haben zu danken«, erwiderte sie. »Dass du in einer solchen Situation hierherkommst, um uns zu helfen – damit haben wir nicht gerechnet.«
Er hielt ihren Blick fest. »Ich bin kein Heiliger«, erwiderte er mit leisem Lächeln, »ich bin auch deshalb hier, weil ich gern herkomme, Elsbeth, und ich denke, dass du das auch weißt.«
Sie erwiderte sein Lächeln, als sie nickte.
Er stand auf, beugte sich zu ihr hinunter, um sie auf die Wange zu küssen, dann ging er.
Elsbeth schenkte sich eine weitere Tasse Kaffee ein und blieb noch eine Weile sitzen. Äußerlich wirkte sie ganz ruhig, aber ihr Inneres war in Aufruhr. Sie hatte sich immer für eine Frau gehalten, die so schnell durch nichts aus der Fassung zu bringen war, doch dieser Mann schaffte es, dass sie sich wie fünfzehn fühlte: Ihre Kehle war trocken, das Herz raste, und sie hatte die berühmten Schmetterlinge im Bauch.
Sie schüttelte den Kopf über sich, aber sie lächelte dabei. Und dann stand sie auf, um sich endlich wieder an die Arbeit zu machen.
*
Franziska war sehr erstaunt, als sie nach Unterrichtsschluss Lucius vor der Schule stehen und auf sie warten sah. »Den ganzen Morgen musste ich an euch denken«, gestand sie. »Und letzte Nacht konnte ich nicht schlafen. Es tut mir so leid, dass das passiert ist, Lucius.«
»Niemand hat geschlafen«, erklärte er. »Ich muss mit dir reden, Franzi. Lass uns da vorn eine Kleinigkeit essen, ja? Ich lade dich ein, Elsbeth weiß Bescheid.«
Sie folgte ihm verwundert in das Lokal, das er ansteuerte. Nachdem sie bestellt hatten, sagte er: »Mein Onkel ist fest davon überzeugt, dass jemand ihn durch diese Tat gestern daran hindern will, dein Haus zu sanieren.«
»Wie bitte?«, fragte Franziska. »Was habt ihr denn bloß alle für Ideen auf einmal? Elsbeth hat das gestern auch schon gesagt!«
»Er ist außerdem überzeugt davon, dass mit dem Testament, das dein Vater angeblich gemacht hat, etwas nicht stimmt.«
»Das würde bedeuten, dass jemand es gefälscht hat. Auch diese Idee ist Elsbeth schon gekommen, aber ich kann das nicht glauben, Lucius.«
»Du solltest das nicht vorschnell von dir weisen«, entgegnete er. »Deine Stiefmutter und dein Halbbruder haben alles geerbt, nur das Haus nicht, von dem dein Vater wusste, dass es saniert werden muss. Ist dir wirklich noch nie in den Sinn gekommen, dass das merkwürdig ist?«
Sie wiederholte, was sie am Abend zuvor auch schon zu Elsbeth gesagt hatte und setzte hinzu: »Selbst wenn jemand mich betrogen hätte, Lucius: Ich könnte es niemals beweisen. Ein anderes Testament gab es nicht, also, was soll’s? Außerdem traue ich weder Alexis noch Nora eine solche Tat zu. Lass uns nicht mehr darüber reden.«
Er griff nach ihrer Hand. »Ich bekomme am Wochenende Besuch aus Sternberg«, sagte er.
»Aus Sternberg?«, fragte sie verwundert.
»Anna und Chris besuchen mich am Wochenende. Ich sollte es dir eigentlich nicht erzählen, aber …« Er brach ab und setzte neu an: »Du weißt, dass sie immer ganz begeistert sind, wenn sie einem Geheimnis hinterherjagen können – hättest du etwas dagegen, wenn ich mit ihnen über die Theorie spräche, dass bei dem Testament deines Vaters etwas nicht stimmen kann?«
Sie sah erschrocken aus. »Aber wenn Alexis oder Nora das erfahren, Lucius …«
Er drückte ihre Hand, die er noch immer hielt. »Das werden sie nicht«, versicherte er. »Mir ist doch klar, dass es nur Vermutungen sind, nicht mehr. Aber ich wüsste gern, was ihnen dazu einfällt, sie sind ja beide sehr aufgeweckt. Außerdem kommen sie natürlich auch deinetwegen.«
Sie nickte, biss sich unschlüssig auf die Lippen.
Er ließ sie in Ruhe nachdenken. Als sie schließlich sagte: »Von mir aus sprich mit ihnen. Sie gehören eindeutig zu den Leuten, denen ich vertraue.«
Langsam hob er ihre Hand und küsste sie, wobei er ihren Blick festhielt. »Schon als ich dich das erste Mal sah, Franzi, war ich wie verzaubert«, sagte er leise.
