Schrei, den Troke gehört hatte, breitete er die Arme aus, um sich an dem Ungethüm festzuhalten, das ihn sonst in den Tod stoßen würde.
Der Stamm ging ganz über ihm fort, ihn tief in das Wasser hinab drückend, aber seine Hand, an dem Holz entlang fahrend, griff in das Ende Tau, das noch an dem Stamme befestigt hing und er hielt sich mit Todesangst daran fest. Im nächsten Augenblick war sein Kopf wieder über dem Wasser und es gelang ihm, mit ungeheurer Anstrengung sich auf den Stamm zu schwingen. Einen Moment sah er in der Entfernung die hellen Fenster der Stern Kajüte in dem Schiff das vor Anker lag, dann verschwand der Grummet Felsen zu seiner Linken und erschöpft und athemlos schloß er die Augen. Der treibende Stamm führte ihn schnell und still in die tiefe Finsterniß hinaus.
Bei Tagesanbruch am nächsten Morgen, als Troke an dem Felsen des Gefangenen landete, fand er denselben verlassen. Die Mütze des Gefangenen lag am Strande der Klippe, aber der Gefangene selbst war verschwunden. Nach der Ladybird zurück rudernd, dachte der kluge Troke darüber nach, wie er dem Kapitain Vickers diese Nachricht überbringen sollte. Er erwähnte des sonderbaren Schrei’s, den er am Abend vorher gehört und sagte:
»Ich glaube, Sir, daß er sich durch Schwimmen hat retten wollen, aber er muß untergegangen sein, denn er hätte nicht fünf Ellen weit mit den Eisen schwimmen können.«
Vickers der sehr beschäftigt war, um auszulaufen, nahm diese anscheinend sehr natürliche Erklärung der Sache ohne Weiteres an. Der Gefangene hatte den Tod, entweder durch einen Unfall oder durch eigene Schuld gefunden. Es war entweder Selbstmord oder Fluchtversuch und das frühere Betragen des Rufus Dawes rechtfertigte die letztere Vermuthung durchaus. In jedem Falle war er todt. Wie Troke ganz richtig meinte, konnte Niemand mit den Ketten belastet, durch die Bai schwimmen und als die Ladybird eine Stunde später am Grummet Felsen vorüber kam, glaubten Alle an Bord, daß der Körper eines letzten Bewohners tief unter den Wellen läge, die seinen Fuß bespülten.
Siebentes Kapitel.
Das letzte von Macquarie Harbour
Rufus Dawes wurde von denen, die auf der Ladybird ausgingen, für todt gehalten; sein wunderbares Entkommen war denen die noch auf Sara-Island zurückgeblieben waren, ebenso unbekannt geblieben. Wenn Maurice Frere überhaupt au den Gefangenen auf dem Felsen dachte, so glaubte er, ihn längst mit der Ladybird auf dem Wege nach Hobart-Town. Die achtzehn Personen an Bord des Osprey wußten nichts davon, daß das abgesandte Boot ohne den Gefangenen zurückgekehrt sei. Auch hatten Alle keine Zeit, über dergleichen nachzudenken. Mr. Frere, dem es sehr darum zu thun war, seine Geschicklichkeit und seine Thatkraft zu zeigen, hielt seine zehn Leute so streng an der Arbeit, daß eine Woche schon nach dem Abgange der Ladybird der Osprey bereit war, in See zu stechen. Mrs. Vickers und ihr Kind hatten fast mit Bedauern die Zerstörung der alten Heimath mit angesehen. Sie hatten sich in der kleinen Kajüte der Brigg eingerichtet und am Abend des elften Januar theilte Mr. Bates, der Lootse, welcher als Kapitain handelte, der Mannschaft mit, daß Leutnant Frere Befehl gegeben, den nächsten Morgen den Anker zu lichten.
