Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman


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      Bettina wankte rückwärts und ließ sich in einen Sessel fallen. Wer mochte diese Frau sein? Bange Ahnungen quälten sie. Etwa eine seiner flatterhaften Freundinnen?

      Schon hörte sie Stimmen im Flur. Für eine Flucht war es zu spät. Höchstens aus dem Fenster! Nein! Sie erhob sich und strich ihren Rock glatt.

      Ulrich und die attraktive Unbekannte traten ein. Bettina wäre am liebsten in den Boden versunken. Es war unerträglich, mit anzusehen, wie diese Frau den Mann umgurrte und umschmeichelte, ohne sich durch die Anwesenheit einer dritten Person stören zu lassen.

      Als ob ich einfach Luft für sie bin, dachte Bettina halb betäubt.

      »Darf ich bekannt machen?«, begann Ulrich Warner.

      Jetzt erst schien die andere das blonde Mädchen zu bemerken. Ein flüchtiger, taxierender Blick.

      »Nina, das ist Fräulein Bettina Lühr, die Enkelin des alten Herrn, den du eben kennengelernt hast. – Fräulein Lühr, darf ich Sie mit Fräulein Nina Berr bekannt machen, meiner Verlobten.«

      Verlobten … Dieses Wort traf Bettina wie ein Keulenschlag.

      Ihr wurde so schwindelig, dass sie ein paar Augenblicke lang eine Ohnmacht befürchtete. Nicht schwach werden! Das fehlte noch! Sie warf den Kopf in den Nacken. »Angenehm.«

      Nina Berr nickte flüchtig. Ihre manikürte Hand mit den überlangen Nägeln beschrieb einen Halbkreis. »Recht nett haben Sie es hier, Fräulein Lühr, aber auf die Dauer natürlich entschieden zu primitiv. Mein Verlobter und ich werden das Haus von Grund umgestalten lassen. Ich habe einen hervorragenden jungen Innenarchitekten an der Hand, Ulli, einen flotten Jungen, der genau weiß, was in ist.«

      Ulrich räusperte sich. »Darüber sprechen wir noch.«

      Prinz Schnubbel sprang von außen auf die Fensterbank und setzte sich auf die Hinterpfoten.

      »Ach, eine Katze haben Sie auch!«, rief Nina Berr entzückt aus und näherte sich dem Tierchen, wollte es hinter den Ohren kraulen, doch der schwarz-weiße Kater wehrte die Liebkosung mit einem leichten Samtpfotenschlag ab.

      »Du abscheuliches Vieh!«, stieß Nina Berr hervor. »Dir werde ich Manieren beibringen!«

      Bettina sah rot. Sie stellte sich zwischen ihren Kater und die aufgebrachte junge Frau und fauchte: »Reagieren Sie Ihre Gefühle bitte anderweitig ab, ja?«

      Nina Berrs Glitzeraugen wurden schmal. »Sie unverschämtes kleines Ding! Was fällt Ihnen ein! Vergessen Sie nicht, dass Sie die künftige Hausherrin vor sich haben! Mein Verlobter besteht darauf, dass wir in Kürze heiraten!«

      »Bitte sehr, ich habe nichts dagegen.« Betti nahm den Kater auf den Arm, drückte ihn zärtlich an sich und stürmte aus dem Zimmer. Schnubbelchen stemmte energisch beide Vorderpfoten gegen ihr Kinn. Im Garten ließ Bettina ihn auf den Boden springen. »Nimm dich bloß vor dieser angeschmierten Ziege in acht, mein Schnubbelchen, sonst ergeht es dir schlecht«, flüsterte sie atemlos und völlig durcheinander, ihr Kopf schwirrte. Sie vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen. Diese Frau wollte Ulrich heiraten?

      »Betti!« Ein schluchzender Aufschrei.

      Bettina fuhr herum. Tobias stolperte quer durch den Garten auf sie zu, direkt über eines ihrer gepflegten Beete. Tränen strömten ihm über sein Gesicht.

      Sie fing den Jungen auf, und er klammerte sich so krampfhaft an ihren Hals, als habe sie ihn mit knapper Not vor dem Ertrinken gerettet.

      »Betti, ich – ich habe gedacht, du heiratest Ulrich!«, stieß der Achtjährige erstickt hervor. Verzweifelt kämpfte er mit den Tränen. »Warum bloß? Warum willst du Ulrich nicht heiraten? Der Opa sagt, er kann es nicht verstehen!«

      Eine Flut widerstreitender Gefühle ergoss sich über Bettina, ließ sie erzittern, drohte sie zu zerstören. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Und doch musste sie etwas sagen, musste dem unglücklichen Jungen erklären, warum sie seinen vergötterten großen Freund nicht heiraten konnte.