Sie befreite ihre Hand aus seiner und legte sie an seine Wange. »Ich auch, Lucius«, erwiderte sie. »Aber ich kann es noch immer nicht glauben.«
»Das solltest du aber!«, lächelte er.
»Was für eine merkwürdige Zeit«, murmelte sie. »Es passiert so vieles auf einmal.«
»Schönes und Schreckliches«, bestätigte er. »Aber wenn du mich fragst: Das Schöne überwiegt.«
Sie errötete unter seinem Blick und war beinahe froh, als der Kellner ihr Gespräch unterbrach: Er servierte das Essen.
*
Alexis schäumte vor Wut, als er erfuhr, dass sein Plan nicht aufgegangen war: Ulrich von Rethmann hatte sein Haus mit Brettern vernagelt und war auf das Gut gezogen. Diese Möglichkeit war ihm nicht einmal in den Sinn gekommen, zu abwegig war sie ihm erschienen. So hatte er nun im Grunde das Gegenteil dessen erreicht, was er hatte erreichen wollen, denn wenn Ulrich auf dem Gut wohnte, würde er die Arbeiten sicher noch schneller vorantreiben. Er hatte Franziska eigentlich mal wieder einen Besuch abstatten und hören wollen, ob sie sich das mit dem Verkauf des Guts in der Zwischenzeit überlegt hatte, aber natürlich wollte er dem Mann nicht begegnen, dessen Haus er hatte zerstören lassen.
Trotz dieses Rückschlags dachte er nicht daran, jetzt aufzugeben. Er wollte das Gut haben, und er würde es bekommen. Das Land war viel wertvoller, als seine Halbschwester vermutlich ahnte, und dieses Geschäft gedachte er ebenso zu machen wie jenes mit den preisgünstigen Pferden, die er teuer verkaufen wollte.
Er machte sich also auf den Weg zu Robert von Hoyningen, der ihm helfen sollte, Ulrich von Rethmann vom Gut seiner Schwester zu verscheuchen – doch er erlebte eine weitere unliebsame Überraschung: Die Kanzlei war »wegen Krankheit« bis auf Weiteres geschlossen. Es wurde auf eine andere Kanzlei verwiesen, die Herrn Dr. von Hoyningen in der Zwischenzeit vertrat.
Fluchend wählte Alexis die Privatnummer des Notars, erreichte jedoch lediglich einen Anrufbeantworter. Er machte sich nicht die Mühe, eine Nachricht zu hinterlassen, denn mittlerweile war ihm klar, dass Robert von Hoyningen abgetaucht war. Das war noch bedeutend schlimmer als die Tatsache, dass Graf Rethmann jetzt auf Franziskas Gut wohnte. Wenn der Notar den Mund nicht hielt …
Er rief sich selbst zur Ordnung. Wenn er redete, stand Aussage gegen Aussage. Das gültige Testament hatten sie gemeinschaftlich vernichtet, es gab keine Abschrift davon und somit keine Spur. Außerdem musste Robert von Hoyningen sich selbst schwer belasten, wenn er ihn, Alexis, anklagen wollte – und ob er das tun würde, bezweifelte Alexis.
Er zwang sich, ruhig zu atmen. Jetzt nur keine Panik, noch war ja nichts passiert. Und wenn alles schiefging, dann musste er das Land eben früher verlassen als geplant. Diese Vorstellung passte ihm zwar ganz und gar nicht, denn für seine Ansprüche reichte das Geld, das er bisher an sich gebracht hatte, noch längst nicht, aber bevor er ins Gefängnis ging …
Dumm war nur, dass er den Notar auch für den Verkauf der Pferde brauchte – er hatte die ersten Papiere wirklich astrein gefälscht. Allein würde ihm das nie im Leben so gelingen …
Missmutig fuhr er nach Hause. Er brauchte einen neuen Plan, und zwar dringend.
*
»Alexis zu Randershausen?«, fragte die Baronin entgeistert. Sie saß mit ihrem Mann beim Tee – alle Kinder waren ausgeflogen. Konrad war mit einem Freund unterwegs, Anna und Christian wurden vom Chauffeur zu Lucius gebracht.
»Ich finde keine andere Erklärung, Sofia«, erwiderte der Baron. »Ich hatte dir doch erzählt, dass er so viele Fragen gestellt hat, die Papiere der Pferde betreffend, und wie man sich absichert, dass alles seine Richtigkeit hat mit den Stammbäumen und so.«
»Ja, aber das kann aufrichtiges Interesse gewesen sein, Fritz«, gab die Baronin zu bedenken. »Du kannst daraus doch nicht schließen, dass er ein Betrüger ist.«
»Ich