Bei Tagesanbruch wurden die Anker gelichtet und mit einer leichten Brise von Südwesten ging sie hinaus und ankerte um drei Uhr Nachmittags sicher außerhalb des Höllenthors. Unglücklicher Weise schlug der Wind nach Nordwesten um, so daß aus der Rhede die See sehr hoch stand. Der vorsichtige Mr. Bates, in Rücksicht auf Mrs. Vickers und das Kind ging zehn Meilen in die Wellington Bai zurück und ankerte dort um sieben Uhr Abends. Die Flut war sehr bedeutend und das Schiff rollte stark. Mrs. Vickers blieb in der Kajüte und schickte Sylvia zu Frere, um denselben zu unterhalten. Sylvia ging, aber unterhielt ihn nicht. Sylvia hatte eine ganz besondere Antipathie gegen Frere gefaßt, wie Kinder sie so oft ohne Grund hegen und seit jener Entschuldigung war sie kaum mehr höflich gegen ihn. Vergebens verwöhnte er sie und schmeichelte ihr; er konnte sie nicht dazu bringen, ihn gern zu haben. »Ich kann Sie nicht leiden, Herr,« sagte sie in ihrer steifen Art, »aber das kann Ihnen ja ganz gleich sein. Sie beschäftigen sich mit Ihren Gefangenen und ich amüsiere mich ohne Sie.«
»Ganz recht« sagte Frere, »ich will mich nicht aufdrängen.« Aber er fühlte sich doch etwas beleidigt. An diesem Abend war nun die junge Dame etwas herablassender. Ihr Vater war fort und ihre Mutter krank, so fühlte sie sich etwas einsam und folgte ihrer Mutter Gebot und ging zu Frere. Er ging rauchend auf dem Deck spazieren,
»Mr. Frere, Mama schickt mich, damit ich mit Ihnen sprechen soll.«
»So? Nun denn sangen Sie an.«
»O nein, es ist des Herren Aufgabe, zu unterhalten. Thun Sie das.«
»Dann kommen Sie und setzen sich zu mir,« sagte Frere, der in guter Laune war, weil er Alles in Ordnung hatte. »Wovon wollen wir sprechen?«
»Sie dummer Mensch! Als ob ich das wüßte. Sie müssen sprechen. Erzählen Sie mir ein Mährchen.«
»Jack und die Bohnenstange,« sagte Frere.
»Jack und seine Großmutter! Unsinn! Erfinden Sie eine Geschichte aus Ihrem Kopf.«
Frere gähnte.
»Das kann ich nicht,« sagte er. »Das that ich nie in meinem Leben.«
»Dann können Sie ja anfangen. Sonst gehe ich fort.« – Frere rieb sich die Stirn. »Gut, haben Sie Robinson Crusoe gelesen?« – Als ob dies ein ganz neuer Gedanke wäre.«
»Natürlich habe ich es gelesen,« sagte Sylvia ärgerlich. »Gelesen? Jeder Mensch hat Robinson Crusoe gelesen.«
»So haben Sie? Daß wußte ich nicht, Nun lassen Sie uns sehen.« Und stark an seiner Pfeife ziehend, versenkte er sich in literarische Erinnerungen. Sylvia saß maulend neben ihm und wartete auf den guten Gedanken, der niemals kam. »Was für ein dummer, dummer Mensch Sie sind! Ich werde froh sein, wenn ich wieder bei Papa bin. Er weiß so viele Geschichten, beinahe so viele wie der alte Danny.«
»Also Danny weiß welche?« »Danny!« Das sagte sie mit solchem Erstaunen, als wenn man sagen würde »Walter Scott?« »Natürlich weiß er Geschichten. Ich glaube wirklich,« und damit sah sie ihn mit sehr überlegener Miene an, »Sie haben niemals von der Geschichte der irischen Banshee gehört?«
»Nein niemals.«
»Auch nicht von dem weißen Pferde von Peppers?«
»Nein.«
»Auch nicht von dem Wechselbalg?«
»Nein.«
Sylvia stand von dem Kajütenfenster auf, worauf sie gesessen und blickte das rauchende Geschöpf neben sich mit tiefer Verachtung an. »Mr. Frere, Sie sind wirklich furchtbar unwissend. Verzeihen Sie, wenn ich Ihre Gefühle verletze, aber für Ihr Alter sind Sie wirklich entsetzlich unwissend.«
Maurice Frere wurde etwas ärgerlich-: »Sie sind sehr impertinent, Sylvia.«
»Miß Vickers ist mein Name, Leutnant Frere. Ich werde jetzt mit Mr. Bates sprechen.«
Diese Drohung machte sie sogleich wahr und Mr. Bates, der das gefährliche Amt eines Lootsen lange Zeit verwaltet hatte, erzählte ihr von Tauchern, von Korallenriffen und, von etwas apokryphen Abenteuern in dem chinesischen Meere.
Frere rauchte weiter, halb ärgerlich auf die kleine Fee, die ihn hartnäckig angriff. Er gestand sich, daß dies kleine, elfenhafte Geschöpf einen Zauber auf ihn ausübte, den er sich kaum zu erklären wußte. Indeß sah er sie an diesem Abend ] nicht wieder und beim Frühstück am nächsten Morgen empfing sie ihn mit einigem Hochmuth.
»Wann werden wir fertig sein zum Absegeln? – Mr. Frere, bitte um etwas Marmelade.«
»Ich weiß nicht, Fräulein,« sagte Bates. »Es weht noch? sehr stark draußen. Ich und Mr. Frere haben heute Morgen ausgeschaut und finden es noch nicht sicher.«
»Nun,« sagte Sylvia, »ich hoffe, wir werden nicht scheitern und dann gezwungen sein, Meilen weit zu schwimmen, um unser Leben zu retten.«
»Ha, ha,« lachte Frere, »haben Sie nur keine Angst, ich will für Sie sorgen.«
»Können Sie schwimmen, Mr. Bates,« fragte Sylvia.
»Ja, Miß, ich kann schwimmen.«
»Gut,