steckte Falk von Langen den Schlüssel in die Tür des Reihenhauses, das er seit vielen Jahren mit seinen Eltern bewohnte. Er war ein Einzelkind und hatte ein sehr harmonisches Verhältnis zu den beiden.
Viele Pflegekinder hatten ein vorübergehendes Zuhause bei Familie von Langen gefunden, doch jetzt, da Falk erwachsen war, hatte Ella von Langen ihren Beruf als Erzieherin wieder aufgenommen. An diesem Abend waren jedoch Ella sowie ihr Mann Ludwig schon zeitig zu Hause. Als Ella hörte, daß ihr Sohn die Haustür aufschloß, ging sie ihm entgegen. Mit einem geheimnisvollen Lächeln begrüßte sie ihn.
»Falk, mein Junge, wie schön, dich wieder einmal zu sehen.« Diese Bemerkung war nicht unbegründet, denn obwohl sie dasselbe Haus bewohnten, sahen sie sich nicht oft.
»Mutti«, sagte Falk und schloß Ella liebevoll in die Arme. Er überragte sie fast um einen Kopf, was sie immer erheiterte, wenn sie an den kleinen dunkelhaarigen Buben dachte, der er einmal gewesen war.
»Du siehst so anders aus heute. Was ist los?« erkundigte er sich, als er sie ein wenig von sich geschoben hatte und sie prüfend musterte.
»Schade, du durchschaust mich immer sofort«, stellte sie mit gespielter Enttäuschung fest.
»Ich kenne dich ja inzwischen lange genug«, konterte er lächelnd.
»Laß uns erst einmal reingehen, dann wirst du schon sehen.«
Gemeinsam betraten sie den Flur, wo sie schon von Ludwig von Langen erwartet wurden. Falk konnte nichts Ungewöhnliches feststellen.
»Was ist heute bloß los mit euch beiden?« wunderte er sich erneut, nachdem er auch seinen Vater freundschaftlich begrüßt hatte.
»Was soll schon los sein?« fragte Ludwig lächelnd zurück.
»Ihr führt doch irgend etwas im Schilde...«, forschte Falk, doch plötzlich versagte ihm die Stimme. Hinter seinem Vater erschien eine Gestalt, die er unter Tausenden sofort erkannt hatte.
»Leslie!« stieß er heiser hervor.
Mit einem kleinen Schrei warf sie sich in Falks Arme. Als sie sich stürmisch küßten, vergaß er all die Sorgen, die ihn in den letzten Tagen so sehr bedrückt hatten. Leslie war da, und nun würde alles gut werden!
»Ich habe es vor lauter Angst um dich in England nicht mehr ausgehalten«, raunte sie ihm ins Ohr, und er drückte sie fest an sich.
»Es ist gut, daß du da bist.« Seine Stimme war heiser vor Freude.
Lange standen sie in der Diele, und Falk streichelte zärtlich ihr Gesicht. Er ließ ihr langes braunes Haar durch seine Finger gleiten und betrachtete sie immer wieder mit einem ungläubigen Staunen. Alles hatte er erwartet, nur das nicht!
Leslie murmelte ihm zärtliche Worte ins Ohr, doch er ließ sie gar nicht richtig zu Wort kommen und unterbrach sie immer wieder mit zärtlichen Küssen, bis sie lachend aufgab.
Diskret hatten sich Ella und Ludwig zurückgezogen und erwarteten das Paar auf der Terrasse. Da es ein kühler, wolkenverhangener Abend war, hatten sie ein Feuer im Grillkamin angezündet, das lustig flackerte, als Leslie und Falk sich endlich zu ihnen gesellten. Zur Feier des Tages hatte Ludwig eine Flasche Wein aus dem Keller geholt.
»Seit wann bist du hier?« erkundigte sich Falk, nachdem sie angestoßen hatten. Er konnte es immer noch nicht fassen und hielt Leslies Hand, um sicherzugehen, daß er nicht träumte.
»Seit heute nachmittag«, antwortete sie in fast akzentfreiem Deutsch. Sie studierte Französisch und Deutsch, was ihre guten Sprachkenntisse erklärte.
»Leslie hat mich gestern abend verzweifelt angerufen, da sie dich schon wieder nicht erreichen konnte. Leider konnte ich ihr keine Auskunft über deinen Verbleib geben. Sie machte sich große Sorgen ob dieser merkwürdigen Geschichte, in die du dich verstrickt hast«, erklärte Ella und konnte es nicht verhindern, daß ihre Stimme etwas vorwurfsvoll klang.
