Оскар Уайльд

Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe)


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die Schuld. Sie würde ihn genommen haben, mit Freuden. Ich habe späterhin oft ihr Herz beben sehen, wenn er hochmütig, und ohne sie auch nur anzusehen, an ihr vorüberging; und niemals grämte sich ein Mädchen aufrichtiger um einen Mann, als da Richard anfing, auf schlechten Wegen zu gehen.«

      »O, ist er auf schlechte Wege geraten?« fragte der Gentleman, den Spund aus dem Bierfaß ziehend, um durch das Spundloch hineinzugucken.

      »Sehen Sie, ich glaube, daß er nicht recht wußte, was er wollte. Ich glaube, er hatte sich’s zu Herzen genommen, daß sie miteinander gebrochen hatten, und er hätte, wenn er sich nicht vor den vornehmen Herren geschämt und vielleicht auch unsicher gewesen wäre, wie sie es auffassen würde, gern alles auf sich genommen, um Megs Hand wiederzugewinnen. Dessen bin ich ganz gewiß. Er sagte nie etwas; desto schlimmer! Er ergab sich dem Trunk und Müßiggang, schlechte Gesellschaft, lauter Vergnügungen, die so und so viel besser für ihn sein sollten, als das häusliche Glück, das er hätte haben können. Er verlor sein gutes Aussehen, seinen guten Ruf, seine Gesundheit, seine Kräfte, seine Freunde, seine Arbeit, genug alles!«

      »Er verlor nicht alles, Mrs. Tugby«, entgegnete der Gentleman, »denn er bekam eine Frau, und ich möchte wissen, auf welche Weise er sie bekam.«

      »Ich komme sogleich darauf. Dies ging jahrelang so fort; er sank immer tiefer und tiefer; sie, das arme Wesen, hatte Not genug, um sich das Leben zu fristen. Endlich war er so heruntergekommen, daß niemand ihm mehr Arbeit geben oder Rücksicht auf ihn nehmen wollte, und die Türen wurden ihm vor der Nase zugemacht, er mochte kommen, wohin er wollte. Er wandte sich von Ort zu Ort und von Tür zu Tür, und als er nun zum hundertstenmal zu einem Herrn kam, der es gar oft mit ihm versucht hatte (denn er war ein guter Arbeiter bis zuletzt), sagte der Herr, der seine Geschichte kannte: ›Ich glaube, Ihr seid unverbesserlich; es gibt nur eine Person in der Welt, die Euch möglicherweise retten könnte: bittet mich nicht mehr um Vertrauen, bis sie es mit Euch versucht hat.‹ So was sagte er in seinem Ärger und Zorn.«

      »So!« sagte der Gentleman. »Nun?«

      »Nun, er ging zu ihr und kniete vor ihr nieder: sagte, es sei so und so: sagte, es sei immer so gewesen, und bat sie, ihn zu retten.«

      »Und sie – nehmen Sie es sich nicht zu sehr zu Herzen, Mrs. Tugby.«

      »Sie kam an dem Abend zu mir und fragte mich wegen des Logis. ›Was er mir einst war, liegt in einem Grabe, neben dem, was ich ihm war. Doch ich habe es mir überlegt, und ich will den Versuch machen, in der Hoffnung, ihn zu retten: um der Liebe des leichtherzigen Mädchens willen (Sie kennen sie), welches an einem Neujahrstage heiraten sollte; und um der Liebe zu ihrem Richard willen. Und sie sagte, er wäre von Lilly zu mir gekommen, und Lilly hätte ihm vertraut, und sie könnte das nie vergessen. So heirateten sie sich, und als sie nach Hause kamen, und ich sah sie, da wünschte ich, daß solche Prophezeiungen, welche sie auseinandergebracht hatten, als sie jung waren, nicht oft so in Erfüllung gehen möchten, wie es in diesem Falle geschehen war, oder wenigstens wollte ich sie nicht wahrsagen um eine Mine Goldes.«

      Der Gentleman stand von dem Fasse auf und streckte sich, indem er hinwarf: »Er mißhandelte sie wohl, sobald sie verheiratet waren?«

      »Ich glaube nicht, daß er es jemals getan hat«, sagte Mrs. Tugby, schüttelte den Kopf und trocknete sich die Augen.

      »Er führte einige Zeit ein besseres Leben. Seine Gewohnheiten aber waren zu eingewurzelt und stark, als daß er von ihnen sich hätte befreien können. Er bekam bald einen kleinen Rückfall, und dies wiederholte sich immer öfter, bis ihn seine Krankheit niederwarf. Ich glaube, er hat immer viel für sie empfunden. Ich weiß, ich habe es gesehen, wenn er weinend und zitternd ihre Hand zu küssen suchte, und ich habe gehört, wenn er sie Meg rief und sagte, es wäre ihr neunzehnter Geburtstag. Da hat er nun gelegen Wochen und Monate. Mit ihm und ihrem Kinde über ihre Kräfte in Anspruch genommen, ist sie nicht imstande gewesen, ihre alte Arbeit zu verrichten, und da sie diese nicht regelmäßig liefern konnte, hat sie sie ganz verloren, selbst wenn sie damit hätte fertig werden können. Ich weiß kaum, wie sie haben leben können.«

