Jahren, mit prachtvollen Augen, einer Nase von vollkommenem Schnitte, Lippen von außerordentlicher Regelmäßigkeit. Sie stand aufrecht, den Kopf erhoben, weniger als wolle sie diese Menge zu beherrschen scheinen, als weil ihre auf den Rücken gebundenen Hände sie zwangen den Kopf so zu halten. – Der Regen hatte aufgehört; da sie aber während drei Viertel des Weges den Regen ertragen hatte, so zeigte das Wasser, das auf sie geflossen war, die Umrisse ihres reizenden Körpers; – man hätte glauben können, daß sie aus dem Bade käme. – Das rothe Hemd, mit dem sie der Scharfrichter bekleidet hatte, verlieh diesem so stolzen und so energischen Kopfe einen seltsamen Anblick, einen schaurigen Glanz.
In dem Augenblicke, wo sie auf dem Platze anlangte, hörte der Regen auf, und ein zwischen zwei Wolken durchfallender Sonnenstrahl spiegelte sich auf ihren Haaren, die er wie einen Heiligenschein glänzen ließ. Wahrlich, – ich schwöre es Ihnen, obgleich dieses junge Mädchen einen Mord begangen hatte, – eine schreckliche That, selbst dann, wenn sie die Menschheit rächt, – obgleich ich diesen Mord verabscheute, – ich hätte nicht zu sagen vermogt, ob das, was ich sah, eine Apotheose oder eine Hinrichtung wäre. Als sie das Schaffot erblickte, erbleichte sie, und diese Blässe war merklich, besonders wegen des rothen Hemdes, das bis zu ihrem Hals hinauf reichte; aber fast sogleich beherrschte sie sich, und wandte sich vollends nach dem Schaffotte um, das sie lächelnd anblickte.
Der Karren hielt; Charlotte sprang auf den Boden, ohne erlauben zu wollen, daß man ihr beim Aussteigen helfe, dann stieg sie die durch den gefallenen Regen schlüpferig gewordenen Stufen des Schaffottes so rasch hinauf, als es ihr die Länge ihres schleppenden Hemdes und die Unbequemlichkeit ihrer gebundenen Hände erlaubten. Als sie die Hand des Scharfrichters sich auf ihre Schultern legen fühlte, um das Tuch abzureißen, das ihren Hals bedeckte, erbleichte sie ein zweites Mal; aber auf der Stelle widersprach ein letztes Lächeln dieser Blässe, und von selbst, ohne daß man sie auf das entehrende Fallbret befestigte, streckte sie in einer erhabenen und fast freudigen Regung ihren Kopf durch die gräßliche Oeffnung. – Das Beil fiel, der von dem Rumpfe getrennte Kopf fiel auf das Gerüst und prallte zurück. Jetzt, achten Sie wohl auf folgendes, Doctor; achten Sie wohl auf folgendes, Dichter, jetzt ergriff einer der Knechte des Scharfrichters, Namens Legros, diesen Kopf bei den Haaren, und gab ihm aus einer gemeinen Schmeichelei für die Menge eine Ohrfeige. Nun denn! Ich sage Ihnen, daß der Kopf bei dieser Ohrfeige erröthete; ich habe es gesehen, der Kopf, nicht die Wange, verstehen Sie wohl? Nicht nur die berührte Wange, sondern die beiden Wangen; und das mit einer gleichen Röthe, denn das Gefühl lebte in diesem Kopfe, – und sie empörte sich, eine Schmach erlitten zu haben, welche das Urtheil nicht ausgesprochen hatte.
Das Volk sah gleichfalls dieses Erröthen, und nahm Partei für die Todte gegen den Lebenden, für die Hingerichtete gegen den Scharfrichter. Es verlangte auf der Stelle Rache für diese Abscheulichkeit, und auf der Stelle wurde der Elends den Händen der Gendarmen übergeben und in das Gefängniß geführt.
Warten Sie, sagte Herr Ledru, welcher sah, daß der Doctor sprechen wollte, warten Sie, das ist nicht Alles.
Ich wollte wissen, welches Gefühl diesen Menschen zu der schändlichen That hätte veranlassen können, die er begangen hatte. Ich erkundigte mich nach dem Orte, wo er war; ich verlangte eine Erlaubniß, um ihn in der Abtei zu besuchen, wo man ihn eingesperrt hatte; ich erlangte sie und besuchte ihn.
Ein Urtheil des Revolutions-Tribunals hatte ihn zu drei Monat Gefängniß verurtheilt. Er begriff nicht, daß er wegen einer so natürlichen Sache, als die, welche er begangen hatte, verurtheilt worden war.
Ich fragte ihn, was ihn zu dieser That veranlaßt hätte.
– Ei! sagte er, eine schone Frage! Ich bin ein Anhänger Marats; ich hatte sie für Rechnung des Gesetzes bestraft, – ich habe sie für meine Rechnung bestrafen wollen.
