Оскар Уайльд

Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe)


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Wange, über die sie weinen würde, wenn sie sie sähe. Sag’ ihr alles und nimm es wieder mit, und sie wird es nicht wieder abschlagen, sie wird nicht das Herz haben!‹ –«

      So saß er träumerisch da und wiederholte die letzten Worte, bis er wieder wach wurde und aufstand.

      »Du willst es nicht nehmen, Meg?«

      Sie schüttelte den Kopf und bat ihn, sie zu verlassen.

      »Gute Nacht, Meg.«

      »Gute Nacht.«

      Meg mußte in allen Stimmungen, bei allen Schmerzen, bei allen Qualen des Leibes und der Seele arbeiten. Sie setzte sich nieder und nähte. Nacht, Mitternacht – sie arbeitete immer noch.

      Sie unterhielt ein dürftiges Feuer, da die Nacht sehr kalt war, und stand bisweilen auf, um es zu schüren. Die Glocken schlugen halb ein Uhr, während sie sich damit beschäftigte, und als sie ausgeschlagen hatten, hörte sie ein leises Klopfen an der Tür. Ehe sie sich nur wundern konnte, wer zu dieser ungewöhnlichen Stunde kommen könnte, wurde die Tür geöffnet.

      O Jugend und Schönheit, glücklich, wie ihr sein sollt, schaut hin! O Jugend und Schönheit, gesegnet und segnend alles, was in euren Bereich kommt, und die Zwecke eures gütigen Schöpfers erfüllend, blicket hin!

      Sie sah die eintretende Gestalt, rief ihren Namen aus, rief »Lilly!«

      Sie war behend und fiel vor ihr auf die Knie nieder, und klammerte sich an ihr Gewand.

      »Steh auf, meine Lilly! Steh auf, liebstes Mädchen!«

      »Nie, Meg, nie! Hier, hier bei dir will ich sein, dich in meinen Armen halten, deinen lieben Atem mich anwehen lassen!«

      »Süße Lilly, liebste Lilly, Kind meines Herzens! Keiner Mutter Liebe kann zärtlicher sein! Lege dein Haupt an meine Brust.«

      »Nie mehr, Meg, nie mehr! Als ich zum erstenmal dein Gesicht erblickte, knietest du vor mir. Auf den Knien vor dir laß mich sterben, hier sterben!«

      »Du bist zurückgekommen! Mein Herzenskind, wir wollen miteinander leben, miteinander arbeiten, hoffen, miteinander sterben!«

      »Ach, küsse meinen Mund, Meg! Schlinge deine Arme um mich! Drücke mich an deine Brust! Sieh gütig auf mich – doch hebe mich nicht auf. Laß mich hier liegen, laß mich dein liebes Gesicht zum letztenmal auf meinen Knien sehen!«

      O Jugend und Schönheit, glücklich wie ihr sein sollt, schaut hierher! O Jugend und Schönheit, die ihr die Zwecke eines allgütigen Schöpfers erfüllt, sehet hierher!

      »Vergib mir, Meg! O Liebe, Liebe, vergib mir. Ich weiß, du tust es, ich sehe, du tust es, doch sage es mir, Meg!«

      Sie sagte es ihr, mit den Lippen auf Lillys Wange, und mit ihren Armen umschlang sie – das wußte sie – ein gebrochenes Herz. »Gott segne dich, mein süßes Kind! Küsse mich noch einmal!« ›Er ließ sie zu seinen Füßen sitzen und sie mit ihrem Haar trocknen.‹ O Meg, welches Mitleid! welch Erbarmen!

      Als sie starb, berührte der Geist des zurückkehrenden Kindes, unschuldig und strahlend, den alten Mann mit seiner Hand und winkte ihm fortzugehen.

      Viertes Viertel

       Inhaltsverzeichnis

      Eine abermalige Erinnerung an die gespenstischen Gestalten in den Glocken; ein abermaliges unbestimmtes Empfinden von dem Läuten der Glocken; ein schwindelndes Bewußtsein, daß er den Schwarm der Phantome sich immer und immer erneuern gesehen hatte, bis die Vorstellungskraft derselben sich in dem Gewirr ihrer Anzahl verlor; eine unbestimmte Erkenntnis, obgleich er nicht wußte, wie er dazu gekommen war, daß mehrere Jahre verflossen waren, und Trotty stand, von dem Geiste des Kindes begleitet, wiederum vor menschlicher Gesellschaft.

      Eine wohlbeleibte, rotwangige, behagliche Gesellschaft! Es waren nur zwei, aber sie waren rot genug für zehn. Sie saßen vor einem hellen Feuer, zwischen sich einen kleinen, niedrigen Tisch, und wenn nicht der Duft von heißem Tee und geröstetem Brot länger in diesem Gemache anhielt, als in den meisten anderen, dann mußte der Tisch vor nicht gar langer Zeit benutzt worden sein. Da aber alle Ober-und Untertassen sauber waren und an ihrem Platze auf dem Bord standen, und da die kupferne Röstgabel in ihrem Winkel hing und ihre vier trägen Finger ausstreckte, als wollte sie sich Maß zu einem Handschuh nehmen, so blieben keine anderen sichtbaren Zeichen von dem eben beendigten Mahl übrig, als solche, welche in der Gestalt der sich wärmenden Katze schnurrten und sich den Bart strichen und die in den rundlichen, um nicht zu sagen speckigen Gesichtern ihrer Herrschaft glänzten.

