desselben zufolge, der Herzog Maine die Regentschaft bekommen sollte, als er sah, wie das Parlament diesen letzten Willen vernichtete, hatte er die Machterlangung des Herzogs von Orleans als eine Usurpation betrachtet; und in der Ueberzeugung, daß man sich mit bewaffneter Hand gegen diese Gewaltthat erheben würde, hatte er sich fortwährend in Frankreich nach einem Banner umgeschauet, unter welchem zu fechten mit seinem Gewissen übereinstimmte. Zu einem großen Erstaunen aber hatte sich nichts dergleichen ereignet. Spanien, welches so sehr dabei interessiert war, an der Spitze Frankreichs ein ihm freundlich gesinntes Oberhaupt zu wissen, hatte nicht einmal protestiert. Der Herzog von Maine hatte sich, müde des Kampfes, hatte derselbe gleich nur einen Tag gewährt, in die Dunkelheit zurückgezogen, der er, wie es schien, nur wider Willen entrissen, wurde. Herr von Toulouse, sanft, friedfertig, gutmüthig und sich fast der Gunst schämend, mit der er und sein älterer Bruder überhäuft worden war, ließ auch nicht in der Ferne argwöhnen, daß er jemals als Chef einer Parthei auftreten würde. Der Marschall von Villeroy leistete eine armselige Opposition, in welcher weder Plan noch Berechnung war, Villars suchte niemand auf, wartete aber offenbar darauf, daß man ihn aufsuchen würde. D’Urelles hatte sich ausgesöhnt und die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übernommen. Die Herzöge und Pairs schmeichelten dem Regenten, in der Hoffnung, daß er den Herzögen von Maine und von Toulouse den Vortritt wieder nehmen werde, den Ludwig XIV. diesen vor ihnen eingeräumt hatte. Nirgends also fand der Chevalier Harmental einen Punkt, an dem er sich halten konnte und eben deshalb hatte er das schon halbgezückte Schwert in die Scheide zurückgestoßen. Jetzt aber war eine Phantasie aufs Neue aufgeregt. Die ihm in der Ferne gezeigte glänzende Aussicht beschäftigte seine Gedanken, und obgleich bereits eine halbe Stunde vergangen war, seitdem der Wagen mit ihm davon rollte, war ihm dennoch die Zeit nicht lang geworden.
Endlich bemerkte er, daß der Wagen in ein Gewölbe hineinrasselte, er hörte eine Gitterthür öffnen und hinter ihm sich wieder verschließen; gleich darauf beschrieb der Wagen einen Halbkreis und hielt an.
»Chevalier,« sprach seine unbekannte Gefährtin, »haben Sie sich eines Anderen besonnen, so können Sie noch jetzt zurück; ist Ihr Entschluß aber noch derselbe, so kommen Sie mit mir.«
Statt aller Antwort, reichte ihr Harmental die Hand hin. Der Diener öffnete den Wagenschlag, die Unbekannte stieg zuerst aus, dann half sie dem Chevalier aus dem Wagen. Seine Füße berührten alsbald Stufen; er stieg von der Maske geführt, deren sechs hinan, und gelangte über einen Flur endlich in ein Gemach. Jetzt hörte er, wie der Wagen wieder fortrollte.
»Wir sind an Ort und Stelle, er nahm die Unbekannte wieder das Wort, »erinnern Sie sich auch noch unserer Bedingungen, Chevalier? Noch haben Sie freie Hand in dem Drama, welches sich vorbereitet, eine Rolle zu übernehmen, oder nicht. Im Falle einer Weigerung schwören Sie an niemand, wer es auch immer seyn mag, etwas von dem zu offenbaren, was Sie hier sehen oder hören werden.«
»Ich schwöre es, bei meiner Ehre!« betheuerte Harmental.
»So setzen Sie sich, und warten Sie in diesem Zimmer; lösen Sie die Binde vor Ihren Augen nicht, bevor der Schlag der Uhr im angränzenden Gemach die zweite Stunde verkündet haben wird. Sie werden nicht lange zu warten haben.«
Bei diesen Worten entfernte sich die Unbekannte. Eine Thür öffnete sich und schloß sich wieder; gleich darauf, ja fast in demselben Augenblicke schlug es zwei Uhr und – der Chevalier riß das Tuch von seinen Augen.
Er befand sich allein in dem geschmackvollsten Boudoir, das man sich nur denken konnte. Es war eine kleine mit Himmelblau und Silber ausgeschlagene Piece, die Möbel waren von kostbarer Tapisserie-Arbeit. Auf den Tischen und in den Nischen prangte das reichste Porzellan. Der Fußboden war mit einem köstlichen buntfarbigen Teppich bedeckt; die Decke war von Vatheaus Meisterhand gemalt, der grade damals Mode zu werden begann! Bei diesem Anblick konnte der Chevalier kaum glauben, daß er wegen einer ernsten Sache hierher berufen worden, und er kehrte fast zu seiner früheren Idee zurück.
