Оскар Уайльд

Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe)


Скачать книгу

bekommst, Clemency«, sagte Mr. Britain und blies die Laterne ganz kaltblütig aus, »so läßt sich das Gespenst bald vertreiben. Aber du hast doch sonst Courage genug«, sagte er und blieb stehen, um sie zu mustern: »und warst auch erst ganz ruhig nach dem Lärm und als ich die Laterne anzündete. Was ist dir in den Kopf gefahren? Doch nicht ein Gedanke?«

      Aber da ihm Clemency leidlich wie sonst gute Nacht wünschte und sich zum Schlafengehen anzuschicken schien, sagte ihr auch Klein-Britannien gute Nacht, nachdem er noch die originelle Bemerkung geäußert hatte, es könne niemand wissen, wie er mit den Weibern daran sei. Darauf nahm er sein Licht und ging schläfrigen Schritts zu Bett. Als alles still war, kam Marion zurück.

      »Schließ die Tür auf«, sagte sie; »und warte dicht bei mir, während ich draußen mit ihm rede.«

      So schüchtern ihre Haltung auch war, so zeigte sich an ihr doch eine Sicherheit und Unbeirrtheit des Wollens, der Clemency nicht zu widerstehen vermochte. Sie entriegelte leise die Tür, aber bevor sie den Schlüssel im Schloß umdrehte, schaute sie sich um nach der jugendlichen Gestalt, die bloß das Öffnen abwartete, um hinauszueilen. Das Gesicht war nicht abgewandt oder zu Boden gesenkt, sondern blickte sie voll an in der Blüte der Jugend und Schönheit. Eine Ahnung von der schwachen Schranke, die zwischen dem glücklichen Vaterhaus samt der ehrbaren Liebe des schönen Mädchens lag, ein Gedanke an den Schmerz in diesem Hause und die Vernichtung der schönsten Hoffnungen, zogen in Clemencys einfache Seele und trafen ihr empfindungsfähiges Gemüt so tief, daß sie in Tränen ausbrach und ihre Arme um Marions Hals schlang.

      »Ich weiß nur wenig, liebes Kind«, rief Clemency, »sehr wenig: aber ich weiß, daß das nicht recht ist. Bedenken Sie doch, was Sie tun.«

      »Ich habe es vielmal bedacht«, sagte Marion ruhig.

      »Noch einmal«, bat Clemency. »Bis morgen!«

      Marion schüttelte das Haupt.

      »Um Herrn Alfreds willen«, sagte Clemency. »Um seinetwillen, den Sie einst so sehr liebten!«

      Sie verhüllte ihr Antlitz mit den Händen und wiederholte: »Einst!«, als ob das Wort ihr Herz zerschneide.

      »Lassen Sie mich zu ihm hinaustreten«, bat Clemency. »Ich will ihm sagen, was Sie wollen. Treten Sie nur heute nacht nicht über die Schwelle. Ich bin überzeugt, es kann nicht gut werden. Ach, es war ein Unglückstag, als Mr. Warden hierher gebracht wurde! Denken Sie an Ihren guten Vater, liebes Fräulein – an Ihre Schwester.«

      »Ich habe es getan«, sagte Marion und erhob rasch den Kopf. »Du weißt nicht, was ich tue. Ich muß mit ihm sprechen. Du hast dich in dem, was du gesagt hast, als meine beste und zuverlässigste Freundin vor der Welt erwiesen, aber ich muß diesen Schritt tun. Willst du mich begleiten, Clemency«, sie küßte ihr freundliches Gesicht, »oder soll ich allein gehen?«

      Verwirrt und kummervoll drehte Clemency den Schlüssel im Schloß um und öffnete die Tür. Marion hielt die Hand der Gefährtin fest und schritt rasch in die schwarze Nacht hinaus. Dort trat er zu ihr, und sie sprachen leidenschaftlich und lange miteinander; und die Hand, mit der sie Clemency hielt, zitterte oder wurde kalt wie die einer Leiche, oder drückte sie innig im Feuer der Worte, die ihr willenlos entströmten. Als sie zurückkehrten, begleitete er Marion bis an die Tür; hier ergriff er die andere Hand und drückte sie an die Lippen. Dann entfernte er sich vorsichtig.

      Die Tür ward wieder verriegelt und verschlossen, und wieder stand sie im Vaterhaus. Nicht niedergebeugt von dem Geheimnis, das sie heimtrug, obwohl sie noch so jung war. Mit dem gleichen Ausdruck jedoch in dem Gesicht, wofür mir schon früher der Name fehlte, und der durch ihre Tränen schimmerte. Sie dankte ihrer einfachen Freundin wiederholt und vertraute ihr, wie sie erklärte, völlig und ohne Vorbehalt. Als sie glücklich ihre Schlafkammer erreicht hatte, sank sie auf die Knie und konnte, ihr Geheimnis im Herzen, beten! Ja, sie vermochte aufzustehen vom Gebet so ruhig und glücklich, und sich über die schlummernde Schwester beugen, sie ansehen und lächeln – wenn auch traurig. Und als sie ihre Stirn küßte, murmelte sie leise vor sich hin, daß Grace ihr immer eine Mutter gewesen, und daß sie an ihr hinge wie ein Kind. Und sie konnte den willenlosen Arm sich um den Hals schlingen, als sie auf das Kissen sank – und der Arm schien sie selbstbewußt mit Schutz und Liebe festzuhalten, und die zarten Lippen schienen zu hauchen: Gott segne dich! Und sie konnte selbst ruhig einschlafen, nur von einem Traum gestört, in dem sie mit ihrer unschuldigen und ergreifenden Stimme rief, daß sie ganz allein sei und alle sie vergessen hätten. Ein Monat zieht bald vorüber, selbst wenn er langsam dahinzieht. Der Monat, der zwischen dieser Nacht und der Rückkehr lag, zog schnell vorbei und glitt dahin wie ein Nebelhauch.

