Оскар Уайльд

Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe)


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und drinnen, einen mächtigen, tüchtig nassen Regenschirm hinter sich zum Trocknen aufgespannt, saß die rundliche Gestalt einer Dame reifen Alters, die bloßen Arme über einem Korb, den sie auf den Knien hielt, gekreuzt, und verschiedene andere Körbe und Pakete um sich. Das gefällige, gutmütige Gesicht und eine gewisse behagliche Widerstandslosigkeit, wie sie von den Erschütterungen des Wagens auf ihrem Sitze hin und her geworfen wurde, erinnerten schon von weitem an alte Zeiten. Als sie näherkam, zeigte sich dies nicht minder; und als der Wagen vor dem Gasthof haltmachte und ein paar Schuhe, aus dem Wagen steigend, schnell durch Mr. Britains geöffnete Arme schlüpften und mit wichtigem Nachdruck den Boden berührten, erkannte man sofort, daß diese Schuhe niemandem anders als Clemency Newcome gehören konnten.

      Und dies war auch in der Tat der Fall. Da steht sie denn vor uns, eine gesunde dralle Seele; mit so viel Seifenglanz auf dem Gesicht wie ehedem, nur mit heilen Ellbogen, die jetzt beinahe Grübchen zeigten.

      »Du warst lange fort, Clemency!« sagte Mr. Britain.

      »Ja, sieh mal an, Ben, ich hatte sehr viel zu besorgen!« antwortete sie und beaufsichtigte emsig das Hineinschaffen ihrer Körbe und Pakete; »acht, neun, zehn – wo ist elf? O! mein Korb elf! es stimmt. Bring das Pferd in den Stall, Harry, und wenn es wieder hustet, so verabfolge ihm heute abend ein warmes Futtergemenge. Acht, neun, zehn. Nun, wo ist elf? Ach, ich vergaß, es ist schon gut. Was machen die Kinder, Ben?«

      »Frisch und munter, Clemency.«

      »Gott beschütze ihre lieben Häupter!« sagte Mrs. Britain und setzte den Hut ab (denn sie und ihr Mann waren jetzt in der Gaststube ) und strich sich das Haar mit der flachen Hand glatt. »Gib mir einen Kuß, Alter.«

      Mr. Britain ließ sich das nicht zweimal sagen.

      »Ich glaube«, sagte Mrs. Britain und holte ein ganzes Bündel schmaler Hefte und zerknitterter Papiere aus der Tasche, »ich habe alles in Ordnung gebracht. Die Rechnungen alle beglichen – den Rübsen verkauft – Brauereirechnung bezahlt – Tabakspfeifen bestellt – siebzehn Pfund vier Schilling auf der Sparkasse eingezahlt – und Doktor Heathfields Rezepte für die Kleine – du wirst dir schon denken können, wie es ist. – Doktor Heathfield will wieder nichts annehmen, Tim.«

      »Ich dachte es mir gleich«, meinte Britain.

      »Ja. Er sagte, Tim, so groß deine Familie auch werde, er werde dir nie einen halben Penny abnehmen. Nicht wenn du zwanzig Kinder kriegen solltest.«

      Mr. Britains Gesicht nahm einen sehr ernsten Ausdruck an und sah starr an die Wand.

      »Ist das nicht recht freundlich?« sagte Clemency.

      »Gewiß«, entgegnete Mr. Britain. »Aber es ist eine Freundlichkeit, die ich um keinen Preis in Anspruch nehmen möchte.«

      »Nein«, entgegnete Clemency. »Natürlich nicht. Dann ist das Füllen – es hat acht Pfund zwei Schilling eingetragen; und das ist nicht übel, nicht wahr?«

      »Es ist sehr gut«, sagte Ben.

      »Ich freue mich, daß du zufrieden bist«, rief seine Frau. »Ich dachte es mir schon; und das, glaube ich, ist alles. Aber jetzt Schluß, Britain. Ha, ha, ha! Hier. Nimm die Papiere und prüfe sie. Doch halt, noch einen Augenblick! Hier ist noch ein gedruckter Zettel. Frisch aus der Druckerei. Wie gut er riecht!«

      »Was ist das?« sagte Tim und betrachtete das Blatt.

      »Ich weiß nicht«, antwortete seine Frau. »Ich habe kein Wort davon gelesen.«

      »Verkauf durch freiwillige öffentliche Versteigerung«, las der Wirt, »unter Vorbehalt früheren Privatübereinkommens.«

      »Das schreiben sie immer darauf«, sagte Clemency.

      »Ja, aber doch nicht immer dieses«, versetzte er. »Schau her: Herrenhaus und Wirtschaftsgebäude, Park und Garten von Mr. Snitchey und Craggs und das schuldenfreie Gut von Mich. Warden, Esquire, wegen Fortzugs ins Ausland!«

      »Wegen Fortzugs ins Ausland!« wiederholte Clemency.