In diesem Augenblick öffnete sich eine versteckte Wandthür und Harmental gewahrte eine weibliche Gestalt, die er bei seiner aufgeregten Phantasie leicht für eine Fee hätte halten können, so schlank und ätherisch war sie gebaut. Sie trug ein silbergraues mit Blumen gesticktes Kleid, welche Letztere so kunstvoll gearbeitet waren, daß man sie in einiger Entfernung für natürliche Blumen halten konnte. Reiche Spitzen, Perlen und Diamanten, schmückten ihren prachtvollen Anzug. Ihr Antlitz war mit einer halben Maske von schwarzem Sammt bedeckt, die untere Hälfte derselben bestand aus schwarzen Spitzen.
Der Chevalier von Harmental verbeugte sich tief, denn die Haltung und das Wesen der Unbekannten hatten etwas Königliches, und es war ihm jetzt klar, daß diejenige, die ihn hierhergeführt, nur eine Abgesandtin gewesen sey,
»Darf ich meinen Augen trauen!« rief Harmental, »bin ich wirklich so glücklich, die reizende Fee zu schauen, welche diesen Zauberpalast bewohnt?«
»Ach, Chevalier, versetzte die maskierte Dame, in einem weichen aber bestimmten Tone, »ich bin keine mächtige Fee, sondern im Gegentheil, eine arme Prinzessin, die von einem boshaften Zauberer verfolgt wird, der mir meine Krone geraubt hat, und der mein Königreich schwer bedrückt. Wie Sie sehen, suche ich einen tapferen Ritter, der mich befreiet, und Ihr Ruf machte, daß ich mich in dieser Rücksicht an Sie wandte.
»Wenn es nur meines Lebens bedarf, um Ihnen Ihre frühere Macht wieder zu verschaffen, gnädigste Frau,« erwiderte Harmental, »so sprechen Sie nur ein einziges Wort, und ich bin bereit, es mit Freuden Preis zu geben. Wer ist der Zauberer, der bekämpft werden, wer ist der Riese, der bezwungen werden muß? Da Sie mich vor allen Anderen erwählt haben, so werde ich mich der Ehre, die Sie mir erwiesen, würdig bezeigen. Ich schwöre es, mich Ihrem Dienste weihen zu wollen, und sollte es mir den Untergang bereiten.«
»In jedem Falle würden Sie in guter Gesellschaft untergehn, versetzte die Dame, indem sie die Maske vom Antlitz nahm, »Sie würden untergehn mit dem Sohne Ludwig XIV. und mit der Enkelin des großen Condé.«
»Frau Herzogin von Maine,« rief Harmental, indem er das Knie beugte. »Mögen Ew. Hoheit es entschuldigen, wenn ich, der ich Sie nicht kannte, etwas äußerte, was im Widerspruche mit der tiefen Verehrung steht, die ich für Sie empfinde.«
»Sie haben nichts gesprochen, Chevalier, wofür ich Ihnen nicht erkenntlich seyn müßte,« sprach die Herzogin, »vielleicht aber bereuen Sie, was Sie geäußert, in diesem Falle sind Sie frei und können Ihr Wort zurücknehmen.«
»Der Himmel bewahre mich, daß ich, nachdem ich mein Leben einer so edlen und erlauchten Prinzessin gewidmet, so thöricht seyn könnte, auf die größte Ehre zu verzichten, der ich mich jemals erfreuete. Nein gnädigste Frau, mein Arm, mein Schwert, mein Leben, sind fortan nur Ihnen geweiht.«
»Wolan, Chevalier, nahm die Herzogin von Maine, mit dem ihr eigenthümlichen bezaubernden Lächeln das Wort, »ich sehe, daß der Baron von Valef mich rücksichtlich Ihrer nicht getäuscht hat, und daß Sie ganz und gar der Mann sind, den er geschildert. Kommen Sie, daß ich Sie jetzt unsern Freunden vorstelle.«
Die Herzogin von Maine schritt voran; Harmental folgte ihr, noch ganz bestürzt von dem was sich zugetragen hatte, jedoch fest entschlossen, rüstig auf der Bahn, die er betreten, weiter zu schreiten. Die Herzogin öffnete nach einigen Schritten über den Corridor, die Thür eines Saals, in welchem sich vier Personen befanden. Der Kardinal von Polignac, der Marquis von Pompadour, Herr von Malezieux und der Abbé Brigaud.
Der Cardinal von Polignac galt für den Liebhaber der Herzogin von Maine. Es war ein schöner Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, stets in der sorgsamsten Toilette, von Ehrgeiz verzehrt, aber durch seine Charakterschwäche vom Handeln zurückgehalten.
Herr von Pompadour, war ein Mann von fünfundvierzig bis fünfzig Jahren, welcher Edelknabe bei dem Dauphin, Sohn Ludwigs XIV. gewesen war, und so viel Liebe und Ehrfurcht für die Familie des großen Königs eingesogen hatte, daß er es nicht ohne Schmerz mit ansehen konnte, wie der Regent Philipp V. den Krieg erklärte, und eifrig die Parthei des Herzogs von Maine ergriff. Ja, stolz und uneigennützig, wie man es zu jener Zeit selten traf, hatte er dem Regenten das Brevet seiner Pension und das seiner Gemahlin zurückgeschickt.
Herr von Malezieux war ein Mann von sechzig bis fünfundsechszig Jahren, Kanzler von Dombes