      Der Tag erschien. Es war ein stürmischer Wintertag, der das alte Haus manchmal erschütterte, als friere es. Ein Tag, wie er den heimischen Herd doppelt lieb macht, wie er der Ecke am Kamin neue Anziehungskraft verleiht, einen rötlichen Glutschimmer auf die um die Feuerstätte gereihten Gesichter wirft, und die Gruppen um jeden Kamin einen engeren und innigeren Bund gegen die tobenden Gewalten draußen schließen läßt. Ein rauher Wintertag, wie er am besten auf die ausgesperrte Nacht, auf zugezogene Fenster, freundliche Gesichter, Musik, Lachen, Tanz, Lichterfülle und geselliges Vergnügen vorbereitet!

      Für all das hatte der Doktor gesorgt, um Alfred willkommen zu heißen. Sie wußten, daß er erst in der Nacht eintreffen konnte; und sie wollten die Nacht von Jubel widerhallen lassen, erklärte er, wenn er käme. Alle seine Freunde sollten versammelt sein. Kein Gesicht, das er gekannt und geliebt, sollte fehlen. Nein: sie sollten alle zugegen sein. Also wurden die Gäste eingeladen, eine Kapelle bestellt, Tafeln bereitet, der Tanzsaal hergerichtet und mit verschwenderischer Gastlichkeit für alle geselligen Wünsche gesorgt. Weil es Weihnachten war, und seine Augen nicht mehr die englische Stechpalme und ihr dunkles, immerwährendes Grün gewohnt waren, war der Tanzsaal damit ausgeschmückt. Die roten Beeren winkten aus der dunklen Laube einen heimatlichen Willkommengruß zu. Es war ein arbeitsreicher Tag für alle, jedoch für niemanden so sehr wie für Grace, die allenthalben still nach dem Rechten sah und die heitere Seele aller Vorbereitungen war. Oftmals schaute an diesem Tag (wie vielmal während des Monats, der ebenso schnell vergangen war) Clemency ängstlich forschend Marion an. Sie war vielleicht etwas blässer als sonst. Aber auf ihrem Antlitz lag eine freundlich sichere Ruhe, die es lieblicher als je machte.

      Abends, als sie angekleidet war und in ihrem Haar einen Kranz trug, den Grace selbst hineingeflochten – es waren Alfreds Lieblingsblumen, und darum hatte Glace sie ausgesucht – lag jener bekannte Ausdruck, besinnlich, fast bekümmert, und doch so durchgeistigt, edel und rein wieder über ihrer Stirn und ließ die ganze Erscheinung noch hundertmal anmutsvoller aussehen.

      »Der nächste Kranz, den ich in dein Haar flechte, ist der Brautkranz«, sagte Grace; »oder ich bin keine gute Prophetin.«

      Ihre Schwester lächelte und umschlang sie mit ihren Armen.

      »Noch einen Augenblick, Grace. Verlaß mich noch nicht. Weißt du sicher, daß mir nichts mehr fehlt?«

      Sie verstand Marions Anspielung nicht recht. Sie dachte an das Gesicht ihrer Schwester, und ihr Blick ruhte mit zärtlicher Innigkeit über ihr.

      »Meine Kunst kann nicht weitergehen, teures Kind«, sagte Grace; »und auch nicht deine Schönheit. Ich habe dich nie so schön gesehen wie jetzt.«

      »Ich fühlte mich nie so glücklich«, entgegnete diese.

      »Ja, aber größeres Glück harrt noch auf dich. An einem andern solchen Herd, ebenso freundlich und anheimelnd wie dieser hier«, sagte Grace, »werden bald Alfred und seine junge Frau hausen.«

      Sie lächelte wieder. »Du denkst dir ein glückliches Heim, Grace. Ich sehe es deinen Augen an. Ich weiß es, daß es glücklich sein wird, Liebe. Wie fröhlich bin ich, das zu wissen!«

      »Nun«, sagte der Doktor, geschäftig eintretend. »Sind wir alle fertig, um Alfred zu empfangen? Er kann erst ziemlich spät eintreffen – etwa eine Stunde vor Mitternacht – so haben wir Zeit genug, um vor seiner Ankunft in Stimmung zu kommen. Er soll nicht erscheinen, bevor das Eis gebrochen ist. Schüre das Feuer, Britain! Laß es auf die Stechpalme leuchten, bis sie glüht. Es ist eine Welt der Narrheit, meine guten Kinder, Liebhaber,