      »Hier steht es«, sagte Mr. Britain. »Sieh her.«

      »Und heute hörte ich erst von drüben, daß sie bessere und deutlichere Nachrichten bald senden wolle!« sagte Clemency. Dabei schüttelte sie traurig den Kopf und griff wieder nach ihren Ellbogen, als ob die Erinnerung an alte Zeiten auch alte Gewohnheiten erwecke. »Hm, hm, hm! Das wird drüben wieder die Herzen schwer machen, Ben.«

      Mrs. Britain seufzte, schüttelte den Kopf und sagte, er könne die Angelegenheit von Grund auf nicht begreifen und habe sie längst aufgegeben. Bei dieser Randbemerkung beließ er es und klebte den Zettel hinter die Büfettfensterscheibe, Clemency aber, nachdem sie eine Weile grübelnd dagestanden, machte sich auf und eilte hinaus, um nach den Kindern zu schauen.

      Obgleich der Wirt des Muskatsiebs großen Respekt vor seiner Hausfrau hatte, so blieb diese doch ganz in der alten unterwürfigen Art; und das ergötzte ihn außerordentlich. Nichts hätte ihn in größere Verwunderung gebracht, als wenn ihn ein Dritter darauf aufmerksam gemacht hätte, wie sie allein die ganze Wirtschaft führte und ihn durch kluge haushälterische Weise, frischen Unternehmungsgeist, Ehrlichkeit und Fleiß zum wohlhabenden Manne machte. So leicht ist es in jedem Lebensverhältnis (und gar oft ist es wirklich der Fall), die stillen Naturen, die nie ihre Verdienste zur Schau stellen, nach ihrem eigenen bescheidenen Urteil zu werten und ein unerfreuliches Gefallen wegen äußerlicher Besonderheiten und Scheinvorzüge an Menschen zu finden, deren innerer Wert, wenn wir so tief blicken wollten, uns erröten machen müßte!

      Es erfüllte Mr. Britain mit Wohlbehagen, wenn er an die Herablassung dachte, mit der er Clemency geheiratet. Sie erschien ihm als ein beständiges Zeugnis seines edlen Herzens, und er spürte, daß ihre Trefflichkeit nur den alten Spruch bestätigte, daß die Tugend sich selbst belohne.

      Er hatte den Zettel angeklebt und die Quittungen über die Geschäfte des heutigen Tages in den Büfettschrank geschlossen – wobei er immer über ihre Geschäftstüchtigkeit vor sich hinschmunzelte – als sie mit der Nachricht zurückkam, daß die beiden Master Britains unter Obhut einer gewissen Betsy im Schuppen spielten, die kleine Clemency aber schlafe »wie ein Engel«. Jetzt ließ sie sich auch zum Tee nieder, der, auf ihr Erscheinen wartend, auf einem kleinen Tisch bereitstand. Es war ein hübsches kleines Büfett mit der üblichen Dekoration von Flaschen und Gläsern und einer gerichteten Uhr, die auf die Minute ging (es war halb sechs). Jeder Gegenstand war an seinem gehörigen Platz und bis auf das äußerste blankgescheuert und poliert.

      »Es ist das erstemal, daß ich heute ruhig zum Sitzen komme«, sagte Mrs. Britain und schöpfte tief Atem, als ob sie nun für den Abend festen Sitz gefaßt hätte, aber sie erhob sich doch gleich wieder, um ihrem Mann Tee einzugießen und Butter und Brot zu schneiden! »wie dieser Zettel mich an alte Zeiten denken läßt!«

      »Ja, ja!« erwiderte Mr. Britain, packte seine Untertasse wie eine Auster, und schlürfte sie in derselben Weise aus.

      »Dieser selbe Mr. Michael Warden«, sagte Clemency grübelnd, »brachte mich um meine alte Stelle.«

      »Und verschaffte dir einen Mann«, ergänzte Mr. Britain.

      »Na ja«, meinte Clemency, »und dafür will ich ihm auch dankbar sein.«

      »Der Mensch ist ein Knecht der Gewohnheit«, sagte Mr. Britain und sah seine Frau über seine Untertasse hin prüfend an. »Ich hatte mich an dich gewöhnt und sah ein, daß ich mich ohne dich nicht recht wohl fühlen würde. Ha, ha! Wer hätte das für möglich gehalten!«

      »Ja wirklich!« rief Clemency, »Es war sehr gütig von dir, Ben.«

      »Nein, nein, nein«, antwortete Ben mit selbstgefälliger Bescheidenheit. »Nicht der Rede wert.«

      »O ja, Ben«, sagte seine Frau herzlich. »Ich glaube es doch und bin dir sehr zu Dank verbunden. Ach!« – sie schaute wieder auf den Zettel – »als es bekannt wurde, daß sie entflohen war, das liebe Mädchen, da konnte ich nicht anders – ihretwegen und der Schwester und des Vaters wegen – zu sagen, was ich wußte, nicht wahr?«

      »Jedenfalls