rel="nofollow" href="#n1" type="note">1 fragte der Kleine in seinem Patois.
»Ja. es gehört mir,« antwortete ich mit einem halbmißlungenen Versuch, in demselben Dialekt zu sprechen.
»Mußt es beweisen,« versetzte der Kleine und zog den Zügel an sich.
Ich rief den Notar und ersuchte ihn, dem Berwahrer meines Pferdes zu bezeugen, daß das Pferd wirklich mir gehöre.
Der Notar erfüllte meinen Wunsch und ich kam wieder in den Besitz meines Rosses.«
Der Knabe verdiente dabei ein Fünffrankenstück.
»Jetzt kann ich beschwören,« sagte er, »daß das Pferd dem Herrn gehört.«
Ich wandte mich noch einmal zu dem Notar und sagte:
»Dieser kleine Mensch wird gewiß einst ein famöser Client für Ihren Nachfolger.«
Ich begab mich wieder in den Gasthof, ließ hier Alfreds Pferd zurück und fuhr um fünf Uhr mit dem Postwagen nach Lisieux.
Drei Tage nachher war ich, wie ich Alfred versprochen, wieder in Evreux.
II
Vierzehn Tage nachher war ich wieder im Gasthof »zum goldenen Löwen.«
Dieses Mal war ich zur Hochzeit Gratians und Zoe’s nach Bernay gekommen; denn das Domicil des jungen Mannes war zu Bernay, bei dem Tischlermeister Guillaume, in der Hauptstraße. Das Domicil der Braut war im Schlosse Chambray, dessen Lage wir beschrieben haben, und wohin sie ihrer Milchschwester gefolgt war.
Die Gräfin hatte für den Brautschmuck gesorgt, und Zoe sollte im Schlosse abgeholt werden.«
Für die dreihundert Francs, die von dem Kauf Jean Pierre’s übrig geblieben waren, hatte Gratian den Hochzeitschmaus im Gasthofe »zum goldenen Löwen« bestellt. Frau von Chambray hatte von ihrem Gemal die Einwilligung erhalten, zur Hochzeit zu gehen; er selbst mochte bei diesem Feste, das er als eine Last betrachtete, nicht erscheinen.
Der Hochzeitstag kam. Gratian, von meiner Ankunft benachrichtigt, hatte mir Abends vorher einen Besuch gemacht.
Frau von Chambray und Zoe waren Abends auch angekommen.
Ich hatte den Wirth »zum goldenen Löwen« veranlaßt, im Namen der Frau von Chambray die Mutter der Braut von Juvigny holen zu lassen.
Die gute Alte hatte so sehnlich gewünscht, ihre Kleine, wie sie die Gräfin nannte, wiederzusehen, daß ich ihr den Wagen schickte und hundert Franks für kleine Einkäufe übergeben ließ; denn aus den Beobachtungen, die ich bei der Sammlung gemacht hatte, zweifelte ich daß ihr Frau von Chambray dieses Glück verschaffen könne. Ich schrieb ihr, es sey von dem neuen Besitzer des Schlosses, und machte zur Bedingung« daß sie diesem nicht dafür danken sollte.
Alles dies konnte ich ihr noch einmal ans Herz legen, denn sie kam eine Stunde früher von Juvigny an, als Frau von Chambray und Zoe von Evreux eintrafen.
Zoe fand also im Schlosse ihre Mutter und die Gräfin ihre Amme.
Abends machte ich einen Spazirgang. Seit dem Tage, wo mir Frau von Chambray ihren Ring für die Abgebrannten gegeben, hatte ich sie nicht wiedergesehen. Diesen Ring, den ich natürlich nicht verkauft, sondern nur nach denn Schätzungswerthe bezahlt hatte, trug ich an einer dünnen goldenen Kette auf der Brust.
Ich hatte keine Hoffnung sie zu sehen; aber ich fühlte, mich unwillkürlich zu ihrer Wohnung hingezogen.
Es wurde Abend, als ich aus dem Städtchen ging. Ich ging am Ufer der Charentonne fort und befand mich bald an der zur Kirche Notre-Dame de la Coulture führenden Treppe.
Ich ging die Treppe hinauf und befand mich auf einem kleinen Friedhofe.
Ein echt ländlicher Friedhof, öde und traurig wie der Gottesacker Gray’s. Im Schimmer der letzten Sonnenstrahlen, die sich wie leuchtende Lanzen über die Erdfläche erstreckten, las ich einige Grabschriften, welche Zeugniß gaben von der Einfalt der Verstorbenen und von der Naivität der Ueberlebenden.
