Stimme so schrill wie eine Feile, die über Eisen fährt. Signora Zoseppa fürchtete diese Frau, Gavina verachtete und floh sie.
Nachdem der Rosenkranz gebetet war, hatte Paska noch die Küche in Ordnung zu bringen; Signora Zoseppa, müde von dem arbeitreichen Tage, nahm eine Öllampe und ging in ihr Zimmer; als sie an ihrem Sohne vorbeischritt, legte sie ihm die Hand auf den Kopf und sagte: »Geh’ zu Bett, Luca, du mußt müde sein . . .«
»Gleich, gleich«, erwiderte er, rührte sich aber nicht.
Auch Gavina ging in ihr Zimmer hinauf, aus dessen weit offenstehenden Fenstern man die Mondlandschaft sah und die kleine graue Stadt unter dem dunkelblauen Nachthimmel. Die bei Tage so einsame Straße erklang jetzt von schwatzenden und lachenden Stimmen. Die Kinder spielten im Mondlicht wie die Häslein auf den Waldpfaden; die Erwachsenen standen in Gruppen beisammen, um die Abendkühle zu genießen und zu plaudern.
Von Zia Itrias Höfchen, die »Piazzetta« genannt, drang lautes Gelächter herüber und die Stimmen von Männern, die einander zum Scherz ausschimpften. Statt zu Bett zu gehen, trat Luca auf die Straße hinaus, hörte einen Augenblick den bösen Reden der Witwe zu und ging dann ebenfalls zu Zia Itria.
Witwe Lambedda klatschte unterdes weiter: über den Kanonikus Felix, über seine Mägde, seinen Neffen: »Und das sind brave Leute? Umkommen sollen sie alle binnen acht Tagen! Die alte Magd, sagen die Leute . . .«
»Schweigt, Ihr Klatschmaul!« rief der Kanonikus Sulis von seinem Balkon herunter, wo auch er, in Hemdärmeln, der Kühle genoß.
»Ach, hört doch nur den da! Darf man in seiner Gegenwart nicht die Wahrheit reden?«
»Ihr lügt nur, und darum: Still!«
»Na, lassen wir die Magd und reden lieber von dem Neffen,« beharrte die böse Klatschbase. »Werden Sie vielleicht in Abrede stellen, daß er ein Taugenichts ist? Voriges Jahr ist er von Hause durchgebrannt – dies Jahr wird er aus dem Seminar durchbrennen. Ja, macht ihn nur zum Priester, dann wird er . . .«
»Was verlangt Ihr von einem Jungen?« fragte gutmütig Signor Sulis, der sich nach dem Abendbrot wieder vor seine Haustüre gesetzt hatte.
»Ich würde ihn eher an die Mühle stellen, als zum Priester machen.«
»Nun, wenn alle Windbeutel Korn mahlen sollten, dann gute Nacht, Esel!« sagte der Alte und winkte einen Abschiedsgruß.
Die kreischende Stimme erscholl noch lauter: »Ach, wirklich? Und warum denn nicht? Sollen nur die Armen zu Boden geworfen und mit Füßen getreten werden, sobald sie einen Fehltritt tun? Ach, mein armes Lämmchen, mein guter Sohn, du warst arm, und darum haben sie dich ruiniert!«
Ihr Lämmchen saß im Gefängnis wegen Diebstahls, sie aber redete beständig von ihm wie von einem Kind, dem bitteres Anrecht geschehen war.
»Vor Gott sind wir alle gleich, und am Tage des Gerichts wird er uns durcheinanderschütteln wie Oliven in der Presse«, sagte Signor Sulis, und man wußte nicht, ob er im Scherz oder im Ernst sprach.
»Ich sage euch nur eins«, fuhr die Witwe fort, »nicht einmal vor Gott sind wir alle gleich! Warum hat er uns verschieden geschaffen? Den einen gut und den andern böse, den tugendhaft und den als Trunkenbold? . . . Wir möchten wohl alle gut sein, denn die Sünde ist verdammt!«
»Gott hat uns alle gut geschaffen, sage ich euch«, rief jetzt der Kanonikus. »Und der freie Wille? Hat Gott unserm lieben Pascaleddu geboten, hinzugehen und zu sündigen?«
Die Witwe fing an zu weinen und zu fluchen, und so ging es weiter, bis Signor Sulis sich zurückzog. Da ging Paska, um Luca von der »Piazzetta« zu holen. Er saß neben Zia Stria und schwieg, schien aber viel Gefallen an dem lebhaften Geplauder der übrigen zu finden.
