ganz mit Büchern, Broschüren und Journalen, unter welchen der Constitutionel, die Lieblingslectüre des Herrn Ledru, wie ein König den Vorrang hatte, bedeckter Arbeitstisch.
Der Salon war leer, die Gäste gingen in dem Garten spazieren, den man in seiner ganzen Ausdehnung durch die Fenster erblickte.
Herr Ledru ging gerade auf seinen Arbeitstisch zu und zog eine ungeheure Schublade auf, in welcher sich eine Menge kleiner Pakete gleich Saamenpacketen befanden. Die Gegenstände, welche diese Schublade enthielt, waren selbst in überschriebene Papiere eingewickelt.
– Sehen Sie, sagte er zu mir, da ist für Sie, den Geschichtsschreiber, noch etwas weit Merkwürdigeres, als die Karte der Zärtlichkeit. Es ist eine Sammlung von Reliquien, nicht von Heiligen, sondern von Königen.
In der That, jedes Papier enthielt einen Knochen, Haare des Kopfes oder des Bartes. – Es befand sich darunter eine Kniescheibe Karls des IX, der Daumen Franz des I., ein Stück von dem Schädel Ludwigs des XIV., eine Rippe Heinrichs des II, ein Wirbelbein Ludwigs des XV, Haare aus dem Barte Heinrich des IV, und Haare von dem Kopfe Ludwig des XIII. Jeder König hatte seinen Beitrag geliefert, und aus allen diesen Knochen hätte man bis auf weniges ein Skelet zusammensetzen können, das auf eine vollkommene Weise das der Französischen Monarchie vorgestellt hätte, welcher seit langer Zeit die Hauptgebeine fehlen.
Außerdem befand sich darunter ein Zahn Abeillard und ein Zahn Heloisens, zwei weiße Schneidezähne, welche sich vielleicht zu den Zeilen, wo sie mit ihren beben den Lippen bedeckt waren, in einem Kusse begegneten.
Woher rührte dieses Beinhaus?
Herr Ledru hatte die Ausgrabungen der Könige in Saint Denis geleitet, und aus jedem Grabe das genommen, was ihm beliebt hatte.
Herr Ledru ließ mir einige Augenblicke, um meine Neugierde zu befriedigen; als er hierauf sah, daß ich so ziemlich alle seine Überschriften die Musterung hatte passiren lassen, sagte er zu mir:
– Nun denn, wir haben uns genug mit den Todten beschäftigt, lassen Sie uns ein wenig zu den Lebendigen übergehen.
Und er führte mich an eines der Fenster, durch welches man, wie ich gesagt habe, die Aussicht auf den Garten hatte.
– Sie haben da einen herrlichen Garten, sagte ich zu ihm.
– Der Garten eines Pfarrers mit seiner Lindenallee, seiner Sammlung von Dahlias und Rosenstöcken, seinen Weinlauben und seinen Spaliren von Pfirsichen und Aprikosen. – Sie werden Alles das sehen; – aber lassen Sie uns für den Augenblick nicht mit dem Garten, sondern mit denen beschäftigen, welche darin spazieren gehen.
– Ah! Sagen Sie mir zuvörderst, wer dieser Herr Alliette, durch ein Anagramm Etteilla genannt, ist, welcher fragte, ob man sein wahres Alter oder nur das Alter wissen wollte, das er zu haben schiene; – es scheint mir, daß er ganz die fünf und siebenzig Jahre hat, welche Sie ihm gegeben haben.
– Ganz recht, antwortete mir Herr Ledru. – Ich fange mit ihm an. Haben Sie Hoffmann gelesen?
– Ja. . . warum?
– Nun denn! Er ist ein Mann Hoffmanns. Sein ganzes Lebenlang hat er die Karten und die Zahlen auf die Errathung der Zukunft anzuwenden gesucht; Alles was er besitzt, geht in dem Lottospiel verloren, in welchem er zuerst eine Terne gewonnen hatte, und worin er seitdem Nichts mehr gewonnen hat. Er hat Cagliostro und den Grafen von Saint-Germain gekannt: er behauptet zu ihrer Familie zu gehören, mit ihnen das Geheimniß und das Elixir eines langen Lebens gekannt zu haben. Wenn Sie ihn um sein wirkliches Alter fragen, so ist er zwei Hundert fünf und sechzig Jahre alt; er hat zuerst Hundert Jahre ohne Gebrechlichkeiten von der Regierung Heinrich II. bis zu der Regierung Ludwig XIV. gelebt; dann hatte er Dank seinem Geheimnisse, indem er immerhin in den Augen der gewöhnlichen Menschen starb, drei andere Veränderungen, jede von fünfzig Jahren vollzogen. In diesem Augenblicke beginnt er die vierte wieder, und ist dem zu Folge nur fünf und zwanzig Jahre alt. Die zwei Hundert und fünfzig ersten Jahre zählen nur noch als Erinnerung. Er wird auf diese Weise, und er sagt es ganz laut, bis zu dem jüngsten Gerichte leben. Im fünfzehnten Jahrhunderte hätte man Alliette verbrannt, und man hätte Unrecht gehabt; heut zu Tage begnügt man sich ihn zu bedauern, und man hat wieder Unrecht. Alliette ist der glücklichste Mensch auf der Erde; er spricht nur von Karten, Zaubereien, ägyptischen Wissenschaften des Thot, Geheimnissen der Isis. Er gibt über diese Gegenstände kleine Bücher heraus, welche Niemand liest, und die indessen ein Buchhändler, der eben so närrisch ist als er, unter dem Pseudonym, der vielmehr unter dem Anagramm Etteilla herausgibt; er hat immer seinen Hut voller Broschüren. Da, sehen Sie, er hält ihn unter seinem Arme, so sehr fürchtet er sich, daß man ihm seine kostbaren Bücher nehmen mögte. Betrachten Sie den Mann, betrachten Sie das Gesicht, betrachten Sie den Anzug, und sehen Sie, wie die Natur immer übereinstimmend ist, und wie genau der Hut zu dem Kopfe, der Mann zu dem Anzuge, das Wamms zu der Form paßt, wie Sie Romantiker sagen.
