sich das Gespräch bald wieder anderen Themen zu.
Eine halbe Stunde später stellte Ulrich fest: »Übrigens ist dieses das beste Essen, das ich seit langem zu mir genommen habe. Eine so gute Hummersuppe habe ich noch nie gegessen, und dieser Rehrücken zergeht ja buchstäblich auf der Zunge.«
Eberhard Hagedorn, der sich im Hintergrund hielt, aber dabei stets den Tisch im Auge hatte, um bei Bedarf zur Stelle zu sein, freute sich. Dieses Kompliment würde er umgehend an Marie-Luise Falkner weiterleiten.
Sie hatte sich offenbar, wie von ihm vorausgesehen, wieder einmal selbst übertroffen.
*
Lorenz stand am Montagmorgen früh auf und joggte eine Dreiviertelstunde. Er hatte eine kleine Wohnung gemietet bei einem Bauern – hier war er erst einmal in Sicherheit. Wenn er freilich arbeiten wollte, musste er sich ein elektronisches Klavier ausleihen, aber das hatte Zeit. Die eine Woche, in der er auf Hochzeitsreise gewesen wäre, wollte er sich frei nehmen – danach würde er weiter an seinem Musical arbeiten. Lorenz hatte schon als Junge komponiert, früh war klar gewesen, dass Komponist sein Traumberuf war.
Sein erstes Musical hatte immerhin einen Achtungserfolg errungen, aber er war davon überzeugt, dass das, an dem er zurzeit arbeitete, ihm den Durchbruch bringen würde. Albert allerdings würde ihm fehlen bei der Arbeit. Albert war Musiklehrer geworden, nachdem er hatte feststellen müssen, dass sein Talent zu einer großen Karriere als Pianist nicht reichte. Er hatte eine Zeitlang schwer an dieser Erkenntnis getragen, sich dann jedoch damit arrangiert. Mittlerweile war er glücklich als Lehrer – sein Engagement für die Musik kam nicht nur bei den Schülern gut an, sondern auch bei Eltern und Kollegen. Er hatte eine Schulband und ein
Schulorchester gegründet, und er hatte Lorenz’ erstes Musical mit seinen Schülern auf die Bühne gebracht. Es war eine umjubelte Aufführung geworden, insgesamt hatten sie das Musical zwanzig Mal gespielt.
Als er in die kleine Wohnung zurückkehrte, die in einem Anbau des Bauernhauses untergebracht war, fühlte er sich besser. Er duschte ausgiebig, dann zog er sich an und fuhr nach Lüchow, um dort zu frühstücken und einzukaufen, damit er sich in den nächsten Tagen selbst verpflegen konnte.
Als ihm die Schlagzeile: »Baron sagt ›nein‹ und lässt seine Braut vor dem Altar stehen« in die Augen stach, kaufte er die Zeitung wider besseres Wissen. Er las den Artikel sofort, stellte aber erleichtert fest, dass Lara sich niemandem gegenüber geäußert hatte. Auch ihre Eltern hatten jegliche Auskunft verweigert – seine eigenen schwiegen natürlich sowieso.
Er fragte sich, ob seine Mutter mittlerweile Bescheid wusste. Gern hätte er sie befragt, aber es gehörte zu seinen Vereinbarungen mit Michael von Angern, dass er für ein Vierteljahr vollständig von der Bildfläche verschwand. Daran gedachte er sich zu halten. Der Anruf bei seinem Vater war freilich schon ein Verstoß dagegen gewesen, doch davon würde Herr von Angern nichts erfahren.
Lara allerdings … Er ging mit gesenktem Kopf weiter zum Supermarkt, wo er einkaufen wollte. Nur einmal ihre Stimme hören, nur einmal! Er biss sich auf die Lippen und zwang seinen Gedanken eine andere Richtung auf. Ließ er sich gehen, würde er verrückt werden, und damit war niemandem gedient. Entschlossen griff er nach einem der Einkaufswagen und schob ihn durch die Gänge. Nach und nach füllte er sich, und Lorenz bemerkte dankbar, dass die Beschäftigung mit den einfachen Dingen des täglichen Lebens eine außerordentlich beruhigende Wirkung ausüben konnte. Als er den Supermarkt wieder verließ, war es ihm gelungen, seine unbändige Sehnsucht nach Lara zu verdrängen.
Aber nicht für lange, dann würde sie mit unverminderter Wucht wiederkehren, das war ihm auch bewusst.
*
Laras Tag im Büro war erträglich gewesen. Die Kolleginnen und Kollegen hatten sie in Ruhe gelassen und auch vor unerwünschten Anrufen bewahrt, sie hatte einigermaßen konzentriert arbeiten können. Es war die richtige Entscheidung gewesen, das wusste sie jetzt, auch wenn ihre Eltern und etliche ihrer Freunde anderer Ansicht waren. Aber sie hatte nicht die Absicht, sich beirren zu lassen.
