Sie nicht, Chevalier.«
»Das glaube ich wohl. Es gibt Augenblicke, wo ich mich selbst nicht verstehe, zum Beispiel wenn die Vernunft, was zum Glück sehr selten der Fall, in meinem Kopfe die Oberhand über die Narrheit bekommt.«
»Erklären Sie sich.«
»Ich will so klar werden wie Krystall. Hören Sie wohl zu, ich predige: Mein lieber Sohn, die Stadt Châteaudun, die Alles weiß und die Herzen wie die Börsen aller Einwohner erforscht, sie versicherte gestern einstimmig, daß keine seidene oder kattunene Schürze dem hoffnungsvollen Louis von Fontanieu den Kopf verdrehe. Ich war, derselben Meinung wie die Stadt Châteaudun. Aber als Sie selbst erkannten, daß das kleine grünseidene Ding, das- Sie in der rechten Westentasche trugen, Ihr Leben so wunderbar gerettet, da bemerkte ich, daß Sie besagtem grünseidenen Dinge verschiedene halb erstaunte, halb schmachtende Blicke zuwarfen. Ich vermuthete daher, daß Liebe dabei im Spiel sei.«
»Und auf wen fiel Ihre Vermuthung?«
»Ich sah mich um und bemerkte nur Margarethe, die eine so schnelle Eroberung gemacht haben konnte.«
» Finden Sie, daß der Erfüllung meines Wunsches ein Hinderniß im Wege steht?« fragte Fontanieu, der den Chevalier gern in seinem Irrthum ließ.
»Ich sehe sehr große Hindernisse,« antwortete Montglas, »sogar Gefahren —«
»Ist diese Margarethe Gelis denn eine Syrene, eine Zauberin, eine Fee?«
»Ja, eine Syrene ist sie – formosa superne. Ich habe freilich nur ihren Oberkörper gesehen, aber ich habe Ursache, an den Fischschwanz zu glauben. Die Gefahr für Sei, mein junger Freund, scheint mir jedoch weniger in der Bekanntschaft mit diesem Mädchen, als in dem täglichen Umgange mit andern Leuten zu liegen, die Ihnen durch diese Bekanntschaft nahegerückt werden. Es würde mir leid thun, einen jungen Mann, für den ich wahre Theilnahme gehe, auf Abwegen zu sehen.«
»Sie sind sehr gütig, Chevalier; aber die Leute, von denen Sie sprechen, sind ja Ihre Freunde.«
»Fürwahr eine schöne Empfehlung!«
»Was für Nachtheile kann denn eine Annäherung für mich haben?«
»Sehr viele Nachtheile. Vor Allem ist für einen unbemittelten Mann, wie Sie sind, ein vertraulicher Umgang mit reichen Leuten ein unangenehmes Verhältniß.
»Ich bin allerdings arm,« erwiederte Louis von Fontanieu erröthend, »aber ich kann in den Herren nur Meinesgleichen sehen.«
»Ich sehe wohl, lieber Freund, daß man Ihnen die nackte Wahrheit sagen muß, wie den Sclaven des Großtürken. Der Adelstitel, an den Sie glauben, ist eine Goldmünze, aus welcher man kupferne Zahlpfennige gemacht hat. Es ist nur noch ein Fetisch, der mit der Burg Ihrer Ahnen niedergeworfen ist. Glauben Sie aber nicht, daß die Gleichmacher den Boden geebnet hätten, wie sie beabsichtigten; ihre Nase hat an dem eingestürzten Gestein tiefe Schatten bekommen. Statt des Fetisch hat man das goldene Kalb aufgestellt. Die Gleichheit ist in unserer Zeit eben so chimärisch, als zu der Zeit unserer Väter; es gibt keine Edelleute und Unadelige mehr, dafür aber gibt es Reiche und Arme, und ich glaube, daß die Dilettanten mehr dabei verloren als gewonnen haben. Die Geburtsaristokratie war im Grunde recht gemüthlich; wie oft habe ich nicht Geist, Talent und Wissen an ihrem Tische gesehen! Die Zahlen hingegen sind Abstractionen, neben denen selbst das größte persönliche Verdienst eine traurige Figur spielt. Der Reichthum ist eine Zahl, eine Ziffer; wenn Sie Ihren Werth nicht mit klingender Münze geltend machen können, so müssen Sie kriechen, und sich krümmen und winden und sich Demüthigungen jeder Art gefallen lassen. – Ist das verlockend für Sie, mein junger Freund? Reden Sie aufrichtig, ich habe in meiner Erinnerung Manches, das Ihnen die Sache verleihen könnte. Es wird Ihnen trotz aller Mühe nicht gelingen, Ihren verstorbenen Adel wieder ins Leben zu rufen, er ist und bleibt todt. Sie sind aus der ersten Kaste in die letzte übergetreten, überschreiten Sie nicht den um Sie gezogenen Kreis. Hüllen Sie sich nicht in moderne Laster, die auf Ihrem Kopfe eben so lächerlich sein würden, wie das Barbierbecken auf dem Kopfe Don Quixotte’s. Sie sind unbemittelt, Sie haben eine Mutter zu unterstützen, eine Schwester zu verheiraten, eine Stelle zu erringen: bedenken Sie das und bequemen Sie sich zur Thätigkeit und Sparsamkeit, führen Sie ein exemplarisches Leben. Es ist freilich unangenehm, ich weiß es wohl; aber es war von jeher das Los der steuer- und frohnbaren Classe, zu welcher Sie gehören.«
»Ich erkenne Sie gar nicht mehr, Chevalier,« erwiederte Louis von Fontanieu erstaunt, »Sie sprechen ja wie einer der sieben Weisen Griechenlands.«
»Lieber junger Freund,« antwortete der Chevalier, indem er seine Hand auf die Schulter Fontanieu‘s legte, »wenn ich weder Schürze noch Flasche noch grünen Tisch vor mir sehe, bin ich selbst ganz erstaunt über den gesunden Verstand, den mir der liebe Gott gegeben, aber diesen gesunden Verstand theile ich nicht allen Leuten mit.«
»Ich bin Ihnen um so mehr zu Dank verpflichtet. Womit habe ich dieses Vorrecht verdient?«
»Sie gefallen mir.«
»Wirklich?« sagte Fontanieu lachend.