      Dieses behäbige Paar, offenbar ein Ehepaar, hatte sich redlich in das Feuer geteilt und blickte nach den sprühenden Funken, welche in den Rost hinabfielen, bald in halbem Schlummer nickend, bald wieder erwachend, wenn eine heiße Kohle, größer als die anderen, prasselnd hinabfiel, als wenn das Feuer mitkommen wollte.

      Es lag indes keine Gefahr vor, daß es schnell verlöschen würde. Denn es glimmte nicht nur in dem kleinen Zimmer und auf den Glasfenstern in der Tür, sowie auf den halb darüber gezogenen Vorhängen, sondern auch in dem kleinen Laden daneben. Ein kleiner Laden, ganz angefüllt und bis zum Ersticken voll von seinen Vorräten, ein förmlich gefräßiger kleiner Laden mit einem Magen so geräumig und voll wie ein Haifischmagen: Käse, Butter, Feuerholz, Seife, Pökelfleisch, Schwefelhölzer, Speck, Bier, Konserven, Kinderdrachen, Vogelfutter, roher Schinken, Birkenbesen, Feuersteine, Salz, Weinessig, Schuhwichse, Pökelheringe, Schreibmaterialien, Champignonsauce, Schnürbänder, Brote, Federbälle, Eier und Griffel – alles galt als Fisch, was in das Netz dieses gierigen kleinen Ladens kam, und alle diese Artikel waren in seinem Netze. Wie viele andere Arten von Kleinwaren sich darin befanden, würde sich schwer sagen lassen, doch Knäuel von Bindfaden, Reihen von Zwiebeln, Lichte in Pfunden, Krautnetze und Bürsten hingen bündelweise an der Decke, wie seltene Früchte, während verschiedene seltsame Kruken, denen aromatische Düfte entströmten, die Wahrhaftigkeit der Inschrift über der Außentür bestätigen, die dem Publikum ankündigte, daß der Inhaber dieses kleinen Ladens ein privilegierter Tee-, Kaffee-, Tabak-, Pfeffer-und Schnupftabakhändler sei.

      Indem Trotty nach denjenigen Artikeln blickte, welche bei dem Schein des Feuers und dem minder glorreichen Strahl von zwei räuchrigen Lampen, die ziemlich trübe in dem Laden brannten, als wenn ihnen ihre Vollblütigkeit schwer auf der Lunge läge, sichtbar waren, und indem er dann nach einem der zwei Gesichter am Feuer sah, wurde es ihm nicht schwer, in der wohlbeleibten Matrone Mrs. Chickenstalker zu erkennen, die immer zur Beleibtheit hingeneigt hatte, schon in den Tagen, als sie eine kleine Rechnung, die ihn anging, im Buche hatte.

      Die Züge ihres Gesellschafters waren ihm nicht so bekannt. Das große, breite Kinn mit Falten, die breit genug waren, um einen Finger hineinzulegen, die glotzenden Augen, die mit sich selber zu zanken schienen, so daß sie immer tiefer und tiefer in das Fett des schwammigen Gesichts versanken, die Nase, die mit einer Störung in ihren Funktionen belastet war, die man gewöhnlich Verstopfung nennt, der kurze, dicke Hals und die keuchende Brust nebst anderen Schönheiten ähnlicher Art, obgleich sie ganz geeignet waren, sich dem Gedächtnisse einzuprägen, konnte Trotty zuerst niemandem zuschreiben, den er in gewisser Weise gekannt, und dennoch erinnerte er sich auch ihrer in gewisser Weise. Endlich erkannte er in Mrs. Chickenstalkers Gesellschafter im allgemeinen und auf der krummen, exzentrischen Bahn des Lebens den früheren Portier von Sir Joseph Bowley, eine schlagflüssige, einfältige Persönlichkeit, die sich seit Jahren in Trottys Seele mit Mrs. Chickenstalker vermählt hatte, weil sie ihm Zutritt zu dem Hause gegeben, wo er seine Verbindlichkeiten gegen diese Dame bekannt und so schwere Vorwürfe auf sein unglückliches Haupt geladen hatte.

      Trotty nahm sehr wenig Interesse an einer Veränderung wie diese nach all den Veränderungen, die er mit angesehen hatte. Doch die Ideenverbindung ist bisweilen sehr stark, und er blickte unwillkürlich hinter die Tür, wo die Schulden der Kunden in Kreide prangten. Sein Name war nicht verzeichnet. Es standen einige Namen da, doch waren sie ihm fremd, und es waren unendlich viel weniger, als in früheren Zeiten, woraus er schloß, daß der Portier ein Liebhaber