Lucie war in ihre Wohnung gefahren, um ein paar Sachen zu holen – sie hatte sich entschlossen, noch ein paar Tage bei Lara zu wohnen. Darüber war Lara froh.
Als sie ihr Auto erreichte, stellte sie fest, dass jemand daneben stand und sie offenbar erwartete. Ein blonder Mann mit breitem Oberkörper, der ihr lächelnd entgegensah. Sein Gesicht kam ihr vage bekannt vor, aber sie konnte ihn dennoch nicht einordnen. Sie fühlte Unwillen in sich aufsteigen. Wahrscheinlich ein Journalist, der ihr aufgelauert hatte und ihr jetzt seine aufdringlichen Fragen stellen wollte.
Sie wollte ihn gerade mit einer unfreundlichen Bemerkung abwimmeln, als er ihr zuvorkam: »Mir ist ein Missgeschick passiert«, sagte er höflich und wies auf einen Kratzer an ihrem Wagen. »Ist beim Einparken passiert, tut mir wirklich leid. Ich warte schon eine ganze Weile hier – jetzt bin ich froh, dass Sie gekommen sind, so dass ich mich persönlich entschuldigen kann. Ich hoffe, Sie verzeihen mir.«
Etwas an ihm warnte sie. Er sah freundlich aus, er lächelte, er drückte sich korrekt aus – aber ihr gefielen seine Augen nicht. Dennoch erwiderte sie sein Lächeln, bevor sie sich den Kratzer genauer besah. »Sieht nicht katastrophal aus«, bemerkte sie und sah sich um. »Wo ist denn Ihr Wagen?«
»Ein Freund brauchte ihn dringend und ist schon damit weggefahren«, erklärte der Mann. »Darf ich mich vorstellen? Ich bin Michael von Angern.«
Sie verbarg ihre Überraschung. Natürlich, jetzt wusste sie auch, warum er ihr bekannt vorgekommen war. Zugleich schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, welch merkwürdiger Zufall wohl dafür gesorgt hatte, dass dieser Mann offenbar am Tag ihrer geplanten Hochzeit in der Kirche gewesen war, obwohl weder sie noch Lorenz ihn kannten – und dass er jetzt ihren Wagen anfuhr.
»Lara von Kessel«, erwiderte sie ruhig.
»Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Frau von Kessel«, sagte er mit eigenartiger Betonung und fuhr, als sie daraufhin nichts erwiderte, fort: »Ich komme natürlich für den Schaden auf. Hier ist meine Karte. Noch lieber wäre es mir allerdings, Sie würden mir gestatten, den Wagen in einer Werkstatt meines Vertrauens wiederherstellen zu lassen.«
»Danke, das wird nicht nötig sein«, erklärte Lara. »Ich gehöre nicht zu den Menschen, denen ein Kratzer an ihrem Auto schlaflose Nächte bereitet, Herr von Angern. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden? Ich bin verabredet.«
Wenn sie geglaubt hatte, er werde sie daraufhin einsteigen lassen, so sah sie sich getäuscht. Er wich keinen Millimeter zur Seite. »Ich muss darauf bestehen, dass Sie mir wenigstens gestatten, Sie zum Essen einzuladen, Frau von Kessel«, sagte er. »Als Wiedergutmachung.«
Sie wollte seine Einladung umgehend ausschlagen, doch eine gewisse Neugier ließ sie zögern. Er führte etwas im Schilde, dessen war sie sicher – und sie hätte gern gewusst, was es war. Der Kratzer konnte ohne weiteres auch von einem Schlüssel herrühren, sie hatte Erfahrungen damit. Kinder bauten manchmal auf diese Weise ihre Aggressionen ab. Vielleicht hatte Michael von Angern ja einfach einen Vorwand gebraucht, um mit ihr ins Gespräch zu kommen? Das war möglich, wenn sie auch nicht die geringste Ahnung hatte, warum. Was konnte er denn nur von ihr wollen?
All diese Gedanken schossen ihr blitzschnell durch den Kopf, nicht sehr deutlich und völlig ungeordnet. Natürlich war ihm ihr Zögern nicht verborgen geblieben, und so setzte er jetzt hinzu: »Bitte, machen Sie mir die Freude. Sie wollen doch nicht, dass ich mit einem schlechten Gewissen herumlaufe, oder?«
Ehrlich gesagt, mir ist dein schlechtes Gewissen vollkommen gleichgültig, dachte sie, während sie ihm ein flüchtiges Lächeln schenkte und höflich erwiderte: »Ich kann mich im Augenblick nicht festlegen, Herr von Angern, da ich sehr viel zu tun habe. Aber ich werde Sie anrufen, sobald ich Zeit habe, das verspreche ich Ihnen.«
Er wollte etwas einwenden, sie sah es ihm an. Offenbar war er es nicht gewöhnt, dass seine Wünsche nicht umgehend erfüllt wurden, doch er bezähmte sich, was ihm sichtlich schwerfiel. »Gut«, sagte
er mit gezwungenem Lächeln, »wenn Sie versprechen, sich zu melden, werde ich auf ihren Anruf