      »Warum bist du böse mit Ulrich?« Tobias sah sie aus seinen tränennassen blauen Augen so flehend an, dass sie alle Kraft zusammennehmen musste, um nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen.

      »Schau mal, Tobias, jetzt wird doch alles gut. Du bekommst eine andere nette Mami …«

      »Tante Nina? Sie ist keine Mami!«, stieß der Junge so empört hervor, dass Bettina fast das Herz brach.

      »Das kannst du doch noch gar nicht wissen, Tobias. Warte nur ab.«

      »Sie sagt immer du dummer Bengel zu mir!«

      »Das meint sie sicher nicht böse, es ist eine Redensart.«

      Tobias schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht lieb, Betti, es könnte alles so schön sein. Das hat der Opa auch gesagt.«

      Bettina seufzte schwer. »Du bist zu klein, um zu begreifen, was in Erwachsenen vorgeht. Aber du brauchst keine Angst zu haben, Tobias. Der Opa geht dir nicht verloren. Ulrich wird es sich nicht nehmen lassen, mit euch an den Wochenenden hierherzukommen. Das ist doch schön, nicht? Was meinst du, wie der Opa sich freut! Und du kannst dich auch die ganze Woche darauf freuen. Ist das nichts? Na also!«

      »Tobias!«, ertönte eine hohe schrille Stimme.

      Der Junge fuhr unter diesem Anruf zusammen, als habe man ihn geohrfeigt. Unwillkürlich drängte er sich noch enger an Bettina.

      Nina Berr war aus dem Haus getreten. Eine Zigarette in der halb erhobenen Hand, stand sie vor der Haustür, attraktiv und betörend, aber in dieser Umgebung so fremd, als sei sie von einem anderen Stern gekommen.

      »Tobias, Hände waschen!«, befahl sie. »Ich will mir nicht nachsagen lassen, dass ich meine Mutterpflichten versäume. Los, Bürschchen, oder soll ich dir Beine machen?«

      Die Händchen des Jungen krallten sich in Bettinas Rock. Das blonde Waldmädchen hatte bereits eine scharfe Entgegnung auf den Lippen, schluckte die Worte aber hinunter. Es hatte keinen Sinn! Sie musste mit Ulrich sprechen!

      »Du musst jetzt gehorchen, Tobias«, sagte sie leise und schob den Jungen sanft, aber bestimmt von sich.

      Im gleichen Moment kam sie sich wie eine Verräterin vor. Der Blick des Kindes drang ihr durch Mark und Bein. Rasch wandte sie sich ab, umrundete das Stallgebäude und schwang sich über das Gatter, das die kleine Pferdekoppel einzäunte. Der schneeweiße Hengst kam ihr mit freudigem Wiehern entgegen. Bettina schlang die Arme um den Hals des Tieres und presste ihr Gesicht auf das weiche warme Fell. Sie fühlte sich so unendlich verloren wie der Junge. Am liebsten hätte sie sich mit Tobias aufs Pferd geschwungen, um davonzureiten, ziellos, nur fort, alle Nöte hinter sich lassend, um irgendwo einen versteckten Winkel zu finden, in dem sie und ein einsames Kind ungestört leben durften. Doch in dieser Zeit gab es solche Winkel nicht mehr. Es wäre sicher nur eine Frage von Tagen oder Wochen, bis die Polizei sie aufspürte und als Kindesentführerin festnahm.

      Ein Schatten fiel auf Bettina. Sie fuhr herum. Hinter ihr stand er – Ulrich. Sein Gesicht wirkte wie aus hartem braunem Holz gemeißelt.

      »Ja, sag mal, bist du denn von allen guten Geistern verlassen?«, fuhr sie ihn an. Die Worte sprudelten wie von selbst über ihre Lippen. »Wie kannst du diese Frau heiraten, die überhaupt kein mütterlicher Typ ist? Die das denkbar schlechteste Verhältnis zu Tobias hat? Bist du noch zu retten?«

      »Was bleibt mir anderes übrig«, antwortete Ulrich Warner sehr ruhig und ernst. »Alles ist besser, als Tobias zu verlieren und einem ungewissen Schicksal zu überlassen. Ich muss heiraten, und zwar so schnell wie möglich.«

      »Aber doch nicht dieses aufgeputzte Zirkuspferd, das offenbar alles andere im Sinn hat, nur nicht, wie sie dem Jungen eine gute Mutter sein könnte! Wenn du unbedingt heiraten musst – und das sehe ich ja ein – warum nimmst du nicht Angelika Thiele? Sie ist lieb und nett zu Tobias!«

      Ulrich schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Unmöglich.«

      »Warum soll das unmöglich sein? Das ist sehr gut möglich!