Александр Дюма

Memoiren einer Favorite


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Ich durchlebte alle Phasen der Angst und des Schreckens. Jene Eigenschaften der Milde und Sanftmut, welche Mistreß Siddons in der Rolle der Julia abgingen, wurden jetzt durch die entgegengesetzten Eigenschaften ersetzt. Die Energie der Stimme, die Unbeweglichkeit ihrer Physiognomie gaben den ehrgeizigen Bestrebungen dieses Felsenherzens eine Vollkommenheit des Spiels, welche in der Szene, wo sie Macbeth zum Verbrechen treibt, ans Erhabene grenzte.

      Ich meine die Szene, wo sie ihren von Banquos Geist bedrohten Gatten beruhigt, und dann die, wo sie in ihrem Schlafe, mehr noch durch ihre erschütterte Macht als durch die Reue verfolgt, im Nachtgewande mit offenen, aber der Sehkraft beraubten Augen, mit hohler, klangloser Stimme kommt, um klagend das Schauspiel jener nächtlichen Schrecken zu geben, welche den Mörder verfolgen.

      Ich war, als ich wieder nach Hause zurückkehrte, vielleicht von noch größerer Bewunderung ergriffen, als das erste mal, dennoch aber weniger gerührt. Ich bewunderte, aber ich weinte nicht. Ich fühlte, daß ich, indem ich Macbeth gesehen, einer Kunstleistung beigewohnt hatte, während ich in »Romeo und Julia« meinen Anteil an einer Szene der Natur zu nehmen geschienen.

      Aufgeregt kehrte ich in meine kleine Wohnung zurück und wollte unter dem Eindruck dessen, was ich soeben gehört und gesehen, ebenso wie ich an dem Abend getan, wo Mr. Hawarden mich in das Theater geführt, das Gesehene und Gehörte zu reproduzieren versuchen.

      Ich sah aber sehr bald ein, daß weder meine Physiognomie noch meine Stimme für furchtbare Eindrücke geschaffen waren. Meine Stimme war zu sanft, meine Physiognomie zu zärtlich und zu jugendlich. Ich lachte über mich selbst, als ich sah, wie unmöglich es mir war, jene düstere Betonung und jene unwiderstehliche Versuchung nachzuahmen, welche Macbeth sagen läßt:

      ».....Bring forth men children only,

      For this undaunted mettle

      should compose Nothing but males.«

      (Bringe mir männliche Kinder zur Welt,

      denn dein unbesiegbares Herz

      darf nur Männer zeugen.)

      Wider Willen verfiel ich immer wieder in jene sanften, liebeskranken Biegungen der Stimme zurück, welche mich glauben ließen, daß ich in Julias Rolle neue und unbekannte Gefühle gefunden.

      Meine Physiognomie stimmte damals wunderbar mit dem harmonischen Wohllaut meiner Worte zusammen. Ich fühlte mit einem Wort, daß es mir unmöglich sein würde, irgendeinen Macbeth mit mir bis zum Throne zu erheben, welche Anstrengungen ich auch zu diesem Zwecke machte, während ich nur zu sprechen, anzublicken und zu lächeln brauchte, um den widerspenstigsten Romeo bis auf den tiefsten Grund meines Grabes hinabzulocken.

      Ich sah jetzt an meinem inneren Auge jene bezaubernde Ballszene vorübergehen, wo die beiden Liebenden, fast ohne zu sprechen, sich eines dem anderen widmen, so daß, als Romeo sich entfernt hatte, Julia, welche fühlte, daß der teure Unbekannte ihr Herz mit hinweg nimmt, ihre Amme ihm nachschickt und ausruft:

      »Geh', frage wie er heißt. Ist er vermählt,

      So ist das Grab zum Brautbett mir erwählt.«

      Ich deklamierte diese Worte, indem ich die ganze Seele und die ganze Leidenschaft hineinlegte, deren mein Herz fähig war, bis ich plötzlich im Garten am Fuße des Balkons mich nicht mit dem Namen Emma, sondern mit dem Namen Julia rufen zu hören glaubte.

      War es eine Verirrung meiner Einbildungskraft, eine Täuschung meiner Sinne? War ich in meinen Träumen so weit gekommen, daß sie sich gleichsam in Wirklichkeit verwandelten? Ich näherte mich leise dem Fenster, öffnete es und eine Stimme, so sanft wie ein Seufzer des Nachtwindes, rief abermals:

      »Julia! Julia!«

      Romeo war also gefunden. Romeo war am Fuße des Balkons, aber wer war er?