Dann ging ich in die Kirche. – Ich glaubte sie verödet zu finden. Ich irrte mich. In einer Ecke betete eine weibliche Gestalt.
Sie war in einen großen Shawl gehüllt und ich konnte ihr Gesicht nicht sehen; aber ich stutzte. Eine Stimme flüsterte mir nicht ins Ohr, sondern ins Herz:
»Sie ist’s!«
Ich stand still und drückte die Hand auf die Brust, denn mein Athem stockte.
Mein fester Wille siegte indeß schnell über meine Befangenheit. Ich ging in den dunkelsten Winkel der Kirche, und lehnte mich an einen Pfeiler nahe an die Thür. Von da betrachtete ich sie.
Ein Strahl der scheidenden Sonne fiel durch ein Kirchenfenster, und ließ die Betende in einem überirdischen Strahlenglanze erscheinen.
Aber der Sonnenstrahl fing an allmälig zu erblassen und erlosch endlich ganz.
Warum wurde mein Herz so beklommen bei diesem Anblick als ob jenes Licht, das ihr der neidische Himmel entzog, ihre Seele gewesen wäre, die, eine kleine Weile in diese Welt verbannt, wieder zum Himmel, ihrer wahren Heimat, aufstieg?«
Bald war sie von Dämmerung umgeben, und eine Bewegung, welche sie machte, zeigte mir an, daß ihr Gebet zu Ende war.
Ich wurde unwillkürlich an den Vers Hamlet"s erinnert:
– Nymphe, wenn Du betest,
Gedenke aller meiner Sünden.
Sie stand auf, küßte den rechten, auf dem Kopf der Schlange stehenden Fuß der heiligen Jungfrau, ging auf den Armenstock zu und warf ein Geldstück hinein.«
Ich wußte – und Gott wußte es auch – wie schwer ihr selbst das geringste Almosen wurde!
Als sie den Armen ihr Schärflein geopfert, ging sie auf die Thür zu. Ich trat nun aus dem Dunkel hervor, um meine Fingerspitzen in das Weihwasser zu tauchen, und ihr meine nassen Finger zu bieten.
Sie erkannte mich. Die Ueberraschung entlockte ihr einen leisen Schrei. Ich glaubte sie unter ihrem Schleier erblassen zu. sehen. Aber sie zog einen Handschuh aus, berührte meine Fingerspitzen mit den ihrigen, schlug ein Kreuz und entfernte sich.
Ich schaute ihr nach, bis sich die Thür hinter ihr geschlossen hatte und ihre Fußtritte nicht mehr zu hören waren. Dann kniete ich an derselben Stelle nieder, welche sie verlassen hatte.
Ich will nicht sagen, daß ich betete, ich habe kein Gebet gelernt. Ich gehe in eine Kirche um nachzudenken, meinen Geist zu sammeln. Wenn ich Gott um etwas zu bitten, ihm für eine Wohlthat zu danken habe, so thue ich es nicht mit erlernten, fremden Lippen entlehnten Worten, sondern mit Gefühlen, die meinem Herzen entströmen und sich nicht immer in Worten aussprechen. Ich befinde mich dann in einem beschaulichen, dem Treiben der Welt entrückten, ich möchte fast sagen träumerischen Seelenzustande; mein Geist scheint Schwingen zu bekommen und himmelwärts getragen zu werden. Ich spreche mit Gott nicht wie Moses auf dem Sinai, nicht im Angesicht des feurigen Busches und von leuchtenden Blitzen umgeben, sondern wie der singende Vogel, wie die Blume, die ihren Duft verbreitet, wie der plätschernde Bach. Ich bete nicht mit Worten, ich bin ganz im Anschauen des Ueberirdischen versunken. Ich wende mich nicht zu dieser oder jener Himmelsgegend. Ich sage zu dem Winde: Du magst von Nord oder von Süd, von Ost oder West wehen, ich weiß daß Du meinen Hauch zu Gott empor trägst, durch den ich lebe, den ich segne, daß er mir so viel Liebe und so wenig Haß ins Herz gelegt hat.
Und ich entferne mich ruhigen, vertrauensvollen, aber doch wehmüthigen Herzens. Gott weiß, es ist nicht Zweifel, nicht Reue, es ist Demuth.
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