Auch Paska blieb stehen, wie von einem bösen Zauber angelockt. Und wirklich war das Bild, das sich ihr bot, der Betrachtung wert. Der Mond schaute bereits über die Mauer neben Zia Itrias Häuschen und beleuchtete den halben Hof, in dem zehn oder zwölf junge Leute um die Alte versammelt waren, recht sonderbare Gestalten, aber alle lustig und redselig. Drei von ihnen waren Schustergesellen, darunter ein Zwerg, so klein wie ein sechsjähriger Knabe, aber mit einem schlauen und spöttischen Mannsgesicht; ferner ein ehemaliger Klosterbruder, blaß und rothaarig, und ein sehr langer Alter mit einem ganz kleinen Kopf, der dem eines Hasen glich. Sie machten beständig gemeinsame Reisepläne zu dem Zweck, den Zwerg in »den großen Städten« als Naturwunder zur Schau zu stellen, und spotteten schon jetzt über die Leute, die herbeiströmen würden, um ihn zu sehen. Der merkwürdigste Kauz des Kreises aber war ein alter Bauer mit einem dunkeln, beinahe schwarzen Gesicht, das von langen weißen Haaren und einem schneeweißen Vollbart umrahmt war; er hatte in seiner Jugend fünfzehn Jahre im Gefängnis zugebracht, behauptete aber hartnäckig, während jener langen Abwesenheit von der Heimat sei er Soldat gewesen, habe unter Victor Emanuel und Garibaldi gedient. Seine kriegerischen Erlebnisse erzählte er in so witziger und zugleich überzeugender Weise, daß ihn alle wie einen alten Helden bewunderten.
»Luca, komm mit, sonst schließe ich dir die Türe zu!« sagte Paska nach kurzem Zögern.
»Du? Ach, wirklich?« erwiderte Luca in dem spöttischen Ton der andern, die bereits über die Magd lachten.
»Luca, so redet man nicht zu seiner Amme!« ermahnten sie.
»Schläft das Würmchen noch immer bei dir. Alte?«
»Itria Sulis«, sagte Paska streng, »sag’ deinem Neffen, daß sein Vater mir befohlen hat, die Türe zu schließen.«
»Gut, also geh’, Luca! Ich will keine Geschichten haben«, sagte Zia Itria.
Aber Luca rührte sich nicht. Paska ging, und von ihrem Fenster aus hörte Gavina die jungen Leute hinter der Magd her spotten. Der Zwerg schlug vor, sie dem Invaliden zur Frau zu geben, und Zia Itria trällerte sogleich ein Hochzeitlied, diesmal auf italienisch:
Un bel gobbo ed una gobba
All’ età di ottant’ anni,
Storpi e pieni di malanni,
Si giuraron’ fedeltà . . . fedeltà . . . fedeltà . . .2
Ärgerlich schloß Gavina das Fenster nach der Straße und ging an das nach dem Garten. Dort wenigstens war alles zauberisch schön und rein. Der Mond bestrahlte die Berge so hell, daß ihre fernsten Linien wie silberumränderte blaue Wolken erschienen. Dunkel und reglos hob sich von dem lichten Landschaftsbilde die Steineiche ab, in der die Grillen zirpten; und selbst die Kohlköpfe sahen jetzt aus wie fremdartige, silbergestickte Blumen. Von der tropischen Vegetation beim Laubengang stieg starker Wohlgeruch auf: der bittersüße Duft der Oleanderblüten rief in Gavina den Gedanken an die Jäger wach, die nun wohl zwischen Felsen und Buschwerk auf der Lauer standen.
Und wie der Tau herabsank, sich auf die durstenden Zweige und Pflanzen legte und sie mit funkelnden Edelsteinen schmückte, so senkte sich Träumerei über ihre kleine Seele.
Wieder kam Priamo ihr in den Sinn, und sie träumte von einem Wunderland, einer vom Monde erhellten Felseneinsamkeit, wo sie mit ihm sein, mit ihm leben könnte. War er arm und böse, so war sie ja reich und würde ihn durch ihre Liebe zu einem guten Menschen machen . . . Und für einen Augenblick strahlte alles um sie her – dann aber ward es wieder völlig finster: glaubte sie doch zu sündigen, wenn sie an einen Mann dachte . . . Der ihr innewohnende Hang zum Mystischen überwältigte sie: sie kniete vor dem Fenster nieder, richtete den verzückten Blick nach oben und murmelte Gebete, die eigentlich Gotteslästerungen waren. Sie bat den Herrn, ihr Leid zu schicken und sie zu strafen in dem, was ihr auf Erden am teuersten sei, wenn die Sünde je Macht über sie gewänne.
Und während sie betete, drückte sie sich die Nägel in die Handflächen und schlug den Kopf gegen die Fensterbrüstung . . .
Draußen stieg der große, stille Mond höher und höher am reinen blauen Himmel auf, als ob ihn darnach verlange, sich möglichst weit von dieser Erde zu entfernen, auf der er soviel Elend und Not, soviel Wahn und Irrtum gewahrte.
II
Die