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lebte eine Wunde noch blutend nach fünf Jahren im Herzen der schönen Verlassenen.

      Abbés, Offiziere, Geldmänner, Schauspieler, Schönlinge, Alles behandelte Olympia drei Jahre lang mit derselben Gleichgültigkeit.

      Endlich eines Tags, oder vielmehr eines Abends, es war in Marseille, sah Olympia in den Kulissen einen Mann von großer Schönheit und besonders von großer Distinktion: er war in die Uniform der schottischen Gendarmen gekleidet und trug die Auszeichnung eines Kapitäns.

      Olympia hatte eine kleine Rolle gespielt, in der man ihr viel Beifall gespendet, und bei ihrem Abgang von der Szene hatten sie viele Menschen umringt.

      Wenigstens zwanzig Edelleute, und zwar von den Höchstgestellten, näherten sich ihr, um ihr zu sagen:

      »Mademoiselle, ich finde Sie reizend.«

      Oder:

      »Mademoiselle, Sie sind anbetungswürdig.«

      Der Kavalier allein, von dem wir gesprochen, trat auf sie zu und sprach ehrerbietig vor aller Welt:

      »Madame, ich liebe Sie.«

      Dann, ohne etwas Anderes beizufügen, verbeugte er sich, machte drei Schritte rückwärts und war wieder mit der Menge der Bewunderer von Olympia vermengt.

      Diese so seltsam hingeworfene Erklärung beunruhigte Olympia zuerst durch ihre Bizarrerie, sodann durch die Wirkung, die sie auf die Anwesenden hervorgebracht hatte.

      Olympia fragte die Leute, die sie umgaben, nach dem Namen des fremden Liebesritters.

      Man antwortete ihr, es sei Louis Alexandré, Graf von Mailly, Herr von Rubempré Rieux, Avecourt, Bohard, Coudray und anderen Orten, Kapitän-Lieutenant der Compagnie der schottischen Gendarmen.

      »Ah!« machte sie.

      Und das war Alles.

      Dann begab sie sich allein, wie gewöhnlich, nach Hause.

      Sie hatte damals ein Engagement von achttausend Livres jährlich.

      Ferner hatte sie von einem alten Verwandten, der trotz ihrer Entweichung mit dem Musketier und ihres Eintritts beim Theater ihr Freund geblieben war, ungefähr dreißigtausend Livres bekommen, von denen sie sechstausend jährlich ausgab, was ihr, mit ihrem Gehalte, fünf Jahre zu vierzehntausend Livres, in Erwartung von Besserem, versprach.

      Sie empfing daher zuweilen bei sich und zwar auf eine sehr liebenswürdige Art. Die Gesellschaften, die sie gab, hatten sogar allmählich eine gewisse Berühmtheit in der ganzen Provinz erlangt; es war auch die erste Sorge jedes Mannes nach der Mode, sich bei Fräulein Olympia vorstellen zu lassen. Nicht ein Schmachtender fehlte.

      Allerdings waren alle Galanterien, die man der schönen Gebieterin des Hauses sagen konnte, rein verloren: Jedermann wurde gut aufgenommen, aber Niemand begünstigt.

      Und was noch viel außerordentlicher: Niemand rühmte sich, begünstigt worden zu sein.

      Als Olympia nach Hause kam, dachte sie unwillkürlich an Herrn von Mailly.

      »Er wird den gewöhnlichen Weg gehen,« sagte sie. »Ich werde ihn an meinem ersten Empfangstage, das heißt, am ersten Tage, wo ich nicht zu spielen habe, bei mir sehen.«

      Sie täuschte sich.

      Der Graf, der keine Vorstellung versäumte, wenn Olympia spielte, kam nach jeder Vorstellung herbei, um die schöne Künstlerin zu begrüßen.

      Doch dies, ohne ein einziges Wort zu sagen, ohne einen einzigen Schritt zu tun.

      Dieses Benehmen setzte Olympia sehr in Erstaunen; sie konnte nicht bezweifeln, daß der Graf ernstlich in sie verliebt war. Die Liebe scheint deutlich für die Frau in jeder Bewegung des wahrhaft verliebten Mannes durch.

      Sollte er schüchtern sein, dieser Kapitän der schottischen Gendarmen? Das war nicht wahrscheinlich.

      Warum, nachdem er sich so entschieden erklärt hatte, wartete er denn?

      Auf was wartete er?

      »Bildet er sich etwa ein,« dachte Olympia, weil ich eine Frau vom Theater sei, werde ich ihn für einen so hohen Herrn halten, daß ich ihm von selbst Erklärung durch Erklärung erwidere?«

      Sie wartete, bis sich der Graf weiter wagen würde. Der Graf machte nicht einen Schritt mehr.

