habe nicht die Ehre, zu den Rathgebern des Königs zu gehören,« sagte er dann; »wenn ich aber dazu gehörte, so würde ich zu ihm sagen: Sire, Sie haben Unrecht.«
»Ach, warum hat er nicht so freimüthige Rathgeber, wie Du einer bist, Michele!« sagte Luisa.
»Man hat es ihm gesagt, hob der Chevalier wieder an. »Der Admiral Caracciolo und der Cardinal Ruffo haben es ihm gesagt, die Königin hat aber Furcht, der Minister Acton hat Furcht und in Folge des heute von dem Volke verübten Mordes hat der König beschlossen abzureisen.«
»Ah!« sagte Michele, »nun fange ich an zu begreifen, warum ich unter der Zahl der Mörder Pasquale de Simone und den Beccajo sah. Was Fra Pacifico betrifft, so war der arme Mann dabei wie ein Esel, ohne zu wissen warum.«
»Aber Michele, fragte Luisa, »dann glaubst Du also, die Königin –«
»Still, still, Schwesterchen! In Neapel sagt man dergleichen Dinge nicht, sondern begnügt sich, sie zu denken. Doch gleichviel! Der König hat Unrecht. Wäre der König in Neapel geblieben, so kämen die Franzosen nimmermehr herein. Eher ließen wir uns Alle todtschlagen. Ha, wenn das Volk wüßte, daß der König fort will!«
»Ja, aber es darf es nicht wissen, Michele. Deshalb habe ich Dich schwören lassen, nichts von dem, was ich Dir mittheilen würde, weiter zu sagen. Also, diese Nacht reisen wir ab, Michele!«
»Und mein Schwesterchen auch?«, fragte Michele in einem Tone, aus welchem er nicht alle Ueberraschung bannen konnte.
»Ja, sie verlangt selbst mir zu folgen, das gute, liebe Kind,« sagte der Chevalier, indem er seine Hand über den Tisch ausstreckte, um die Luisa's zu suchen.
»Ja,« sagte Michele, »Sie können sich rühmen, eine Heilige zur Gattin zu haben, Herr Chevalier.«
»Michele!« sagte Luisa.
»O, ich weiß, was ich sage. Und diese Nacht reisen Sie also ab? Madonna! Ich wollte, ich wäre Jemand, dann ginge ich auch mit.«
»O, komm' mit, Michele! komm' mit!« rief Luisa, welche in Michele einen Freund sah, mit dem sie von Salvato sprechen konnte.
»Unglücklicherweise ist es unmöglich, Schwesterchen,« antwortete der Lazzarone. »Ein Jeder hat seine Pflicht; Die deinige will, daß Du gehest, und die meinige befiehlt mir, zu bleiben. Ich bin Capitän und Volksanführer, und ich trage den Säbel nicht blos an der Seite, um über dem Kopfe des Beccajo die Windmühle zu machen, sondern um mich zu schlagen, um Neapel zu vertheidigen, um so viel Franzosen als möglich niederzuhauen.«
Luisa machte eine unwillkürliche Bewegung.
»O, sei unbesorgt, Schwesterchen, hob Michele lachend wieder an, »alle werde ich sie nicht umbringen.«
»Wohlan, um der Sache ein Ende zu machen,« fuhr der Chevalier fort, »wir schiffen uns heute Nacht an der »Vittoria« ein, um hinter dem Castell dell' Uovo an Bord der Fregatte des Admirals Caracciolo zu gehen. Ich wollte Dich bitten, deine Schwester nicht zu verlassen und im Nothfalle für sie im Augenblicke der Einschiffung dasselbe zu thun, was Du vor zwei Stunden für mich thatest, das heißt, sie in deinen Schutz nehmen.«
»O, in dieser Beziehung können Sie unbesorgt sein, Chevalier, für Sie würde ich mich tödten lassen, für Luisa aber ließe ich mich in Stücke reißen. Doch gleichviel, wenn das Volk etwas von dieser Abreise des Königs wüßte, so gäbe es keinen schlechten Aufruhr.«
»Also,« sagte der Chevalier, indem er sich von der Tafel erhob, »ich habe dein Wort, Michele, Du verlässest Luisa nicht eher, als bis sie im Boote ist.«
»Seien Sie unbesorgt; ich verlasse sie von hier bis dorthin eben so wenig, als ihr Schatten an einem sonnenhellen Tage, denn ich weiß heute nicht recht, was Jeder von uns mit dem einigen gemacht hat.«
Der Chevalier, welcher seine sämtlichen Papiere in Ordnung zu bringen, seine Bücher einzupacken und alle angefangenen Manuscripte mitzunehmen hatte, kehrte in sein Cabinet zurück.
