einen so hohen Werth gibt. Sie hassen mich – und nicht nur mich, sondern auch meine Freunde. Wie nennen Sie sie doch in Ihrer hochpoetischen Blumensprache?«
»Schnapphähne!« erwiederte Susanne entschlossen.
»Ja, richtig – Schnapphähne! Sie haben’s gehört, lieber Fontanieu. Wenn Sie etwa auf die Freundschaft der Dame Susanne gezählt haben, so haben Sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Sie sind in die Classe der Ungethüme versetzt worden, weil Sie zu meinen Freunden gehören.«
»Wirklich, Marquis?« sagte Fontanieu.
»Ich hatte also recht gerathen,« sagte Susanne, »ich hatte mich nicht geirrt: dieser Herr gehört zu Ihren Freunden! – Er hat Ihnen ohne Zweifel etwas zu sagen, ich will nicht stören – ich gehe.«
Susanne ging mit stolzem Anstande und höhnischer Miene in das Zimmer der Marquise.
Louis von Fontanieu hätte sie gern zurückgehalten, denn er zweifelte nicht, daß sie der Marquise sofort die nachtheilige Meinung, die sie von ihm hatte, mittheilten werde.
Der Marquis schaute ihr nach und zuckte die Achseln.
»Ich halte sie für etwas verrückt, die arme Alte,« sagte er. »Sie hängt an ihrer Herrin mit der Treue eines Pudels, und fletscht die Zähne, wenn ihr Jemand nahe kommt. Ich habe mir daher ein- für allemal vorgenommen, über ihre närrischen Streiche zu lachen, und es ist das Beste, was ich thun kann.«
»In der That,« erwiederte Fontanieu, der nach und nach seine Fassung wieder bekam, und in der Erwartung, daß Susanne an der Thür horchen werde, sich einigermaßen wieder in Gunst setzen wollte; »in der That, sie scheint der Frau Marquise sehr zugethan zu sein.«
»Allerdings« das ist sie. – Apropos, hat Ihnen die Marquise erlaubt, das wunderbare Goldstück zu behalten?«
Louis von Fontanieu bemerkte erst jetzt, daß er den Gegenstand, welcher der Vorwand seines Besuches war, ganz vergessen hatte. Er griff in die Tasche und zog die grünseidene Börse heraus.
»Ei ja, da ist sie ja,« setzte der Marquis hinzu. »Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück zu Ihrem guten Erfolge, lieber Fontanieu. Wie haben Sie die Marquise gefunden?«
»Ich verhehle Ihnen nicht, Herr Marquis,« sagte Louis, »daß sie aus mich einen sehr tiefen Eindruck gemacht hat. Es ist unmöglich, mehr Schönheit mit Anmuth zu verbinden.«
»Ei, der tausend, wie begeistert! Man könnte wirklich glauben, Sie hätten ihr schon zu tief in die Augen geschaut – Sie müssen nicht roth werden, Theuerster. Ich sage Ihnen im voraus, daß ich ein sehr willfähriger Ehemann bin. Ja, sie ist hübsch – und dann hat sie eine für mich sehr schützbare Eigenschaft: sie legt mir in keiner Sache ein Hinderniß in den Weg.«
Louis von Fontanieu glaubte diese Gelegenheit zur Ausführung seines Planes benützen zu müssen.
»Ja,« erwiederte er, »aber glauben Sie, daß ihre Ergebung Glück oder auch nur Gleichgültigkeit sei?«
»Aha! ich sehe schon was vorgegangen ist,« sagte der Marquis, »eine Fee hat Sie mit ihrem Zauberstabe berührt, Susanne hat Ihnen den Kopf verdreht, gestehen Sie es nur. Nennen Sie es wie Sie wollen; ich kann Ihnen nur sagen, daß sie thun und lassen kann was sie will, und das ist für eine Frau sehr viel werth.«
»Ich glaube aber,« erwiederte Louis lächelnd, »daß sie die Sclaverei vorziehen würde, wenn Ihre Liebe die Fesseln vergoldete.«
»Lieber Freund, die sentimentalen Redensarten wollen wir den Zuckerbäckern und Poeten überlassen,« antwortete Escoman, der nun von seiner erzwungenen Heiterkeit zu einem ihm sonst fremden ernsten Tone überging. Die Marquise hat in Ihrer Gegenwart geweint, die Thränen machen sie sehr anziehend. Die Weiber weinen eben so leicht, wie sie lächeln, wenn das Lächeln ihrem Gesicht einen neuen Reiz gibt. Sie haben sich durch Thränen bewegen lassen, zu Gunsten meiner Frau eine Lanze mit mir zu brechen. Ich könnte mich beklagen über die Unschicklichkeit, mit der sie das Publikum in die Geheimnisse unseres Alkovens einweiht. Denn Sie sind nicht der erste Ritter, den sie an mich abgeschickt, lieber Fontanieu; doch es ist eine Kinderei, die ich ihr verzeihe. Ich will mich nicht zu rechtfertigen suchen. An Ihrer Stelle würde ich vielleicht so denken wie Sie; an meiner Stelle werden Sie künftig so handeln wie ich, wenn Sie selbst fühlen, wie unerträglich solche Fesseln für einen unabhängigen Geist sind. Uebrigens kennen Sie Margarethe Gelis, nicht wahr!«
»Ich habe nicht die Ehre.«
»Wirklich? Wenn Sie sie gesehen haben, werden Sie meine Gleichgültigkeit gegen die Reize der Marquise erklärlich finden. Die Dante sollte sich mit der stillen, gemüthlichen Freundschaft ihres Gemals begnügen, und diese Freundschaft habe ich ihr nie verweigert – Doch lassen wir diese langweiligen Dinge; ich wünsche, daß unter uns nie wieder die Rede davon sei.«
Louis von Fontanieu ward ganz eingeschüchtert durch die üble Laune, welche aus diesen letzten Worten des Marquis sprach. Er sah ein, daß sein Plan nicht leicht auszuführen war, wie er anfangs geglaubt, und er nahm Abschied von dem Marquis, um ungestört über die Verhältnisse nachzudenken.