      Olympia faßte den Entschluss, ihm den Rücken zuzuwenden, wenn er am Abend käme, um sie zu begrüßen.

      Der Entschluss war heroisch, gefährlich vielleicht. Herr von Mailly, damals ein Mann von drei und dreißig Jahren, gut gestellt bei Hofe, ein guter Edelmann durch sich selbst, vollkommen befreundet, einen Rang in der Welt, einen Grad in der Armee einnehmend, war von Männern und Frauen vortrefflich ausgenommen. Die Beleidigung einer Schauspielerin konnte nicht nur ihn selbst verletzen und empören, sondern auch viele Leute um ihn her verletzen und empören.

      Aber es war eine Unerschrockene, diese Olympia. Sie ließ Herrn von Mailly aus sich zugehen und schaute ihm wohl ins Gesicht; dann, nachdem er sie nach seiner Gewohnheit gegrüßt hatte, drehte sie ihm den Rücken zu, ohne seinen Bückling zu erwidern.

      Der Graf fühlte den Schlag, errötete sehr, richtete sich aus und ging weg, ohne daß er die Aufregung zu bemerken schien, welche der zurückstoßende Empfang von Olympia in der Gruppe, ihrer Hofmacher hervorgebracht hatte.

      Am andern Tag erschien Herr von Mailly abermals. Viele Leute hatten schon am Abend vorher Olympia aus die Gefahr aufmerksam gemacht, der sie sich durch ihre Ungezogenheit aussetze.

      Aber die Eigensinnige nahm so wenig hieraus Rücksicht, daß sie nun, als Herr von Mailly wiederkam, sogar zurückwich, ehe er gegrüßt hatte.

      Der Graf ließ sich nicht aus der Fassung bringen.

      Er ging im Gegenteil gerade aus sie zu und sagte mit kurzem, aber artigem Tone:

      »Guten Abend, mein Fräulein.«

      Und er stellte sich so, daß sie nicht entfliehen konnte.

      Jeder schaute dieser Szene mit einer leicht begreiflichen Neugierde zu.

      Olympia erwiderte nichts.

      »Ich habe die Ehre gehabt, Ihnen einen guten Abend zu wünschen, mein Fräulein,« sagte Mailly.

      »Und Sie haben Unrecht gehabt, da Sie erraten mussten, ich würde Ihnen nicht antworten,« erwiderte sie laut,

      »Wären Sie eine gewöhnliche Schauspielerin gewesen,« fuhr Herr von Mailly mit der äußersten Artigkeit fort, »und Sie hätten mir den Schimpf angethan, den ich erleide, so würde ich ein Wort an den Gouverneur dieser Stadt schreiben, daß er Sie für Ihre Ungezogenheit bestrafen ließe, da Sie aber nicht einfach eine Schauspielerin sind, so entschuldige ich Sie.«

      »Wenn ich aber nicht einfach eine Schauspielerin bin, was bin ich denn?« fragte Olympia, ihre großen Augen erstaunt aus den Grafen heftend.

      »Ich glaube nicht, daß dies der Ort ist, es Ihnen zu sagen, mein Fräulein,« erwiderte Herr von Mailly, der fortwährend die ausgezeichnete Höflichkeit behauptete, aus welcher er sich bei diesem Vorfalle seine Verteidigungswaffe gemacht hatte. »Die Geheimnisse des Adels wirft man nicht so in den Wind der Kulissen.«

      Olympia hatte zuviel gehört, um nicht zu wollen, daß ihr Herr von Mailly mehr sage. Sie ging entschlossen in eine Ecke des Theaters und winkte ihm, ihr zu folgen.

      Er gehorchte.

      »Sprechen Sie nun,« sagt« sie.

      »Mein Fräulein,« versetzte Herr von Mailly, »Sie sind von Stande.«

      »Ich?« erwiderte Olympia erstaunt.

      »Ich weiß es, und daher die Achtung, die ich Ihnen immer bezeigt habe, selbst als Sie mich beleidigten, ohne Ursache beleidigten; ich kenne Ihr ganzes Leben, und nichts wird machen, daß ich mein Benehmen gegen Sie bereue, nicht einmal Ihre Strenge.«

      «Aber, mein Herr. . .« sagte Olympia ganz bewegt.

      »Sie beißen Olympia von Clèves,« fuhr Herr von Mailly unstörbar fort. »Sie sind in einem Kloster in der Rue de Vaugirard erzogen worden. Meine Schwester war mit Ihnen in