Was Michele betraf, der nichts zu thun hatte, als sein Schwesterchen anzusehen, so heftete er seinen wohlwollenden Blick auf sie, und als er sah, wie zwei große Thränen still aus ihren schönen Augen die Wangen herabrollten, sagte er:
»In der That, es gibt Menschen, die ungeheures Glück haben, und der Chevalier gehört zu diesen Menschen. Mannaggia la Madonna! Affunta würde für mich nicht thun, was Du für ihn thut.«
Luisa erhob sich, aber so rasch sie auch in ihr Zimmer zurückkehrte und so schnell sie auch die Thür desselben hinter sich schloß, so hörte Michele doch das Geräusch des Schluchzens, welches sich jetzt, wo sie allein war, unaufhaltsam ihrer Brust entrang.
Wir haben schon bei einer andern Gelegenheit, als Salvato und nicht Luisa Neapel verließ, mit dem Auge die langsame ungleiche Bewegung des Zeigers auf dem Zifferblatte der Uhr verfolgt. Dieser Bewegung folgten gleichzeitig mit uns zwei Herzen, da sie aber sich eins auf das andere stützten, so erschien diese Bewegung ihnen sicherlich weniger schmerzlich, als jenem armen, alleinstehenden Herzen, welches keine andere Stütze hatte, als das Gefühl der erfüllten Pflicht.
Luisa war, wie gewöhnlich, durch ihr Zimmer blos hindurchgegangen und hatte sich auf den Fußspitzen in das Zimmer Salvato's begeben.
Als sie den Corridor durchschritt, vernahm sie mit einem gewissen Grade von Erstaunen einige Töne von Giovannina's Stimme, welche ein heiteres neapolitanisches Liedchen sang.
Bei den Tönen dieser etwas unzeitigen Heiterkeit seufzte Luisa und sagte bei sich selbst:
»Das arme Mädchen! Sie ist froh, daß die Neapel nicht zu verlassen braucht, und wenn ich frei wäre und eben so wie sie in Neapel bliebe, so würde auch ich ein fröhliches neapolitanisches Liedchen singen.«
Und sie kehrte in ihr Zimmer zurück und ihr Herz fühlte sich durch diese Heiterkeit, die zu ihrem Schmerz einen so schroffen Gegensatz bildete, noch mehr bedrückt als vorher.
Wir brauchen nicht erst zu sagen, welche Gedanken Luisas Herz beschäftigten, sobald sie einmal das Heiligthum ihrer Liebe wieder betreten hatte.
Ihr ganzes Leben ging an ihrem Auge vorüber.
Wir sagen, ihr ganzes Leben, denn in ihrer Erinnerung hatte sie erst während der sechs Wochen gelebt, wo Salvato dieses Zimmer bewohnt hatte.
Von dem Augenblicke an, wo der Verwundete auf sein Schmerzenslager getragen worden, bis zu dem, wo, auf ihren Arm gestützt, der Genesene durch das auf das kleine Gäßchen gehende Fenster das Haus verlassen, wo er, ehe er dieses Fenster verließ, in einem ersten und letzten Kusse seine Lippen auf die ihrigen gedrückt und seine Seele in ihre Brust gehaucht, von diesem Augenblicke an ging nicht blos jeder Tag, sondern auch jede Stunde des Tages, traurig oder freudig, düster oder heiter an ihr vorüber.
Und wie immer folgte sie, die Augen des Körpers geschlossen haltend, aber mit den Augen der Seele dieser langen Kette, als sie plötzlich leise an ihre Thür pochen hörte, worauf Michele in seinem sanftesten Tone ihr durch das Schlüsselloch zuflüsterte:
»Ich bin es, Schwesterchen.«
»Komm' herein, Michele, komm' herein,« sagte sie. »Du weißt, daß Du herein darfst.«
Michele trat ein. Er hielt einen Brief in der Hand.
Luisa heftete mit ausgebreiteten Armen und während ihr der Athen in der Brust stockte, die Augen auf diesen Brief.
War ihr in einem solchen Augenblicke der hohe Trost beschieden, von Salvato einen letzten Brief zu erhalten?
»Es ist ein Brief von Portici,« sagte Michele. »Ich habe ihn aus den Händen des Briefträgers empfangen und bringe ihn Dir.«
»O, gib her! gib her!« rief Luisa. »Er ist von ihm!«
Michele übergab ihr den Brief und wollte die Thür schließen. Ehe er dies jedoch that, fragte er:
»Soll ich bleiben oder soll ich gehen?«
»Bleibe, bleibe!« rief Luisa.
»Du weißt ja, daß ich vor Dir keine Geheimnisse habe.«
Michele blieb, hielt sich aber in der Nähe