Kanonen abgenommen, tausend Mann getödtet und sechshundert Gefangene gemacht hatten.
Nun sammelten sie sich, noch siebentausend Mann stark, und marschierten so schnell als möglich den Lazzaronis zu Hilfe, welche die Stadt vertheidigten, und ließen auf ihrem Wege gleichsam als Zeugen des Blutbades diejenigen von ihren Verwundeten zurück, welche, nachdem sie sich am Abend vorher und in der Nacht wieder gesammelt, gleichwohl nicht Kraft genug besaßen, ihnen zu folgen.
Auf dem Largo del Castello angelangt, theilten sie sich in drei Banden.
Die eine rückte durch die Toledostraße dem Largo delle Pigne, die zweite durch die Strada dei Tribunali dem Castello Capuana und die dritte durch die Marina dem Altmarkt zu Hilfe.
Bedeckt mit Staub und Blut, berauscht von dem Wein, der ihnen längs des ganzen Weges geboten worden, warfen sie sich als frische Kämpfer in die Reihen derer, welche seit dem vorigen Abend kämpften. Einmal besiegt, wollten sie, indem sie ihren besiegten Brüdern zu Hilfe eilten, es nicht zum zweiten Male sein.
Jeder Republikaner, der schon einer gegen sechs kämpfte, hatte nun einen oder zwei Feinde mehr niederzuwerfen, und um sie niederzuwerfen, durfte man sie nicht blos verwunden, sondern man mußte sie tödten, denn wir haben es schon gesagt, so lange noch ein Hauch Leben in den Verwundeten war, setzten sie den Kampf hartnäckig fort.
So dauerte der Kampf fast ohne Vortheil auf der einen oder andern Seite bis drei Uhr Nachmittags.
Salvato, Monnier und Matthieu Maurice hatten das Castello del Carmine und den Altmarkt genommen.
Championnet, Thiébaut und Duhesme hatten sich des Castello Capuana bemächtigt und ihre Vorposten bis zum Largo San Giuseppe und dem Drittel der Strada dei Tribunali vorgeschoben.
Kellermann war bis an das äußerste Ende der Strada dei Cristallini gelangt, während Dufresse nach einem erbitterten Kampfe sich des Albergo dei Poveri oder Armenhospitals bemächtigt hatte.
Es trat nun eine Art Waffenstillstand ein, der seinen Grund in der Ermattung hatte. Man war auf beiden Seiten des Würgens müde. Championnet hoffte, daß dieser furchtbare Tag, an welchem die Lazzaroni vier- oder fünftausend Mann verloren, für sie eine Lehre sein und daß sie um Pardon bitten würden.
Als er sah, daß es damit nichts war, entwarf er mitten im Feuer auf einer Trommel eine an das Volk von Neapel gerichtete Proclamation und beauftragte seinen Adjutanten Villeneuve, der seine Function bei ihm wieder übernommen, sie dem Magistrat von Neapel zu überbringen.
Er gab ihm demzufolge als Parlamentär einen Trompeter mit einer weißen Fahne mit.
In der furchtbaren Unordnung aber, deren Beute jetzt Neapel war, hatte der Magistrat eine ganze Autorität verloren. Die Patrioten, welche wußten, daß man ihnen nach dem Leben trachtete, hielten sich versteckt, und Villeneuve ward, trotz seines Trompeters und seiner weißen Fahne, überall, wo er sich zeigte, mit Flintenschüssen empfangen. Eine Kugel zerschlug den Bogen eines Sattels und er mußte wieder umkehren, ohne daß es ihm möglich gewesen war, den Feind von der Proclamation des Generals in Kenntniß zu setzen.
Dieselbe war in italienischer Sprache geschrieben, welche Championnet eben so gut und geläufig redete wie die französische, und lautete wie folgt:
»Championnet, Obergeneral, an das neapolitanische Volk.
»Bürger!
»Ich habe der kriegerischen Rache, welche durch furchtbare Ausschreitungen und die Wuth einiger von euren Meuchelmördern bezahlten Individuen herausgefordert worden, auf einen Augenblick Einhalt gethan. Ich weiß, wie gut das neapolitanische Volk ist, und von ganzem Herzen beklage ich das Unheil, welches ich gezwungen bin, ihm zuzufügen. Deshalb benutze ich diesen Augenblick der Ruhe, um mich an Euch zu wenden, wie ein Vater an seine rebellischen, aber immer noch geliebten Kinder, und um Euch zu sagen: Gebt einen unnützen Widerstand auf, legt die Waffen nieder, und das Leben, das Eigenthum und die Religion sollen nicht angetastet werden. Jedes Haus dagegen, aus welchem ein Schuß fällt, wird niedergebrannt und die Bewohner werden erschossen. Dafern aber die Ruhe wiederhergestellt wird, so will ich die Vergangenheit vergessen und die Segnungen des Himmels werden sich aufs Neue auf dieses glückliche Land herabsenken.
