Sie bei sich haben, Ihre beabsichtigte Abreise von Nimes mit der ersten abgehenden Diligence, welche die größte Aehnlichkeit mit einer Flucht hat; dies Alles ist höchst verdächtigt.«
»Aber