– Aber, sagte ich zu ihm, Sie haben also nicht eingesehen, daß in dieser Verletzung der dem Tode schuldigen Achtung fast ein Verbrechen liegt?
– Ah so! sagte Legros zu mir, indem er mich fest anblickte, Sie glauben also, daß sie todt sind, weil man sie guillotinirt hat?
– Ohne Zweifel.
– Nun denn! Man sieht Wohl, daß Sie nicht in den Korb blicken, wenn sie alle mit einander darin sind; daß Sie nicht sehen, wie sie noch während fünf Minuten nach der Hinrichtung die Augen verdrehen und mit den Zähnen knirschen. Wir sind qenöthigt, alle drei Monate den Korb zu wechseln, so sehr zerreißen sie den Boden mit den Zähnen. – Sehen Sie, es ist ein Haufen aristokratischer Köpfe, die sich nicht entschließen wollen zu sterben, und ich würde mich nicht verwundern, wenn eines Tages einer von ihnen auszurufen begänne: Es lebe der König!
– Ich wußte Alles, was ich wissen wollte; ich entfernte mich, von einem Gedanken verfolgt: – Nämlich, daß diese Köpfe in der That noch lebten, und ich beschloß mich davon zu überzeugen.
VI.
Solange
Während der Erzählung des Herrn Ledru war die Nacht gänzlich hereingebrochen. Die Bewohner des Salons erschienen nur noch wie Schatten, – nicht allein stumme, sondern auch noch regungslose Schatten, so sehr fürchtete man, daß Herr Ledru sich unterbrechen mögte; denn man sah ein, daß hinter der schrecklichen Erzählung, welche er gemacht hatte, sich eine noch weit schrecklichere befände.
Man hörte daher keinen Athemzug. – Der Doktor allein that den Mund auf, ich ergriff ihn bei der Hand, um ihn vom Sprechen abzuhalten, und er schwieg in der That.
Nach Verlauf einher Secunden fuhr Herr Ledru fort:
Ich hatte die Abtei verlassen, und ging über den Platz Taranne, um mich nach der Straße Turnon zu begeben, in welcher ich wohnte, als ich eine um Hilfe rufende weibliche Stimme hörte.
Es konnten keine Missethäter sein, es war kaum zehn Uhr Abends. Ich eilte nach der Ecke des Platzes, wo ich den Schrei gehört hatte, und sah bei dem Scheine des hinter einer Wolke hervortretenden Mondes eine Frau, welche sich in Mitte einer Runde Sans-Culotten sträubte.
Diese Frau erblickte mich gleichfalls, und da sie an meinem Kostüme bemerkte, daß ich nicht gänzlich ein Mann des Volkes wäre, stürzte sie auf mich zu, indem sie ausrief:
– Ah! Sehen Sie, da ist gerade Herr Albert, den ich kenne, er wird Ihnen sagen, daß ich wirklich die Tochter der Mutter Ledieu, der Wäscherin bin!
Und zu gleicher Zeit ergriff die arme, ganz bleiche und ganz zitternde Frau meinen Arm, indem sie sich wie der Schiffbrüchige an die rettende Planke an mich klammerte.
– Die Tochter der Mutter Ledieu so viel als Du willst, aber Du hast keine Bürgerkarte, schönes Kind, und Du wirst uns auf die Wache folgen!
Die junge Frau drückte mir den Arm; – ich fühlte Alles, was an Schrecken und an Bitte in diesem Drucke lag. – Ich hatte verstanden.
Da sie mich bei dem ersten besten Namen genannt hatte, der ihr eingefallen war, so nannte ich sie bei dem ersten besten Namen, der mir einfiel.
– Wie! Sie sind es, meine arme Solange, sagte ich zu ihr, was begegnet Ihnen denn?
– Da, sehen Sie, meine Herren, begann sie wieder.
– Es scheint mir, daß Du wohl sagen könntest: Bürger.
– Hören Sie, Herr Sergeant, es ist nicht meine Schuld, daß ich so spreche, sagte das junge Mädchen, meine Mutter hatte Kunden in der vornehmen Welt, sie hatte mich daran gewöhnt höflich zu sein, so daß es eine üble Gewohnheit ist, die ich angenommen habe, ich weiß es wohl, eine aristokratische Gewohnheit; aber dem ist nun einmal so, Herr Sergeant, und ich vermag nicht, sie mir abzugewöhnen.
Und es lag in dieser mit zitternder Stimme gegebenen Antwort ein unmerklicher Spott, den ich allein erkannte. Ich fragte mich, wer diese Frau sein könnte. Das Problem war unmöglich zu lösen. Nur war ich davon überzeugt, daß sie nicht die Tochter einer Wäscherin sei.
– Was mir begegnet? begann sie wieder, Bürger Albert, sehen Sie, was mir begegnet: stellen Sie sich vor, daß ich ausgegangen bin, um Wäsche zurückzubringen, daß die Herrin vom Hause ausgegangen war, daß ich gewartet habe, um mein Geld zu erhalten, bis sie nach Haus