In der That, Nichts war wahrer. Ich musterte Alliette, er war in einen schmierigen, staubigen, abgeschabten Rock voller Flecken gekleidet; sein Hut mit wie lakirteß Leder glänzenden Rändern wurde oben übermäßig weit; er trug ein kurzes Beinkleid von schwarzem Kasimir, schwarze oder vielmehr fuchsige Strümpfe, und abgerundete Schuhe gleich denen der Könige, unter welchen er geboren zu sein behauptete.
Was den Körper anbelangt, so war er ein dicker kleiner Mann, untersetzt, das Gesicht einer Sphinx, verzerrt, breiter zahnloser Mund, der durch eine tiefe Furche angedeutet war, mit dünnen, langen und gelben Haaren, welche wie ein Heiligenschein um seinen Kopf herumflatterten.
– Er unterhält sich mit dem Abbé Moulle, sagte ich zu Herrn Ledru, der, welcher uns bei unserer Untersuchung von heute Morgen begleitete, eine Untersuchung, auf welche wir zurückkommen werden.
– Und warum sollten wir wieder darauf zurückkommen? fragte mich Herr Ledru, indem er mich neugierig anblickte.
– Weil, entschuldigen Sie mich, aber Sie haben an die Möglichkeit zu glauben geschienen, daß dieser Kopf gesprochen hätte.
– Sie sind Physiognom. Nun denn! es ist wahr, ich glaube daran; ja, wir werden von alledem wieder sprechen, und wenn Sie neugierig auf Geschichten der Art sind, so finden Sie hier Jemand, mit dem Sie darüber sprechen können. Aber gehen wir auf den Abbé Moulle über.
– Er muß im Umgange ein angenehmer Mann sein, unterbrach ich ihn; das Sanfte seiner Stimme, als er auf die Fragen des Polizeicommissärs antwortete, hat mich überrascht.
– Nun denn! Sie haben dieses Mal wieder richtig gerathen. Moulle ist seit vierzig Jahren mein Freund, und er ist sechszig alt; wie Sie sehen, ist er eben so sauber und sorgfältig gekleidet, als Alliette verschabt, schmierig und schmutzig ist; er ist im höchsten Grade ein Mann von Welt, und in der Gesellschaft des Faubourg Saint Germain sehr gern gesehen; er ist es, der die Söhne und die Töchter der Pairs von Frankreich verheirathet; diese Verheiratungen sind für ihn die Veranlassung kleine Reden zu halten, welche die sich Verheirathenden drucken lassen und sorgfältig in der Familie aufbewahren. – Er wäre beinahe Bischof von Clermont geworden. – Wissen Sie, worum er es nicht geworden ist? weil er ehedem ein Freund Cazotte gewesen ist, kurz weil er, wie Cazotte an das Bestehen höherer und niederer Geister, guter und böser Genien glaubt; wie Alliette, sammelt er Bücher. – Sie werden bei ihm Alles finden, was über Gesichter und Erscheinungen, über Gespenster und Geister geschrieben ist, – obgleich er, ausgenommen unter Freunden, schwer über alle diese Dinge spricht, die nicht durchaus orthodox sind. – Kurz, er ist ein überzeugter, aber vorsichtiger Mann, der Alles das, was sich Außergewöhnliches auf dieser Welt zuträgt, der Macht der Hölle oder der Vermittelung himmlischer Geister zuschreibt. – Wie Sie sehen, hört er schweigend das an, was Alliette ihm sagt, – scheint irgend einen Gegenstand zu betrachten, den sein Begleiter nicht sieht, und dem er von Zeit zu Zeit durch eine Bewegung der Lippen oder ein Nicken des Kopfes antwortet. Zuweilen verfällt er mitten in unserer Gesellschaft plötzlich in eine finstere Träumerei, – schaudert, zittert, wendet den Kopf um und geht in dem Salon auf und ab. In diesem Falle muß man ihn gehen lassen; es wäre vielleicht gefährlich ihn zu wecken, – ich sage zu wecken, denn ich glaube, daß er dann in dem Zustande des Somnambulismus ist. Außerdem erwacht er von selbst, und, wie Sie sehen werden, hat er in diesem Falle ein liebenswürdiges Erwachen.
– O!