      Elftes Capitel

      Bei dieser Gewißheit, daß ein Unbekannter da war, hätte ich das Fenster wieder schließen, den Vorhang fallen lassen, in mein innerstes Zimmer fliehen und dasselbe verriegeln sollen. In jeder anderen Gemütsstimmung würde ich dies sicherlich auch getan haben, aber es war, als ob jenes Wesen, welches die heilige Schrift nicht zu nennen wagt, sondern bloß mit den Worten: »Der, welcher im Finstern wandelt,« bezeichnet, sich an mich geheftet hätte wie an eine Beute. Es schien geschworen zu haben, mich nicht eher loszulassen, als bis es mich in den tiefsten Abgrund hinabgezerrt hätte.

      Anstatt daher das Fenster zu schließen, anstatt zu fliehen, lehnte ich das Ohr an den nicht ganz geschlossenen Fensterflügel und horchte.

      Zu meinem großen Erstaunen sprach nun der Unbekannte mit sanfter, frischer Stimme die folgenden Verse, als ob es unsere Aufgabe wäre, jedes unsere Rolle vor einem unsichtbaren Publikum zu spielen, oder als ob ich wirklich Julia und er wirklich Romeo wäre.

      Mit verhaltenem Atem lauschte ich und der Unbekannte sprach:

      »Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?

      Es ist der Ost, und Julia die Sonne.

      Geh' aus, du holde Sonne! Ertödte Lunen,

      Die neidisch ist, und schon vor Grame bleich,

      Daß du viel schöner bist, obwohl ihr dienend.

      O, da sie neidisch ist, so dien' ihr nicht.

      Nur Toren gehn in ihrer blassen kranken

      Vestalentracht einher; wirf du sie ab!

      Sie ist es, meine Göttin! meine Liebe!

      O, wüßte sie, daß sie es ist!«

      Der Leser kennt die Zaubermacht, welche das Altertum dem Gesang der Sirenen zuschrieb, eine Macht, welcher Ulysses nur dadurch entrann, daß er seine Reisegefährten an die Masten seiner Schiffe festband und sich selbst die Ohren mit Wachs verstopfte. Leider ward ich durch kein Band gefesselt. Meine Ohren standen allen sinnlichen Melodien der Liebe geöffnet, die Stimme lockte mich mit unwiderstehlicher Gewalt. Ich setzte den Fuß auf den Balkon. Mein Herz pochte immer starker, meine Lippen bebten.

      Und als ob sie das Geheimnis meines Herzens gekannt hätte, fuhr die Stimme fort:

      »Sie spricht, doch sagt sie nichts; was schadet das?

      Ihr Auge spricht, ich will ihm Antwort geben.

      Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir.

      Ein Paar der schönsten Stern' am ganzen Himmel

      Wird ausgesandt, und bittet Juliens Augen

      In Ihren Kreisen unterdeß zu funkeln.

      Doch wären ihre Augen dort, die Sterne

      In ihrem Antlitz? Würde nicht der Glanz

      Von ihren Wangen jene so beschämen,

      Wie Sonnenlicht die Lampe? Würd' er auch,

      Aus luft'gen Höh'n sich nicht so hell ergießen,

      Daß Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen?«

      Hingerissen von dieser magischen Poesie, und indem ich in den Geist meiner Rolle einzugehen begann, dachte ich an Mistreß Siddons und ließ den Kopf auf die Hand sinken. Mein unbekannter Romeo, welcher einen Augenblick zu warten schien, damit ich Zeit hätte, mich mit der Szene in die richtige Wechselwirkung zu setzen, fuhr fort:

      »O, wie sie auf die Hand die Wange lehnt!

      War' ich der Handschuh doch auf dieser Hand

      Und küßte diese Wange!«

      Ich wußte nichts Besseres zu tun, als mit dem Dichter zu antworten:

      »Weh mir!«

      In einem leidenschaftlichen Tone, welcher alle Fibern meines Herzens erbeben machte, hob die Stimme wieder an:

      »Sie spricht! O, sprich noch einmal, holder Engel!

      Denn über meinem Haupt erscheinest du

      Der Nacht so glorreich wie ein Flügelbote

      Des Himmels dem erstaunten, über sich

      Gekehrten