»Es ist ja nicht zu verwundern. Man wählt sich eine Geliebte nach dem Wohlgefallen, das man an ihr findet: warum sollte man nicht eben so einen Freund wählen? Und dann ist man ja nicht undankbar – Sie sind ja für mich ein Deus ex machina gewesen.«
»Herr Chevalier, ich bitte Sie, nichts mehr davon zu erwähnen.«
»Glauben Sie denn nicht au Dankbarkeit? Um eine Stellung zu erringen, muß man arbeiten; um zu arbeiten, muß man das Leben lieben; um das Leben zu lieben, braucht man Täuschungen. Mit den Täuschungen ist es aber wie mit den Röcken der Tänzerinnen: sie müssen weder zu lang noch zu kurz sein. – Jetzt ist der Roman zu Ende, junger Freund; jetzt können Sie gehen. Sie haben in Ihrer Schreibstube gewiß manches interessante bürgermeisterliche Schreiben einzuregistriren, manchen musterhaft stylisirten Feldhüterbericht zu studiren; die Polizei nimmt Sie in Anspruch – gehen Sie – retten Sie Frankreich und lassen Sie mich dem Verderben entgegeneilen.«
»Es thut mir unendlich leid, Chevalier, daß ich Ihren guten Rath so schlecht befolge; ich will der Einladung des Marquis auf jeden Fall folgen. Um jedoch Ihre Bedenklichkeiten zu beschwichtigen, gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich nicht so große Gefahr laufe, wie Sie glauben.«
»Hm! dahinter steckt ein Geheimniß,« sagte Montglas; »man glaubt vor einer angelehnten Kellerthür zu stehen. Aber ich bin weit entfernt, die Lösung des Räthsels zu verlangen.«
»Sie haben das Räthsel schon errathen,« erwiederte Fontanieu lachend; »ich bin zum Rasendwerden in Margarethe verliebt.«
»Lieber Freund, wenn man zum Rasendwerden verliebt ist, so sagt man’s nicht, und am wenigsten lacht man dabei.«
»Es ist so meine Art.«
»Gut. Und Sie wollen meinen Rath nicht.«
»Nein, Chevalier.«
»Nun, desto besser. Da wir wieder vor Bertrand‘s Thür sind, so gebe ich meine Anwandlung von Vernunft dein Wind und Wetter preis. Meine Weisheit flattert wie die zwei Unschlittkerzen, die das Schaufenster unseres Wirthes erleuchten, und zerstreut sich wie der Nebel in der Morgensonne; meine Gedanken nehmen die Rosenfarbe des Champagners an; meine Kehle wird trocken, und die wenigen Louisdor, die noch in meiner Tasche sind, hüpfen voll Sehnsucht nach dein grünen Teppich. – Wer sprach denn von Armuth und Reichthum? Es gibt hiernieden keine andere Ungleichheit, als die Größe des Magens und die Stärke der Liebe. In diesem Punkte haben wir uns also zu beklagen, nicht wahr, lieber Fontanieu? Mordieu! wer wird wohl die Nacht unter staubigen Acten sitzen, wenn man guten Wein, ein hübsches Mädchen und den grünen Tisch in Aussicht hat? Wie der große Condé bei Rocroy, werfe ich meinen Stock in die feindlichen Reihen – und vorwärts!«
Diese plötzliche Umwandlung, obschon von dem Chevalier selbst vorhergesagt, setzte Fontanieu doch in Erstaunen, und er fragte sich, ob der alte Roué nicht verrückt sei.
»Margarethe soll Ihre Geliebte werden,« setzte der Chevalier hinzu. »Ob, Sie sie lieben oder nicht, ist mir ganz gleichgültig; aber ich will mein Lebenlang Wasser trinken, ich will keinen Louisd’or mehr gewinnen, ich will nie mehr eine Eroberung