hat Mr. Hawarden Ihre Tugend schützen wollen, welche ohne Zweifel nach seiner Meinung bei mir gefährdet ist.«
Ich schlug errötend die Augen nieder.
»Sie verstehen noch nicht zu lügen,« sagte Miß Arabella. »Ich hatte dies buchstäblich erraten.«
Sie klingelte und Mistreß Norton trat wieder ein.
»Hier,« sagte sie, indem sie ihr ein bereits zurechtgelegtes Paket Banknoten gab, »hier tragt dies zu Mr. Plowden und sagt, ihm, daß ich den Schmuck behalte, aber auch die Person, welche ihn mir überbracht hat.«
»Wie, Mylady,« rief ich, »Sie wollen —«
»Wollen Sie mir vielleicht weiß machen, daß Sie sich nach Mr. Plowdens Kaufladen und Ihrem Beruf als Ladenmamsell zurücksehnen? Dies hieße meine Fertigkeit, in den Zügen der Menschen zu lesen, Lügen strafen. Hier,« setzte sie lachend hinzu, »hier können Sie ganz nach Belieben deklamieren; hier wird sich niemand beschweren, daß Sie zu laut träumen.«
»Wie, Sie wissen?« rief ich.
»Ich bin sehr neugierig, und Sie wissen, daß die Neugier der Erbfehler der schönen Frauen ist. Ich sage also, daß Sie hier ganz nach Ihrem Belieben deklamieren können, abgesehen davon, daß Sie so oft ins Theater gehen werden, als es Ihnen Vergnügen macht.«
»Wirklich, Mylady?«
»O, ich kann das sehr leicht tun. Ich habe eine Loge, aufs ganze Jahr, die fortwährend leer steht, und Sie können daher dieselbe nach Belieben benützen.«
Dann drehte sie sich zu der Zofe herum und sagte:
»Nun, worauf wartet Ihr noch, meine Liebe?«
»Ich wollte Ihnen bloß bemerklich machen, Mylady, daß Sie von fünf bis sechs Uhr einen Besuch erwarten. Wenn ich nun selbst zu Mr. Plowden gehe, so kann, obschon dies gar nicht weit ist, die bewußte Person während dieser Zeit kommen und würde dann niemand finden, der sie bei Ihnen meldete.«
»Da habt Ihr recht, liebe Norton,« sagte Miß Arabella. »Schickt daher lieber Mr. Tom zu Mr. Plowden, und wenn jene Person kommt, so werdet Ihr sie bitten, einen Augenblick in dem Salon zu warten und mir dann Meldung machen. Jetzt geht.«
Mistreß Norton entfernte sich.
»Nun wollen wir einmal diese Diamanten ansehen,« sagte Miß Arabella in gleichgültigem Tone. Ich überreichte ihr das Etui, indem ich sagte:
»Die Steine sind wahrhaft wunderschön.«
»Ach, ich habe deren schon so viel,« entgegnete Miß Arabella.
»Georg sagte mir aber gestern, die Steine, welchen er den Vorzug gäbe, wären die Smaragden, und man muß schon etwas für die Leute tun, von welchen man ha, das häßliche Wort, welches mir auf der Zunge schwebte, ich wollte sagen, von welchen man bezahlt wird, anstatt: von welchen man geliebt wird.«
Ich sah die schöne Dame an. Eine Art kalter Schweiß trat mir auf die Stirne. Ich begann zu glauben, daß Mr. Hawarden recht gehabt habe, aber es war zu spät.
»Helfen Sie mir diesen Schmuck anlegen,« sagte Arabella zu mir.
Mit diesen Worten streckte sie mir den Hals, dann eins nach dem andern die Ohren und dann die Arme entgegen. War ich, indem ich aus dem Kaufladen des Strand in das Hotel von Oxfordstreet übersiedelte, höher oder tiefer gestiegen? Diese Frage war nicht leicht zu beantworten. In dem Kaufladen des Strand war ich die Dienerin des Publikums, in Oxfordstreet war ich Miß Arabellas Kammermädchen.
Eben hatte ich ihr das zweite Armband angelegt, als Mistreß Norton wieder eintrat.
»Er ist da,« sagte sie.
»Wo ist er?«
»In dem Salon.«
»Führt diese junge Dame in das Zimmer, welches auf den Garten geht. Sehet zu, daß es ihr an nichts gebreche und beauftragt Sarah, sie zu bedienen.«
Mistreß Norton öffnete eine in dem Wandgetäfel angebrachte kleine Tür, und forderte mich auf, ihr zu folgen, während Miß Arabella sich erhob, einige Schritte in der Richtung des Salons tat und in ihrem süßesten Tone sagte:
»Treten Sie ein, mein Prinz.«
Neuntes Capitel
Meine Wohnung bestand aus drei hübschen kleinen Zimmern mit der Aussicht auf den Garten. Sie befanden sich in der Höhe eines gewöhnlichen Zwischenstocks. Das mittelste hatte einen Balkon, der in eine Art Terrasse auslief und von großen, grünen, dichtbelaubten Bäumen beschattet ward. Dieser Balkon war ganz von Efeu und wildem Wein überrankt und reichte rückwärts auch bis vor die Fenster der übrigen Zimmer.
