bringen können, sich uns zuliebe zu verlieben, nicht wahr?«
Andreas Wolle lachte, sammelte seine Unterlagen wieder ein und verließ Ulrichs Büro, um seine Arbeit fortzusetzen.
*
Am dritten Tag seines Aufenthalts im Wendland wartete auf Lorenz eine Überraschung. Als er von einem seiner langen Spaziergänge zurückkehrte, traf er den Bauern Friedhelm Karl, der ihm die Wohnung vermietet hatte, auf dem Hof. An diesem Tag war Lorenz am Elb-ufer gewesen und hatte den Schiffen zugesehen, die in unregelmäßigen Abständen an ihm vorübergezogen waren. Es war, so weit man das in dieser Phase seines Lebens überhaupt sagen konnte, ein schöner Tag gewesen, der ihm zumindest vorübergehend innere Ruhe geschenkt hatte.
»Guten Abend, Herr Karl«, sagte er freundlich und wollte seinen Weg fortsetzen, doch der alte Bauer blieb stehen und sagte: »Trinken Sie ein Bier mit mir!«
Lorenz fand keinen Grund, diese Einladung auszuschlagen, und so erwiderte er: »Gern, vielen Dank.«
Kaum hatten sie in der Küche den ersten Schluck getrunken, als Friedhelm Karl sich bedächtig den Schaum von den Lippen wischte und feststellte: »Sie verstecken sich hier.«
Lorenz starrte ihn an. Er hatte sich in dieser verlassenen Gegend sicher gefühlt – und jetzt stellte sich heraus, dass das ein Irrtum gewesen war. Er würde die Wohnung wieder aufgeben, sich einen anderen Unterschlupf suchen müssen, wenn er nicht riskieren wollte, dass Reporter ihn fanden und ihm das Leben zur Hölle machten.
Friedhelm Karl hatte ihn beobachtet. »Sie können bleiben«, sagte er jetzt in seiner ruhigen, langsamen Art. »Hier sind Sie einigermaßen sicher, aber wenn Sie nach Lüchow fahren, sollten Sie sich eine Mütze aufsetzen und vielleicht eine Brille. Wir Einheimischen sind verschwiegen, wir verraten niemanden – aber es gibt neugierige Touristen, vor denen müssen Sie sich in Acht nehmen.«
Lorenz saß da wie vom Donner gerührt, als er begriff, dass dieser einfache Mann, dem man ansah, wie schwer er zeit seines Lebens gearbeitet hatte, ihm seine Hilfe anbot. »Danke«, brachte er endlich heraus.
Friedhelm Karl nickte. »Ich habe Sie gleich erkannt, nachdem ich den Zeitungsartikel über die geplatzte Hochzeit gelesen hatte. Meine Nachbarn wissen auch Bescheid, die halten alle den Mund. Sie werden Ihre Gründe gehabt haben, nehme ich an, und diese Gründe gehen nur Sie und die junge Frau etwas an. Auf mich machen Sie jedenfalls nicht den Eindruck eines Mannes, der seine Braut ohne Not vor dem Altar stehen lässt – das wollte ich Ihnen sagen. Und auch, dass Sie von uns hier nichts zu befürchten haben. Aber vorsehen sollten Sie sich.«
»Das werde ich«, versprach Lorenz. »Wie lange wissen Sie schon, dass ich mich hier verstecke, Herr Karl?«
»Die Zeitung ist am Morgen nach Ihrer Ankunft erschienen«, brummte der alte Mann. »Seitdem also.«
»Sie hätten mich verurteilen können für das, was ich getan habe.«
»Ich vertraue meinem Gefühl«, lautete die schlichte Antwort, »und das sagt mir etwas anderes als die Zeitungsschreiber. Wie lange wollen Sie eigentlich hier bleiben?«
Lorenz lächelte schmerzlich. »So lange wie möglich, Herr Karl. Ich werde bald versuchen zu arbeiten, wenn es mir gelingt, hier in der Gegend ein elektronisches Klavier aufzutreiben.«
»Für Ihr Musical?«, fragte der alte Bauer und sorgte ein weiteres Mal dafür, dass Lorenz vor lauter Überraschung nicht wusste, was er sagen sollte.
»Wir leben hier vielleicht am Ende der Welt, Herr zu Hirtenberg, aber wir sind sehr an Kunst und Kultur interessiert. Mein Enkel jedenfalls wusste gleich, dass Sie Komponist sind – beim letzten Schulfest hat seine Klasse einen Ihrer Songs einstudiert und vorgetragen. Es war ein großer Erfolg.«
»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, Herr Karl.«
»Gar nichts am besten. Ich hoffe, Sie kommen aus den Schwierigkeiten, in denen Sie stecken, bald wieder heraus. Wir haben Sie jedenfalls gern hier.«
Mit einem Mal fiel ein großer Druck von Lorenz ab. Er war nicht zu Hause, aber er hatte auch nicht länger das Gefühl, unter lauter Fremden zu sein. Hier gab es Leute, die es gut mit ihm meinten, und das war mehr, als er nach Lage der Dinge hatte erwarten können.