»Ich hatte noch keine Gelegenheit, euch davon zu erzählen«, sagte Falk sofort. »Nachdem ich aber inzwischen selbst ziemlich ratlos bin, was zu tun ist, hätte ich heute abend sowieso mit Vati und dir darüber gesprochen.«
»Dazu haben wir später noch Zeit«, mischte sich Leslie jetzt ein und warf Falk einen liebevollen Blick zu. »Auf jeden Fall haben Ella und ich daraufhin spontan entschlossen, daß es am besten wäre, wenn ich gleich eine Maschine nach Deutschland buche, um nach dem Rechten zu sehen.«
»Aber du hast doch noch keine Ferien«, warf Falk ein.
»Es gibt Dinge, die einfach Priorität haben«, entgegnete Leslie. »Außerdem sind meine Prüfungen so gut gelaufen, daß ich ruhig mal... wie sagt Ihr in Deutschland?« Einen Augenblick geriet sie ins Stocken. »Blau mache kann«, beendete sie dann ihren Satz lächelnd.
»Ich finde es wunderbar, daß du hier bist«, seufzte Falk zufrieden. »Das macht die Dinge viel leichter.«
»Jetzt solltest du uns aber doch erzählen, was hier überhaupt los ist«, sagte Ludwig. »Leslie wollte dir nicht vorgreifen und hat uns auf die Folter gespannt.«
Einen Augenblick schwieg Falk nachdenklich, dann begann er in aller Ausführlichkeit zu erzählen, begonnen bei seiner ersten Begegnung mit Isabel Rosner. Erschrocken lauschten Ludwig und Ella und auch Leslie hielt an mancher Stelle, die er ihr wohlweislich verschwiegen hatte, den Atem an. Den Kuß, den er Isabel gegeben hatte, erwähnte er vorläufig noch nicht. Das war eine Sache, die nur Leslie und ihn etwas anging und unter sich klären mußten.
»Gott sei Dank ist Isa jetzt im Krankenhaus und damit in Sicherheit vor diesem Welser«, schloß Falk schließlich seinen Bericht.
»Dann solltest du unbedingt zur Polizei gehen«, folgerte Ludwig sofort. »Du bist nicht erpreßbar!«
»Natürlich nicht. Aber ich habe gezögert, da ich Isabel nicht in Gefahr bringen wollte.«
Leslie warf ihm einen mißtrauischen Blick zu, dem Falk ohne weiteres standhielt. So wurde gemeinsam beschlossen, daß er am nächsten Morgen Anzeige erstatten sollte. Dann warf er einen Blick auf die Uhr. »Du meine Güte, schon so spät. Ich muß mich fertig machen fürs Calimero«, seufzte er und erhob sich zögernd.
»Kannst du nicht einen Abend frei machen?« bat Ella, doch Falk schüttelte den Kopf.
»Gerade jetzt kann ich Gunnar nicht im Stich lassen. Isabel fällt aus, und allein mit Nina kann er die Arbeit nicht packen.«
»Dann komme ich einfach mit und setze mich an den Tresen«, beschloß Leslie spontan. »So bin ich wenigstens bei dir und kann dafür sorgen, daß du keinen Unsinn machst«, lachte sie.
Falk betrachtete sie prüfend. Ahnte Leslie etwas von seinem Ausrutscher mit Isabel? Doch sie hatte diesen Satz völlig unbedarft dahingesagt, so daß er sich sofort wieder entspannte.
»Ich liebe deine Spontanität«, erklärte er erleichtert und küßte sie zart.
Ella und Ludwig warfen sich zuversichtliche Blicke zu, denn sie hatten keinen Zweifel daran, daß sich alles zum Guten wenden würde. Keiner von ihnen ahnte zu diesem Zeitpunkt, daß Welser in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen war und ihre Pläne gründlich durchkreuzen würde.
*
Mein Glück hat mich doch nicht verlassen, dachte Achim zur selben Zeit bei sich, als er zufrieden die Wohnung betrachtete, die sich inzwischen geleert hatte. Nur vereinzelt standen noch einige Kartons und der Firmencomputer herum, die er im Verlauf des nächsten Tages in eine Lagerhalle am Stadtrand schaffen würde. Hansjörg Zanker war es am Nachmittag überraschend gelungen, das neue Firmendomizil über ein Inserat ausfindig zu machen. Es handelte sich um einen ausgesprochenen Glücksfall, da die Halle seit geraumer Zeit leer und somit sofort zur Verfügung stand. Die vier Partner hatten nicht gezögert und sofort damit begonnen, die heiße Ware abzutransportieren. Offenbar hatte sich Falk von Langen durch Peters Attacke so einschüchtern lassen, daß er nicht zur Polizei gegangen war, so daß sie ihre Arbeit unbehelligt hatten verrichten können. Niemandem war etwas aufgefallen.
Entspannt