Der Anblick dieses Balkons machte mein Herz vor Freude hüpfen, denn er erinnerte mich an die Dekoration des zweiten Aktes in ›Romeo und Julia‹. Wenn ich um Mitternacht beim Scheine des Mondes in einem weißen Pudermantel auf diesem Balkon stand, so hielt nichts mich ab zu glauben, ich sei Julia. Es fehlte mir dann bloß noch ein Romeo.
Kaum sah ich mich allein, so dachte ich an die neue Veränderung, die in meinem Leben vorgegangen war. Welchem Verhängnis ging ich entgegen?
Es war klar, daß ein stärkerer Wille als der meinige über meine Existenz verfügte, ohne mir die Macht zu lassen, ihm Widerstand zu leisten. Zuerst entreißt die unerwartete Unterstützung des Lord Halifax mich meiner Unwissenheit, um mir einen Grad von Erziehung und Bildung zu geben, der mir mehr schädlich als nützlich ist. Dann wird diese Unterstützung mir plötzlich wieder entzogen, und der Zufall führt mich in eine gute, rechtschaffene Puritanerfamilie, wo ich mein Leben wenigstens für einige Zeit festgestellt glaube, als plötzlich die unvorhergesehene Begegnung mit Amy Strong neue Projekte in meinem Gemüt allerdings nicht erst erweckt, wohl aber mit solcher Kraft entwickelt, daß ich vergebens der Hand zu widerstehen suche, welche mich fortreißt, und ich gehe nach London, indem ich dem Rufe einer Person folge, die ich nicht kenne. Die Vorsehung, welche diesmal mich ihres Blickes würdigt, entfernt diese Person aus meinem Wege. An ihrer Statt finde ich einen Mann von edlem Herzen und eine Frau mit sanftem, zärtlichem Gemüt. Für sie gehe ich in einem Augenblick aus dem Zustande einer Fremden in den einer Freundin über. Man sucht und findet für mich eine Stellung, die besser ist, als die, welche ich bei dem älteren Mr. Hawarden bekleidete, und weit besser als meine erste Stellung bei Mistreß Davidson. Die ehemalige Schafhirtin wird erste Ladenmamsell eines der reichsten Juweliere von London und hier faßt das Verhängnis, welchem ich entronnen bin, mich abermals und schleudert mich, ohne daß ich Zeit habe mich zu besinnen, in jene krumme gefährliche Bahn hinein, von welcher Mr. Hawarden mir eine so abschreckende Schilderung entworfen.
Was soll ich tun? Soll ich dieses verhängnisvolle Haus fliehen? Soll ich zu Mr. Hawarden eilen, ihm alles sagen, alles gestehen, selbst meinen Wunsch Schauspielerin zu werden? Soll ich mich unter seinen Schutz stellen und ihm zurufen: »Hier bin ich! Retten Sie mich! Retten Sie mich!« Wenn ich dies tun will, so muß es geschehen, ehe noch die Nacht verflossen ist, denn wenn diese über meiner Abwesenheit vergeht, so ist alles verloren.
Oder soll ich bleiben? Soll ich mein Boot der Strömung, welche es fortträgt, folgen lassen, ohne Lotse und ohne Steuerruder mitten unter den Strudeln und den Stromschnellen? Soll ich es so dem Ozean zutreiben lassen, das heißt einer unbekannten wunderbaren Zauberwelt oder vielleicht den Eisbergen des Polarmeeres?
Aber welcher Unterschied zwischen dem Leben dieser Frau, welche prachtvolle Pferde, elegante Equipagen, Lakaien in kostbarer Livree, ein luxuriöses Hotel, so viel Diamanten, daß sie nicht weiß, was sie damit machen soll, Logen in allen Theatern und einen Geliebten hat, zu welchem sie sagt: »Treten Sie ein, lieber Prinz, ich erwarte Sie!« und der Existenz jener armen Ladenmamsell, welche um acht Uhr morgens aufsteht, ihren Tag damit zubringt, daß sie Schmucksachen handhabt, von welchen ihre Hände nur die Spur des Drucks und ihre Augen den Reflex behalten; die um zehn Uhr sich zu Bett legt, und nicht einmal in ihrem Zimmer die Verse Shakespeares zu deklamieren wagt, weil sie fürchtet, daß die Nachbarn sich darüber beschweren, und daß ihr Dienstherr sie frage, ob sie laut träumt!
O Herr, mein Gott, selig sind die, welche die Kraft haben, dem Strom zu widerstehen; aber zu entschuldigen bei der Stellung, welche die