Siebentes Capitel.
Das Gasthaus »zur Sonne.«
Wie alle Provinzstädte hatte Châteaudun ein in großem Rufe stehendes Gasthaus. Dieses hatte zum Schild eine goldene Sonne, und der Speisekünstler, welcher dieses Etablissement in Ruf gebracht hatte, hieß Bertrand.
In Paris beobachtet man den auf dieses Schild vollkommen anwendbaren Grundsatz: Sol lucet omnibus: die Säle eines Speisewirthes bilden ein auf der Grenze zweier erst unlängst abgetheilten Gebiete stehendes neutrales Haus, in welchem die beiderseitigen Einwohner ohne die mindeste Unannehmlichkeit zusammentreffen und essen und trinken; man setzt bei ihnen voraus, daß sie sich nicht um einander kümmern.
In der Provinz ist es anders: dort kennt man kein neutrales Gebiet. Natürlich: zwischen Leuten, die einander persönlich oder gruppenweise als sociale Gegner gegenüberstehen, muß allerdings eine tiefe Demarcationslinie gezogen werden.
Dies hatte Bertrand wohl eingesehen. Die Kundschaft der Wüstlinge war ihm erschienen, mit Trüffeln vollgestopft, von Champagner triefend,« von zerbrochenen Gläsern schimmernd, beständig hungrig und zumal durstig, das Geld mit vollen Händen ausstreuend.
Diese Kundschaft hatte ihn in Versuchung geführt. Er hatte die sybaritischen Mahlzeiten verglichen mit den immer um einige Pfennige verkürzten Rechnungen der ruhigen und vernünftigen Leute. Mit tiefer Verachtung betrachtete er daher die unter den ehrsamen Bürgern beliebten und häufig in deren Häuser gelieferten Blätterteigpasteten, in denen nach der Meinung der Besteller, die doch dreißig Saus dafür zahlten, nie genug Hahnenkämme waren; und ohne die Bestellungen der Bürgersleute ganz abzuweisen, hatte er sich durch die glänzenden Aussichten, welche ihm die Schlemmer eröffneten, verleiten lassen.
Frau Bertrand war Feine gottesfürchtige, sehr thätige Hausfrau. Der Gemal war ein moralischer Mann, gewissenhaft in der Erfüllung seiner Zahlungspflichten und ein eifriger Nationalgardist. Er glaubte dadurch die bösen Zungen völlig zum Schweigen gebracht zu haben, und wirkte daher unverdrossen in Küche und Keller zum Besten der mehr als leichtfertigen Gesellschaft, in welcher der Marquis von Escoman den Vorsitz führte.
Die beiden feindlichen Parteien – die Regierungsbeamten und die Aristokratie – zogen sich mit einer Uebereinstimmung der Gesinnung, die man sonst bei ihnen vermißte, aus der »goldenen Sonne« zurück. Bertrand verlor nicht nur die Lieferung der Hochzeitsmahle für die Bürgersleute und die Festessen; er verlor nicht nur die unverheirateten Abonnenten, sondern es kam so weit, daß ehrbare Frauen nicht einmal mehr eine Torte bei Bertrand kaufen mochten. Die Köchinnen bekreuzten sich, wenn sie vorübergingen. Der Wirth zur »goldenen Sonne« hatte Personen von üblem Ruf in seinem Hause.
Dahin war er also mit den besten Absichten von der Welt gekommen. Als ehrlicher Mann erkannte er nicht ohne Schmerz die Ursache der Leere, die um sein Haus entstand; über Mangel an Besuch konnte er sich eben nicht beklagen. Die großen Rechnungen, welche ihm seine Gäste zahlten,« trösteten ihn nicht über seinen Verruf. Er versuchte gegen den allgemeinen Unwillen zu kämpfen, indem er seine Gäste beiderlei Geschlechts