»Ich danke Ihnen, Herr Karl. Sie ahnen nicht, wie viel mir Ihre Worte bedeuten.«
»Darauf trinken wir noch ein Bier«, erwiderte der alte Bauer und füllte die Gläser erneut.
*
Wie in einem schlechten Film, dachte Lara, als Michael von Angern sie in eins der teuersten Lokale der Stadt führte. Er wurde begrüßt wie ein Staatsoberhaupt, und er genoss es sichtlich. Sie selbst wurde ebenfalls mit äußerster Ehrerbietung behandelt, die ihr jedoch von Anfang an zuwider war, wusste sie doch, dass sie nicht von Herzen kam und auch nicht ihr galt, sondern allein dem vielen Geld, das ihr Begleiter an diesem Abend hier lassen würde.
Sie fragte sich schon jetzt, ob es richtig gewesen war, Lucies Rat zu folgen, aber eins stimmte natürlich: Wenn sie etwas über Michael von Angern herausfinden wollte, dann war dies die beste Gelegenheit, und sie tat gut daran, sie zu nutzen.
Natürlich gab es Champagner zur Begrüßung – und natürlich musste es eine ganze Flasche sein. Ich werde mich nicht von dir betrunken machen lassen, dachte Lara, bilde dir das bloß nicht ein. Sie trank einen Schluck, dann setzte sie ihr Glas ab.
»Gefällt es Ihnen hier?«, fragte Michael von Angern. »Es ist das
beste Lokal weit und breit.«
»Dann freue ich mich auf das Essen«, erwiderte Lara und vermied auf diese Weise eine Lüge. Ihr gefiel es schließlich ganz und gar nicht in diesem Lokal, wo nichts echt zu sein schien. Alles kam ihr aufgesetzt und künstlich vor. Immerhin war das Essen tatsächlich gut. Wenigstens etwas, dachte Lara.
»Es freut mich zu sehen, dass es Ihnen schmeckt«, stellte Michael von Angern fest und setzte mit selbstbewusstem Lächeln hinzu: »Sie scheinen den Verlust Ihres Bräutigams bereits überwunden zu haben.«
Sie fand diese Bemerkung wenig feinfühlig, ließ sich das jedoch nicht anmerken. »Es hilft ja nichts, wenn ich mir die Augen ausweine«, stellte sie trocken fest.
»Ich hörte, Sie arbeiten sogar schon wieder?«
Lara zog die Augenbrauen in die Höhe. »Von wem haben Sie das gehört, wenn ich fragen darf?«
Sie sah ihm an, dass er sich ärgerte, weil ihm etwas herausgerutscht war, was er eigentlich nicht wissen konnte, aber er überspielte seinen Ärger sehr gekonnt, wie sie zugeben musste. »Sie wissen doch, wie viel die Leute reden – und immer gibt es jemanden, der etwas gesehen oder gehört hat und darüber redet. Wenn ich ehrlich sein soll: Ich achte normalerweise auf solches Gerede überhaupt nicht. Aber in Ihrem Fall habe ich eine Ausnahme gemacht, weil ich mich für Sie interessiere.« Er sah ihr tief in die Augen.
Sie hätte ihn beinahe ausgelacht, riss sich aber zusammen. Sie war sicher, dass er log, aber sie tat so, als nähme sie ihm seine Erklärung ab. »Darf ich Sie etwas fragen, Herr von Angern?«
»Alles, was Sie wollen«, erwiderte er und griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand, während er ihr zulächelte. Genau in diesem Moment flammte ein Blitzlicht auf.
Erschrocken wandte Lara den Kopf, konnte aber nur noch sehen, wie sich auf der Straße vor dem
Restaurant jemand eilig entfernte.
»Diese Fotografen«, bemerkte ihr Begleiter leichthin, wobei er keinesfalls verärgert wirkte, »sie verfolgen einen wirklich überall hin. Grässlich ist das!«
Sie biss sich heftig auf die Lippen, um ihn nicht anzuherrschen: Es war ja allzu offensichtlich, dass er jemandem einen Tipp gegeben hatte, wo es heute Abend ein inte-ressantes Foto zu schießen gab. »Ja«, stimmte sie mit gezwungenem Lächeln zu, »sie können wirklich sehr lästig sein.«
»Sie wollten mir eine Frage stellen«, erinnerte er sie.
»Kennen Sie meinen … meinen