»Neapel, am 3. Pluviose des Jahres VII der Republik (22. Januar 1799).«
Nach der Weise, wie Villeneuve empfangen worden, war wenigstens für diesen Tag keine Hoffnung mehr. Um vier Uhr wurden die Feindseligkeiten mit größerer Erbitterung als je wieder aufgenommen. Sogar die Nacht senkte sich herab, ohne die Kämpfenden zu trennen. Die einen fuhren fort in das Dunkel hineinzuschießen, und die andern warfen sich mitten unter den Leichen auf die glühende Asche und unter die flammenden Trümmer zum Schlafe nieder.
Die gänzlich erschöpfte französische Armee pflanzte, nachdem sie an Todten und Verwundeten tausend Mann verloren, auf dem Castell di Carmine, auf dem Castello Capuana und auf dem Albergo dei Poveri die dreifarbige Fahne auf.
Wie wir bereits gesagt, war ungefähr ein Drittheil der Stadt in ihrer Gewalt.
Es ward Befehl gegeben, die ganze Nacht unter den Waffen zu bleiben, die Positionen gut zu bewachen und den Kampf bei Tagesanbruch wieder aufzunehmen.
Viertes Capitel.
Dritter Tag
Wenn der Befehl, die ganze Nacht unter den Waffen zu bleiben, von dem Obergeneral auch nicht gegeben worden wäre, so hätte doch schon die Sorge für ihre eigene Erhaltung die Soldaten gezwungen, die keinen Augenblick wegzulegen.
Die ganze Nacht hindurch läutete die Sturmglocke auf allen Kirchen in den noch im Besitze der Neapolitaner gebliebenen Theilen der Stadt. Gegen alle Vorposten der Franzosen versuchten die Lazzaroni Angriffe; überall aber wurden sie mit bedeutenden Verlusten zurückgeschlagen.
Während der Nacht empfing Jeder seinen Schlachtbefehl für den nächstfolgenden Tag.
Als Salvato dem General meldete, daß er Meister des Castello del Carmine sei, erhielt er für den nächsten Tag Befehl, mit gefälltem Bajonnet und im Sturmschritt den Strand entlang mit den beiden Spitzen seines Corps gegen das Castello Nuovo vorzurücken und dasselbe um jeden Preis zu nehmen, um die Geschütze desselben sofort gegen die Lazzaroni zu kehren, während Monnier, Matthieu Maurice mit dem andern Drittel sich in ihrer Position halten und Kellermann, Dufresse und der Obergeneral sich in der Strada Foria vereinigen und über den Largo delle Pigne bis in die Toledostraße vordringen sollten.
Gegen zwei Uhr Morgens erschien ein Mann im Bivouac des Obergenerals zu San Giovanni in Carbonara. Trotz der Kleidung eines Bauers aus den Abruzzen erkannte der General doch auf den ersten Blick Hector Caraffa.
Dieser hatte eben das Castell San Elmo verlassen und kam, um Championnet zu melden, daß das Fort, welches blos noch fünf- bis sechshundert Kugeln abzufeuern habe, seine Munition nicht unnütz habe verwenden wollen. Den nächstfolgenden Tag aber werde sein Geschütz, um den Obergeneral zu unterstützen, im Rücken kämpfen, das heißt alle Lazzaroni, die von vorn angegriffen werden würden, überall, wo es möglich sei, von hinten niederschmettern.
Seiner Unthätigkeit müde, kam Hector Caraffa nicht blos, um dem General diese Meldung zu machen, sondern auch um an dem Kampfe des eben angebrochenen Tages theilzunehmen.
Um sieben Uhr schmetterten die Trompeten und wirbelten die Trommeln.
Salvato hatte während der Nacht Terrain gewonnen. Mit fünfzehnhundert Mann brach er auf das gegebene Signal hinter der Douane hervor und rückte im Sturmschritt gegen das Castello Nuovo.
In diesem Augenblick kam ihm ein von der Vorsehung gefügter Zufall zu Hilfe.
Nicolino, welcher sich sehnte, den Angriff seinerseits zu beginnen, spazierte auf den Wällen umher und ermahnte seine Artilleristen, die wenige Munition, welche sie hätten, nützlich zu verwenden.
Einer, der dreister war als die andern, rief ihn.
Nicolino ging auf ihn zu.
»Was willst Du von mir?« fragte er ihn.
»Sehen Sie die Fahne, welche auf dem Castello Nuovo weht?« hob der Artillerist wieder an.
»Allerdings sehe ich sie, entgegnete