      »Ich weiß es«, murmelte Mr. Tugby, blickte im Laden umher und nach seiner Frau hin und wiegte den Kopf mit unendlicher Schlauheit – »wie Kampfhähne.«

      Er wurde von einem Schrei, einem Klageruf in dem oberen Stockwerk des Hauses unterbrochen. Der Gentleman eilte nach der Tür: »Mein Freund«, sagte er zurückblickend, »Ihr braucht nicht erst darüber zu streiten, ob er fortgeschafft werden soll oder nicht. Er hat Euch, glaub’ ich, diese Mühe erspart.«

      Er ging rasch die Treppe hinauf, Mrs. Tugby folgte ihm, während Mr. Tugby gemächlich hinter ihnen drein keuchte und brummte: denn er war von dem Inhalte des Geldkastens, in welchem sich eine ungebührliche Masse Kupferstücke befanden, kurzatmiger als gewöhnlich geworden.

      Trotty flog mit dem Kinde zur Seite die Treppe hinauf, als wäre er bloße Luft.

      »Folg ihr, folg’ ihr, folg ihr!« Er hörte die Geisterstimmen der Glocken diese Worte wiederholen, während er hinaufstieg. »Lern’ es von dem Wesen, das deinem Herzen am teuersten ist.« Es war vorüber. Und dies war sie, ihres Vaters Stolz und Freude, dieses hagere, jammervolle Weib, das an dem Bett, wenn wir dies Wort brauchen dürfen, weinte und ein Kind an seine Brust drückte und den Kopf auf dasselbe niederhängen ließ. Wer kann beschreiben, wie mager, schwächlich und ärmlich das Kind aussah! Wer kann sagen, wie sie es liebte!

      »Gott sei Dank!« sagte Toby und faltete die Hände zum Himmel, »o Gott sei Dank, sie liebt ihr Kind!«

      Der Gentleman, der weiter nicht hartherzig oder gleichgültig gegen solche Szenen war, als daß er sie täglich sah und daß er wußte, es waren Ziffern ohne Bedeutung bei den Filerschen Berechnungen, legte die Hand auf das Herz, das nicht mehr schlug, und lauschte auf das Atmen und sagte: »Seine Qual ist vorüber. Es ist besser so!«

      Mrs. Tugby suchte sie mit liebevollen Worten zu trösten, Mr. Tugby mit philosophischen Gründen.

      »Nun, nun«, sagte er mit den Händen in den Taschen, »Ihr müßt Euch nicht unterkriegen lassen. Das dürft Ihr nicht. Ihr müßt dagegen angehen. Was würde aus mir geworden sein, wenn ich mich hätte ducken lassen, als ich noch Portier war. Denn in mancher Nacht wurde wohl sechsmal an unserer Tür geklopft; als wenn eine Equipage käme, bloß um mich zu foppen. Ich aber zog mich auf meine Seelenstärke zurück und machte nicht auf.«

      Trotty hörte die Stimmen wiederum sagen: »Folg’ ihr!« Er wandte sich nach seinem Führer und sah diesen sich erheben und durch die Luft fahren. »Folg’ ihr!« sagte er und verschwand. Er umschwebte sie, setzte sich zu ihren Füßen nieder, suchte in ihrem Gesicht nach einer Spur ihres früheren Aussehens, lauschte auf einen Ton ihrer einst so lieblichen Stimme. Er betrachtete das Kind, das so schwächlich, so früh alt, so schrecklich in seinem Ernst, so beklagenswert in seinem schwachen, traurigen, jammervollen Weinen war. Er betete es an, er klammerte sich an dasselbe als an seinen einzigen Schutz, als an das letzte ungerissene Band, das ihn an das Leben fesselte. Er setzte seine väterliche Hoffnung und sein Vertrauen auf das schwache Kind, bewachte jeden seiner Blicke, während sie es in den Armen hielt, und sagte tausendmal: »Sie liebt es! Gott sei Dank! Sie liebt es!«

      Er sah, wie die Hauswirtin sie während der Nacht bewachte, zu ihr zurückkehrte, als ihr brummender Mann schlief und alles still war, sie beruhigte, mit ihr weinte und ihr Nahrung reichte. Er sah den Tag und wieder die Nacht kommen, den Tag, die Nacht die Zeit vergehen. Er sah das Haus des Todes des Toten entledigt, die Kammer ihr und ihrem Kinde überlassen. Er hörte es wimmern und weinen, er sah, wie es ihre Geduld fortwährend auf die Probe stellte, wenn sie vor Erschöpfung schlummerte, ihr wieder das Bewußtsein ihrer Lage zurückrief und sie mit seinen kleinen Händen auf der Folter festhielt. Doch sie blieb sanft und geduldig gegen das Kind. Geduldig! Sie war seine liebende Mutter im innersten Herzen, und sein Leben war mit dem ihrigen so innig verknüpft, als wenn sie es noch nicht geboren hätte.

      Während dieser ganzen Zeit litt sie Mangel, litt bittersten, quälendsten Mangel. Mit dem Kind in den Armen ging sie hierhin und dorthin und suchte Beschäftigung, und während des Kindes mageres Gesicht in ihrem Schoße lag und sie ansah, arbeitete sie für den kläglichsten Lohn, Tag